Kommunique mit dem markierten Satzteil „Hilfsapparat des Ministers“
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Rechte Hand

Die Rolle der Ministerbüros

Kommende Woche startet der ÖVP-U-Ausschuss in seine nächste Runde. Bisher standen die Befragungen ja im Zeichen der Themenvielfalt: Projektvergaben wurden durchleuchtet, Postenbesetzungen rückverfolgt und Auftragsstudien penibel auf Inhalt und Herkunft seziert. In diesem verwinkelten Labyrinth befinden sich an vorderster Front die Minister und Ministerinnen – doch knapp dahinter tummeln sich schon ihre Vertrauten.

Exakt 50 Auskunftspersonen hatten die Abgeordneten in den letzten Monaten befragt. Frühere und amtierende Ministerinnen und Minister sowie ihre Kabinettsbeschäftigten gaben Einblicke in interne Abläufe der einzelnen Ressorts. Auch wenn man die Aussagen vor einem U-Ausschuss mit der nötigen Vorsicht bewerten muss, zeigen sie, dass die Mitarbeiter der Regierungsmitglieder in vielen Vorgängen maßgeblich involviert waren. Einige Antworten lassen auch die Vermutung zu, dass den Büros ein großer Handlungsspielraum gewährt wird.

So betonte Ex-Ministerin Margarete Schramböck (ÖVP), dass sie für die Strategie des „Hauses“ zuständig gewesen sei. Um Detailfragen habe sich „mein Team“ stets nach Vorschrift gekümmert. Ähnlich äußerte sich die frühere Ministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP), die bei Fragen zu Inseraten und Umfragen auf ihr damaliges Kabinett verwies. Dieses sei ständig mit der Beamtenschaft in Kontakt gewesen. Ex-Minister Eduard Müller bezeichnete das Büro auch als „Hilfsapparat des Ministers“.

Dass der „Hilfsapparat“ schon einmal selbst aktiv wird, zeigten etwa Antworten von Ex-Innenminister Eckart Ratz. Dieser hatte seinen Stab nämlich gar nicht selbst ausgesucht. Ein „eingeteilter Kabinettschef“ habe ihn kontaktiert, dann von zu Hause abgeholt und schließlich das Kabinett von Ratz zusammengestellt. „Verstehen Sie, für Nichtpolitiker: Was willst du denn tun?“, sagte der Kurzzeitinnenminister.

„Schattenminister“, der die Fäden zieht?

Die Stäbe der Ressortspitzen stehen seit geraumer Zeit in der Kritik. Zu groß, zu einflussreich und zu mächtig seien sie mittlerweile. Das Bild eines „Schattenministers“, der im Hintergrund die Fäden zieht, hat allen voran Ex-Kabinettschef Thomas Schmid mit Zigtausenden Chats gezeichnet. Auch Michael Kloibmüller wird nachgesagt, ein mächtiger Kabinettschef gewesen zu sein. Im U-Ausschuss dazu befragt, beschrieb er seine frühere Funktion als „De-facto-Vertreter des Ministers“.

Eindrücke vom ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss
ORF.at/Peter Pfeiffer
Auf dem Platz der Auskunftsperson saßen nicht nur Ressortspitzen, sondern auch ihre handverlesenen Kabinettsmitarbeiter

Doch so wichtig die Ministerbüros zu sein scheinen, so wenig bekannt sind sie in der Öffentlichkeit – und das, obwohl sie seit Jahrzehnten Teil des politischen Alltags sind. Als Scharnier zwischen Ressortspitze und Verwaltung gibt das Kabinett den politischen Willen des Ministers an die „Linie“ (Sektion, Abteilung und Referat) weiter und bereitet im Gegenzug die Expertise aus der „Linie“ so auf, damit der Politiker sie für Interviews, Besprechungen und Entscheidungen nutzen kann.

Das Besondere an den Kabinetten ist aber ihre Zusammensetzung. Für gewöhnlich sucht ein Minister sein Büro selbst aus. In den meisten Fällen sind es Personen, zu denen der Ressortchef eine Beziehung hat und denen er in gewisser Weise vertraut. Deshalb kommen sie oft aus der Partei oder einer ihrer Vorfeldorganisationen. Ihre Loyalität gilt dem Minister. Wenn dieser das Ressort verlässt, muss auch das Büro gehen. Denn der neue Ressortchef besorgt sich ein anderes Personal. Aufnahmekriterien und Umfang sind gesetzlich jedoch nicht festgelegt.

Kontakt mit Minister über Kabinett

Die Anzahl der Kabinettsmitarbeiter ist einer der größten Kritikpunkte, die in den vergangenen Jahren geäußert wurden. „Mit der steigenden Zahl Mitarbeitern hat sich die Stellung der Büros in den Ministerien geändert. Heute haben die Kabinette mehr Einfluss als noch vor einigen Jahren“, sagt Verwaltungsexperte Wolfgang Gratz zu ORF.at. Problematisch werde es insbesondere dann, wenn Minister nur noch durch ihre Büros regieren und kaum Kontakt zu den Beamten und Beamtinnen suchen, meint der erfahrene Jurist.

Freilich dürfen Kabinettsmitarbeiter – auch nicht der Kabinettschef – der Beamtenschaft formal gesehen keine Weisungen erteilen. Dennoch agieren sie im Auftrag des Ministers bzw. der Ministerin. Allein dieser Umstand habe Auswirkungen auf die Kultur im Beamtenapparat, sagt Gratz. Dass die handverlesenen Vertrauten der Ressortspitze dann schon mal wie Vorgesetzte auftreten, sei oft dokumentiert worden.

Ähnlich sieht es Manfred Matzka. Der langjährige Beamte bezeichnet die Kabinette heute als „Isolierschicht“ zwischen Minister und Ressort. Die Spitze verliere zunehmend den Kontakt zum „Haus“, weil heute mehr durch die „wenig transparenten“ Büros regiert werde, so Matzka, der in den 90er Jahren selbst Kabinettschef war und später 16 Jahre lang die Präsidialsektion im Kanzleramt leitete. „Unter meiner Zeit im Bundeskanzleramt hat es ja begonnen: Kein Ressortchef hat gefragt, welche Expertise für das Büro noch nötig wäre. Die Frage lautete stets: ‚Wie viele Mitarbeiter hatte mein Vorgänger? Ich brauche einen mehr.‘“

„Die Büros haben ihre Berechtigung“

Tatsächlich sind die Ministerstäbe in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gewachsen. Bundeskanzler Josef Klaus (ÖVP) hatte laut Amtskalender im Jahr 1966 lediglich vier Kabinettsmitarbeiter, Bruno Kreisky (SPÖ) 1980 dann zehn und Wolfgang Schüssel (ÖVP) 2006 elf. Heute erreichen die Ausmaße aber ein ganz anderes Level: Im Kabinett von Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) sitzen mehr als 20 Personen, die Mitglieder der ÖVP-Grünen-Regierung (inklusive Staatsekretärinnen und -sekretär) vertrauen insgesamt auf über 250 Kabinettsmitarbeiter. Zum Vergleich: In den 70er Jahren waren es ein paar Dutzend.

Thomas Schmid, ehemalige Alleinvorstand der staatlichen Beteiligungsholding ÖBAG
APA/Hans Punz
Thomas Schmid war unter mehreren ÖVP-Finanzministern Kabinettschef – und später auch Generalsekretär

Freilich hat sich die Arbeit in den Ressorts über die Jahre geändert. Nicht nur neue Aufgaben kamen dazu, auch die Art und Weise, wie ein Minister Entscheidungen kommuniziert, ist anders als noch vor 40 Jahren. „Die Büros haben ihre Berechtigung“, meint ein früherer Kabinettschef. Der Politiker trage zwar die Verantwortung, allein könne er die Aufgaben aber nicht bewältigen. Deshalb sind die Stäbe in der Regel so aufgebaut, dass sie die Strukturen des Hauses spiegeln. Einzelne Mitarbeiter (Fachreferenten) fungierten als Ansprechpartner für bestimmte Sektionen oder Abteilungen.

Bestimmte Sachverhalte in der Verwaltung seien in der Tat komplexer geworden, bestätigt Ex-Sektionschef Gerhard Aigner. Fachlich versierte Büros seien hilfreich. Doch die Kabinettsgröße sei nicht nur auf diesen Mehraufwand zurückzuführen. Es sei auch ein Misstrauen der Politiker gegenüber der Beamtenschaft, das die Büros wachsen lasse. „Beamte in Österreich haben eine sehr lange Tradition. Der Beamte ist sehr loyal“, sagt der Jurist. „Doch aus Sorge und Angst, er könnte doch illoyal sein, setzten die Minister immer mehr eigene Mitarbeiter ein.“

Misstrauen gegenüber Beamten

Zwar hätten Kabinettsmitarbeiter immer wieder versucht, einzelnen Aufträgen „Nachdruck“ zu verleihen („Der Minister will das so“), auch wenn die Fachabteilung eine andere Ansicht vertreten habe. Gröbere Probleme habe es aber nie gegeben, sagt der pensionierte Beamte, der bis 2019 die Rechtssektion im Gesundheitsministerium leitete. Die Kommunikation sei hingegen mühsamer geworden. „Jede Nachrichten musste mehrere Stellen durchlaufen, bis sie den Minister oder die Ministerin erreichte“, erinnert sich Aigner.

Organisatorisch würden sich dadurch auch Zeit- und Qualitätsverluste ergeben. „Früher hatte der Minister direkten Kontakt zu den Beamten, was die Kommunikationswege deutlich verkürzt hat. Heute wird bei jedem Schritt das Büro dazwischengeschaltet“, erklärt Ex-Sektionschef Matzka. Gerade weil ein Verwaltungsakt nicht mehr allein Sache der zuständigen Fachabteilung sei, sondern öfters das Kabinett passieren müsse, sei „viel Sand im Getriebe“. Besser wären klare Aufgaben und eine fachliche Eignung, was die Ministerbüros betreffe, so Matzka.

Grafik zum Organisationsaufbau in den Bundesministerien
Grafik: ORF.at; Quelle: RH/Bundesministerien

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt der Rechnungshof (RH), der sich im Zuge einer Überprüfung der seit 2018 flächendeckend eingeführten Generalsekretäre indirekt mit dem Kabinettssystem beschäftigt hatte. Trotz der Funktion des Generalsekretärs, die die Ressortspitze samt Stab entlasten sollte und deshalb – anders als der Kabinettschef – mit einem Weisungsrecht ausgestattet wurde, hat sich am Status quo wenig geändert. Die Kabinette blieben gleich groß und der Arbeitsaufwand wurde kaum geringer. Weil sich die Aufgaben von Generalsekretär und Kabinett ähneln, bestünde das Risiko von Doppelgleisigkeiten.

Loyalität gilt der Ressortspitze

Jurist Gratz spricht von einer „Verantwortungsdiffusion“: Je mehr Personen im Auftrag des Ministers handeln, desto schwieriger sei es, den Überblick zu behalten. „Die Ministerialverwaltung kennt im Grunde eine Spitze, den Minister. Dieser trägt die Verantwortung für alles, was im Ressort passiert. Wenn aber 20 Berater für ihn sprechen, woher soll er wissen, was in seinem Haus vorgeht?“, fragt sich der Verwaltungsexperte und verweist auf den U-Ausschuss: „Dort sagen Minister, dass sie von vielen Sachen nichts wussten.“

Im ÖVP-U-Ausschuss verwiesen Kabinettsmitarbeiter hingegen auf die „enge Zusammenarbeit“ mit den Beamten, um „politische Projekte gemeinsam auf den Boden zu bringen“, wie Clemens-Wolfgang Niedrist, Kabinettschef von Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP), sagte. Der frühere Kabinettschef von Ministerin Köstinger, Gernot Maier, betonte, dass das Ministerium ein System sei, das in vielen Fällen sehr autonom funktioniere. „Dann gibt es Projekte, die wir speziell von der Ressortleitung vorangetrieben haben, und da war ich selbstverständlich etwas direkter in Vergaben involviert“, so Maier.

Journalisten und Kamerateams beim ÖVP-Untersuchungsausschuss
ORF.at/Lukas Krummholz
Im September gehen die Befragungen im ÖVP-U-Ausschuss wieder weiter

Man fühle sich nicht dem „abstrakten Ministerium“ verbunden, sagt ein früherer Kabinettschef zu ORF.at. Die Loyalität gelte dem Minister, den man in der politischen Arbeit unterstütze. Gleichzeitig sei es notwendig, die Arbeit in der Verwaltung zu kennen und sich eine Expertise aufzubauen. Dass die Stäbe keinem Auswahlverfahren und keinen Qualifikationskriterien unterliegen, sei aus politischer Sicht zwar nachvollziehbar, für die tägliche Arbeit mit Beamten aber nicht ideal, betont der frühere Mitarbeiter eines Bundeskanzlers.

Entmachtung der Sektionschefs

Nach Ansicht von Matzka hat sich die Qualität in den Ministerbüros in den vergangenen 20 Jahren „deutlich verschlechtert“. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kämen heute viel früher in die Büros und seien mit den Aufgaben, die ihnen übertragen werden, zum Teil überfordert. Das liege weniger an den Einzelpersonen als an der Fähigkeit eines Ministers, sein Kabinett zu organisieren. „Kanzler Schüssel konnte ausgezeichnet delegieren. Selbst wenn das Kabinett ihn vom Gegenteil überzeugen wollte, übertrug er konsequent Aufgaben“, sagt Matzka.

Hingegen hätte das „System“ von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) darauf basiert, möglichst viele Kabinettschefs in anderen Ministerien zu installieren, um mehr Kontrolle über die Ressortspitzen zu haben, so Matzka. Auch Verwaltungsexperte Gratz sieht es ähnlich und verweist gleichzeitig darauf, dass die Ministerialhierarchie seit einigen Jahren verwässert werde. Insbesondere die seit den 1990er Jahren geltende Fünfjahresbefristung für Führungspositionen habe dazu geführt, dass „unliebsame Beamte“ an den Rand gedrängt wurden.

Dass auch früher nicht alles Gold war, was glänzt, zeigt allerdings eine Erzählung aus dem Bundeskanzleramt der 1960er Jahre. Der damalige Leiter des Verfassungsdienstes, Edwin Loebenstein, soll sich darüber echauffiert haben, dass Kanzler Klaus bei Sachfragen lieber seinen Stab als die Sektionsleiter um Rat gefragt hatte. Mit Alois Mock und Michael Graff (beide ÖVP) verfügte der Regierungschef in seinem Büro aber auch über zwei ausgewiesene Juristen.

Kleiner, aber fachlicher

Mock und Graff machten später in der Politik Karriere. Heute wechseln viele Kabinettsmitarbeiter nach ihrer Bürotätigkeit in den Büros direkt in die Verwaltung, wo sie Führungspositionen übernehmen. Knapp die Hälfte aller Sektionschefs hat Erfahrung in einem Kabinett gemacht, wie eine Auswertung von Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik zeigt. Freilich müssen die Mitarbeiter des Ministers im Bewerbungsverfahren dieselben Kriterien erfüllen wie zum Beispiel Personen außerhalb des Kabinetts. Dennoch sei das Büro ein „Booster“ für die Karriere der Ministervertrauten, wie Jurist Gratz sagt.

Matzka empfiehlt den künftigen Ministern und Ministerinnen, wieder mehr auf die Beamten und Beamtinnen zu vertrauen. Gleichzeitig sollte nur ein kleines strategisches Kabinett eingerichtet werden, das konkrete Aufgaben zugeteilt bekommt. Die Hälfte der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen könnte zudem aus der Verwaltung kommen, um die Qualität der Arbeit sicherzustellen. Mit Blick auf den U-Ausschuss meint Gratz, dass Beamte und Beamtinnen die durch das Kabinett übermittelten Ministerweisungen öfters hinterfragen müssten.

„Muster und Normen spielen sich ein, und irgendwann wird es als Selbstverständlichkeit wahrgenommen, obwohl es anders vielleicht besser funktioniert“, sagt der Jurist. Im ÖVP-U-Ausschuss meinte ein Sektionschef aus dem Finanzministerium: „Im Auftrag des Ministers“ sei eine „Standardfloskel von Kabinettschefs, um die Weisungskette zu verdeutlichen. Das kann man halt natürlich dann auch entsprechend hinterfragen.“