Italiens Premier Mario Draghi
AP/Andrew Medichini
Aus für Italiens Regierung

Draghi hat Rücktritt eingereicht

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi hat am Donnerstag bei Staatspräsident Sergio Mattarella seinen Rücktritt angeboten. Mattarella habe den Rücktritt „zur Kenntnis genommen“, Draghis Regierung bleibe „geschäftsführend“ im Amt, heißt es dazu aus dem Quirinalspalast. Die – neuerliche – Rücktrittsankündigung hatte sich abgezeichnet: Am Vortag hatte Draghi bei einer Vertrauensabstimmung im Senat das selbst gesetzte Ziel einer breiten Mehrheit verpasst.

Als Nächstes muss Mattarella nun entscheiden, ob er die Parlamentskammern auflöst und damit den Weg für eine vorgezogene Wahl ebnet oder ob er einen Experten oder Politiker sucht, um eine neue Regierungsmehrheit aus dem bestehenden Parlament zu formen. Über die weitere Vorgangsweise berät sich Mattarella noch am Donnerstag mit der Präsidentin des Senats, Maria Casellati, und dem Vorsitzenden der Abgeordnetenkammer, Roberto Fico. Nach der Anhörung stehe es dem Präsidenten frei, das Parlament aufzulösen, so die Nachrichtenagentur ANSA mit Verweis auf Artikel 88 der italienischen Verfassung.

Draghi wollte bereits am vergangenen Donnerstag zurücktreten, als er im Senat von der Fünf-Sterne-Bewegung das Vertrauen im Zusammenhang mit der Abstimmung über ein milliardenschweres Hilfspaket nicht ausgesprochen bekam. Mattarella lehnte das Angebot jedoch ab.

Italien: Premier Mario Draghi tritt zurück

Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella hat den Rücktritt von Regierungschef Mario Draghi angenommen. Unmittelbar vor seiner Rücktrittsankündigung deutete Draghi den Schritt bei einem Kurzauftritt im Parlament an. Noch unklar ist, ob der Präsident das Parlament auflöst und Neuwahlen ausschreibt.

Draghi sollte sich am Mittwoch stattdessen im Senat und am Donnerstag in der Abgeordnetenkammer zur Regierungskrise erklären. „Vor dem Hintergrund der Abstimmung gestern Abend im Senat bitte ich, die Sitzung zu unterbrechen, weil ich mich zum Präsidenten der Republik begeben werde, um ihm meinen Entschluss mitzuteilen“, sagte Draghi dann am Donnerstag in der Abgeordnetenkammer in Rom.

Regierung „ist am Ende“

Eine neuerliche Rücktrittserklärung erschien bereits zu diesem Zeitpunkt ausgemachte Sache. Draghis Regierung „ist am Ende“, schrieb die „Repubblica“. Im Gegensatz zu Draghis erster Rücktrittsankündigung vor rund einer Woche werde Mattarella diesmal wohl darauf verzichten, Draghi erneut zum Weitermachen zu überreden, berichtete der „Corriere della Sera“. Auch dass Mattarella einen Draghi-Nachfolger mit der Suche einer neuen Mehrheit beauftragt, gilt aus Beobachtersicht als unwahrscheinliches Szenario.

Vielmehr wird in italienischen Medien bereits über Termine einer vorgezogenen Neuwahl spekuliert. Im Raum stehen der 2. und 9. Oktober, aber auch der 18. und 25. September – womit Italien heuer erstmals zum traditionellen Urlaubshöhepunkt um den 15. August – Stichwort Ferragosto – mitten in einem Wahlkampf stünde.

Vergeblicher Ruf nach „Pakt des Vertrauens“

Draghi gewann zwar am Mittwochabend in Rom das Votum mit 95 Ja-Stimmen bei 39 Nein-Stimmen, die großen Regierungsparteien Lega, Forza Italia und Fünf-Sterne-Bewegung stimmten jedoch nicht mit ab. Draghi hatte Mattarella bereits am Donnerstag seinen Rücktritt angeboten, den der Staatschef aber abgelehnt hatte. Hintergrund war, dass ihm die Fünf-Sterne-Bewegung bei einer Abstimmung das Vertrauen nicht ausgesprochen hatte.

Der Senat in Italien
Reuters/Guglielmo Mangiapane
95-mal Ja, 39-mal Nein: Am Ende gewann Draghi zwar eine Vertrauensabstimmung, verlor jedoch seine Regierungsmehrheit

Draghi forderte am Mittwoch in seiner Rede die Unterstützung der zerstrittenen Regierungsparteien, wenn sie wollten, dass er weitermacht. Draghi sprach von einem „Pakt des Vertrauens“, der am vergangenen Donnerstag gebrochen wurde. „Seid ihr bereit, diesen Pakt wiederherzustellen?“, fragte er die Senatoren. „Ihr seid es, die entscheidet“, gab er den Politikern und Politikerinnen vor der Abstimmung mit auf den Weg.

Grafik zur Sitzverteilung im italienischen Parlament
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Corriere della Sera/Parlament

Große Brocken warten auf Umsetzung

Eine vorgezogene Wahl würde zunächst politischen Stillstand bedeuten und in Italien, aber auch in Europa für Instabilität sorgen. Eigentlich müsste das Parlament weitere Reformen durchsetzen, um sich die Coronavirus-Wiederaufbaugelder aus Brüssel in Milliardenhöhe zu sichern. Außerdem muss der Haushalt für 2023 geplant werden, was in der italienischen Politik traditionell für viel Streit sorgt.

Die Wahl könnte außerdem Umfragen zufolge die politische Landschaft maßgeblich verändern. Als stärkste Partei könnte die derzeit in der Opposition sitzende Rechtsaußenpartei Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni aus der Wahl gehen. Umfragen zufolge liefert Meloni derzeit der von Ex-Premier Enrico Letta angeführten sozialdemokratischen PD ein Kopf-an-Kopfrennen.

Als große Wahlverliererin sehen die Umfragen die Fünf-Sterne-Bewegung, die seit der Wahl 2018 lange stimmenstärkste Partei. Zusammen mit Außenminister und Ex-Parteichef Luigi Di Maio haben zuletzt etliche Abgeordnete die Bewegung verlassen und sich zur neu gegründeten Liste Insieme per il futuro (Miteinander für die Zukunft) zusammengeschlossen.

Brunetta verlässt Forza Italia

Einen prominenten Rücktritt gibt es auch bei der Partei von Ex-Premier Silvio Berlusconi, Forza Italia. Der bisherige Minister für öffentliche Verwaltung, Renato Brunetta, kündigte seinen Rücktritt an, nachdem auch Forza Italia am Vortag Draghi die Gefolgschaft verweigert hatte. „Nicht ich bin es, der geht, sondern es ist die Forza Italia, oder besser gesagt, das, was davon übrig ist, die sich selbst verlassen hat“, so Brunetta, der 2013 bis 2018 Vorsitzender der Forza-Italia-Fraktion war.

Regierung mit Beteiligung aller Lager

Die Regierung Draghis war im Parlament von Parteien von links bis rechtsaußen getragen worden. Staatspräsident Mattarella hatte den früheren Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) im Februar 2021 nach dem Sturz einer von der Fünf-Sterne-Bewegung angeführten Regierung gebeten, ein Kabinett zu bilden.

Zu Draghis wichtigsten Aufgaben gehörte es, die politischen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufangen – auch mit Hilfe eines europäischen CoV-Hilfsfonds, dessen Mittel Italien besonders stark zugutekommen. Draghi genießt eine breite Unterstützung in Italiens Bevölkerung. Eine Mehrheit sprach sich laut Meinungsumfragen bis zuletzt dafür aus, dass er bis zum regulären Ende der Legislaturperiode im Amt bleibt.

„Schluss mit Machtspielen“

Die größten Koalitionsparteien fordern nach Draghis Rücktritterklärung nun eine rasche Parlamentswahl. „Schluss mit Machtspielen, jetzt sollen die Italiener zu Wort kommen“, sagte Matteo Salvini, Chef der rechtspopulistischen Regierungspartei Lega. Auch Fünf-Sterne-Bewegung, Forza Italia und Melonis FdI traten für Neuwahlen ein. PD-Chef Letta zeigte sich indes überzeugt, dass die jüngsten Ereignisse die nächste Wahl stark beeinflussen werden – und die Sozialdemokraten etwa beim Senatsvotum „auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden“ seien.