Italiens Premier Mario Draghi
APA/AFP/Andreas Solaro
Draghi bei Mattarella

Neue Rücktrittserklärung erwartet

Italiens Ministerpräsident Mario Draghi hat am Donnerstag in der Abgeordnetenkammer des italienischen Parlaments seinen Rücktritt angedeutet und eine an sich geplante Regierungserklärung gleich zu Beginn wieder für beendet erklärt. Am Vortag verpasste der 74-Jährige bei einer Vertrauensabstimmung im Senat das Ziel einer breiten Mehrheit. Der Ball liegt nun bei Staatspräsident Sergio Mattarella – und die Zeichen stehen italienischen Medienberichten zufolge auf Neuwahl.

„Vor dem Hintergrund der Abstimmung gestern Abend im Senat bitte ich die Sitzung zu unterbrechen, weil ich mich zum Präsidenten der Republik begeben werde, um ihm meinen Entschluss mitzuteilen“, sagte Draghi in der Abgeordnetenkammer in Rom. Die Sitzung in der Abgeordnetenkammer wurde bis 12.00 Uhr unterbrochen. Wie am Vortag im Senat war am Donnerstag auch in der Abgeordnetenkammer eine Vertrauensabstimmung geplant.

Italienischen Medienberichten zufolge erscheint eine neuerliche Rücktrittserklärung bereits ausgemachte Sache. Draghis Regierung „ist am Ende“, schrieb die „Repubblica“. Im Gegensatz zu Draghis erster Rücktrittsankündigung vor rund einer Woche werde Mattarella diesmal wohl darauf verzichten, Draghi erneut zum Weitermachen zu überreden, berichtete der „Corriere della Sera“. Auch dass Mattarella einen Draghi-Nachfolger mit der Suche einer neuen Mehrheit beauftragt, gilt aus Beobachtersicht als unwahrscheinliches Szenario.

Vielmehr wird in italienischen Medien bereits über Termine einer vorgezogenen Neuwahl spekuliert. „Wahrscheinlicher“ Termin seien der 2. und der 9. Oktober, schreibt „La Repubblica“. Vom „Corriere“ wird zudem der 25. September als möglicher Termin genannt.

Vergeblicher Ruf nach „Pakt des Vertrauens“

Draghi gewann zwar am Mittwochabend in Rom das Votum mit 95 Ja-Stimmen bei 39 Nein-Stimmen, die großen Regierungsparteien Lega, Forza Italia und Fünf-Sterne-Bewegung stimmten jedoch nicht mit ab. Draghi hatte Mattarella bereits am Donnerstag seinen Rücktritt angeboten, den der Staatschef aber abgelehnt hatte. Hintergrund war, dass ihm die Fünf-Sterne-Bewegung bei einer Abstimmung das Vertrauen nicht ausgesprochen hatte.

Der Senat in Italien
Reuters/Guglielmo Mangiapane
95-mal Ja, 39-mal Nein: Am Ende gewann Draghi zwar eine Vertrauensabstimmung, verlor jedoch seine Regierungsmehrheit

Draghi forderte am Mittwoch in seiner Rede die Unterstützung der zerstrittenen Regierungsparteien, wenn sie wollten, dass er weitermacht. Draghi sprach von einem „Pakt des Vertrauens“, der am vergangenen Donnerstag gebrochen wurde. „Seid ihr bereit, diesen Pakt wiederherzustellen?“, fragte er die Senatoren. „Ihr seid es, die entscheidet“, gab er den Politikern und Politikerinnen vor der Abstimmung mit auf den Weg.

Facettenreiche Regierungskrise

In ihren Reden schoben etwa die rechten Parteien der Fünf-Sterne-Bewegung die Schuld für die Regierungskrise in die Schuhe. Die mitregierenden Mitte-rechts-Parteien, Forza Italia und Lega, wollten eine Regierungsfortsetzung nur unter Ausschluss der Fünf-Sterne-Politiker. Diese sahen weiterhin nicht ihre politischen Forderungen erfüllt, die sie Draghi unlängst in einem Neunpunktepapier überreicht hatten. Dazu gehörte etwa auch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes. Sie forderten eine Veränderung und konkrete Schritte der Regierung in ihrem Sinne.

Grafik zur Sitzverteilung im italienischen Parlament
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Corriere della Sera/Parlament

Wichtiger Garant für Europa

Die Märkte regierten schon tagsüber auf die politische Krise in Italien. Die Börse in Mailand schloss mit einem deutlichen Minus. Der Risikoaufschlag für zehnjährige italienische Staatsanleihen stieg im Vergleich zu deutschen Staatsanleihen deutlich an.

Mit Draghi könnte Italien ein wichtiger Garant für Stabilität in Europa fehlen. Sollte Mattarella seinen Rücktritt annehmen, droht eine vorgezogene Wahl im Herbst und damit politischer Stillstand mit dem wochenlangen Wahlkampf.

Große Aufgaben noch dieses Jahr

Italien muss im zweiten Halbjahr 2022 noch wichtige Reformen umsetzen, um sich die EU-Gelder des Coronavirus-Wiederaufbaufonds aus Brüssel in Milliardenhöhe zu sichern. Außerdem muss das Land den Haushalt für 2023 planen und bis Ende des Jahres im Parlament absegnen lassen. Da eine Regierung möglicherweise erst Anfang November steht, bliebe dafür nicht mehr viel Zeit.