Demonstranten an der Donauufer in Budapest
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Steuerpaket

Proteste setzen Orban unter Druck

Mit neuen Steuerregeln für zahllose Kleinunternehmer zieht Ungarns Premier Viktor Orban den Zorn der Straße auf sich. Durch die neuen Gesetze könnten Tausende ihre Existenzgrundlage verlieren. Die Regierung peitschte aber die Novelle der „KATA-Steuern“ trotz tagelanger Proteste im Schnelldurchlauf durch.

Wer in Österreich ein Unternehmen gründen will, steht zunächst vor einem bürokratischen Berg. Kleinunternehmer klagen zudem über die Steuerlast. Ungarn erleichterte den Gründerinnen und Gründern bisher das Führen einer eigenen Firma, vor allem durch das Steuersystem „KATA“ (Kisadozo vallalkozasok teteles adoja, dt.: Einzelsteuer kleiner steuerpflichtiger Unternehmen).

„KATA“ bescherte in den vergangenen 20 Jahren einigen Gruppen, darunter Einpersonenunternehmen, Kleinfirmen und Freiberufler, eine sehr geringe Pauschalbesteuerung – je nach Einstufung musste man entweder 50.000 Forint (120 Euro) oder 25.000 Forint monatlich zahlen, damit war die Steuerleistung gedeckt. Hinzu kamen noch Gewerbesteuer und Kammerbeitrag. Damit blieb auch der Papierkrieg überschaubar, und der Pfusch wurde eingedämmt. „KATA“ brachte viele dazu, sich in die Selbständigkeit zu wagen: Voriges Jahr nutzten rund 450.000 Menschen die „KATA“-Option.

Peter Marki-Zay haltet Rede vor Demonstranten
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Demo in Budapest mit dem Oppositionellen Peter Marki-Zay. Die Opposition geht gegen das Steuerpaket auf die Barrikaden.

Zum 1. September wird das System nun auf einen kleinen Kreis eingeschränkt. Anspruchsberechtigt sind dann nur noch Einzelunternehmer, die Rechnungen ausschließlich an Privatpersonen ausstellen. Ausgenommen sind lediglich Taxifahrer. Wenn nun beispielsweise ein Installateur nicht für einen privaten Haushalt, sondern etwa für eine Hausgemeinschaft oder für eine Firma einen Auftrag ausführt, muss er höhere Steuern zahlen. Außerdem werden künftig noch die bisher günstigen Wohnnebenkosten erhöht.

Verabschiedung im Schnelltempo

Die Neuerungen waren am vorigen Montag vorgestellt und am Dienstag im Parlament debattiert und mit starker Mehrheit angenommen worden. Präsidentin Katalin Novak setzte bereits ihre Unterschrift unter das Paket. Seither gibt es deshalb in ganz Ungarn Proteste gegen das „brutale Steuerpaket“. Am Montag etwa blockierten Fahrradkuriere, die an „KATA“ festhalten wollen, die Margaretenbrücke in der Hauptstadt. Bei der Räumung durch die Polizei wurden laut Medienberichten Elektroschockgeräte gegen zwei Demonstranten eingesetzt. Die Kuriere hatten eine Petition verfasst, die im Parlament Orbans rechtsnationaler FIDESZ übergeben wurde.

Auch von der Opposition hagelte es Kritik, sie bezichtigte die Regierung der Lüge. Denn Orban habe noch im April versprochen, die Wohnnebenkosten zu schützen und keine Steuererhöhungen durchzuführen. Die ultrarechte Jobbik-Partei, die Partei Momentum und die Sozialisten (MSZP) hatten von Novak verlangt, das Paket an das Parlament zurückzuschicken.

Viktor Orban, Ungarns Ministerpräsident
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Viktor Orban

Die Präsidentin aber rechtfertigte das Durchwinken: „Ich habe keinen Grund gefunden, das Verfassungsgericht anzurufen. Die Absicht des Gesetzgebers und der Zweck der Änderung sind kaum strittig“, schrieb Novak auf Facebook. Doch auch sie habe den Aufschrei „gespürt“, es wäre besser gewesen, „wenn die Änderungen nach einer gründlichen Konsultation beschlossen worden wären“. In Zeiten der Krise sei es aber richtig, „dass das Staatsoberhaupt der Entscheidung des Parlaments keine Steine ​​in den Weg legt“.

Schattenwirtschaft wird wieder angekurbelt

Nun könnten viele Kleinunternehmer gezwungen sein, sich eilig in den Sommermonaten durch die Finanzämter zu kämpfen oder überhaupt ihr Geschäft aufzugeben, so die Befürchtung. „Wenn dieser Gesetzesentwurf angenommen wird, wird er die Zahl der Unternehmer minimieren", so der Steuerrechtsexperte Miklos Pallfy gegenüber dem ungarischen Nachrichtenportal Telex.hu. „Eine andere Sache, die passieren könnte, ist, dass der aktuelle Vorschlag die Betroffenen ermutigt, Geschäftskunden keine Rechnungen zu stellen, was kontraproduktiv ist.“

Etliche Versuche, eine Verschiebung der neuen Regeln anzuregen, scheiterten. So schlug etwa die Budapester Industrie- und Handelskammer (BKIK) das Inkrafttreten im Jänner vor. Dann habe man genug Zeit, „KATA“ so zu überarbeiten, dass der Großteil der Unternehmer noch davon profitiere. Die Regierung aber lehnte ab. Die neuen Regeln seien dringend notwendig, damit das staatliche Pensionssystem tragfähig bleibe, argumentierte Orban.

Kein Geld aus Brüssel

Er gerät aber nicht nur wegen der anhaltenden Proteste in Bedrängnis, auch die Teuerung macht den Ungarn zu schaffen. Trotz staatlicher Preisgrenzen für lebensnotwendige Güter ist die Inflation erstmals seit 20 Jahren auf zweistelligem Niveau, der Forint verfällt. Hinzu kommt, dass das Geld aus Brüssel, mit dem Orban gern Steuergeschenke verteilt hat, nicht fließt.

Der Grund liegt im Streit der Regierung mit der EU-Kommission über die Auszahlung der Mittel aus dem CoV-Wiederaufbaufonds. Für Ungarn waren hier ursprünglich 7,2 Milliarden Euro veranschlagt. Die EU hält die Hilfen aber wegen mangelnder Korruptionsbekämpfung und rechtsstaatlicher Probleme in Ungarn zurück. Und dabei erhöhte die Kommission zuletzt deutlich den Druck. Sie entschied sich kürzlich für eine Klage beim Europäischen Gerichtshof wegen des umstrittenen Gesetzes zum Umgang mit LGBTQ. Das Gesetz diskriminiere Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität, erklärte die Kommission zur Begründung.

Eine zweite Klage vor dem EU-Gericht in Luxemburg soll Ungarns Verweigerung einer Sendelizenz für den regierungskritischen Sender Klubradio ins Visier nehmen. Und auch im Streit über unterschiedliche Kraftstoffpreise für inländische und ausländische Fahrzeuge leitete die Kommission rechtliche Schritte ein.

Wenige Fortschritt

Für die Regierung in Ungarn laufen die Verhandlungen mit Brüssel über die Auszahlungen gut. Die Kommission gehe auf Ungarns Vorschläge ein, so die offizielle Botschaft von Orbans Kabinettschef Gergely Gulyas. Die EU-Kommission hingehen sah auf Anfrage von ORF.at noch etliche offene Punkte, gerade bei der Korruptionsbekämpfung.

Wegen der mutmaßlichen Missachtung der europäischen Grundwerte läuft ohnehin auch ein Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge gegen das Land. Zudem hat die EU-Kommission den Rechtsstaatsmechanismus gegen Ungarn ausgelöst, durch den die Kürzung von EU-Mitteln droht. In ihrem neuen Rechtsstaatlichkeitsbericht attestierte die Behörde zudem weiter gravierende Defizite bei Demokratie und Grundrechten. Eine Aussicht auf die in der Krise stark erhofften Milliarden aus Brüssel gibt es daher nicht.