Arbeiter am Hochofen
APA/Hans Klaus Techt
Wirtschaftsprognose

Gaslieferstopp als Damoklesschwert

Hinter der Frage, wie es mit der Entwicklung der Wirtschaft weitergeht, steht aktuell nicht nur ein Fragezeichen. Faktoren sind eine mögliche erneute Verschärfung der CoV-Pandemie, die Inflation, der Krieg in der Ukraine, allen voran aber ein möglicher russischer Gaslieferstopp. Das Institut für Höhere Studien (IHS) hat Szenarien durchgerechnet – und trotz allem nicht nur schlechte Nachrichten.

Das größte Risiko für das Gesamtszenario, das steht für das IHS außer Zweifel, sind der Krieg in der Ukraine und ein möglicher kompletter Ausfall der Gaslieferungen aus Russland. Außerdem bremst die aktuell (bei 8,7 Prozent und auf dem höchsten Stand seit 1975 liegende) Inflationsrate. In der mittelfristigen Prognose geht das Institut von einem durchschnittlichen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Jahre 2022 bis 2026 von 1,8 Prozent aus – wobei der höchste Wert mit plus 3,8 Prozent heuer erreicht werden soll, wie es am Donnerstag bei einer Pressekonferenz hieß.

In den kommenden vier Jahren schleift sich das Wachstum ein, auf 1,4 Prozent im nächsten Jahr, 1,3 2024, danach 1,1 und 1,2 Prozent. Im selben Tempo mit der gesamten Euro-Zone – ist das auf die Jahre 2022 bis 2026 gerechnet ein Wachstum von rund 1,75 Prozent. Das sei eine trotzdem durchaus gute Nachricht, wie es bei der Pressekonferenz hieß. Auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sollte weiter positiv verlaufen, nachdem sich dieser nach der Coronavirus-Pandemie rascher als erwartet erholt hatte.

Inflation sinkt nur langsam

Ein weiteres großes Thema: die Inflation, die sich derzeit auf einem langjährigen Höchststand befindet und hauptsächlich von den hohen Energiepreisen, von Strom über Erdgas bis Benzin und Diesel, angetrieben wird. Im Jahresschnitt 2022 soll sie laut IHS bei 7,5 Prozent liegen, der Preisdruck in den kommenden Monaten dürfte nur leicht nachlassen, wie Helmut Hofer vom IHS ausführte.

Mit einer leichten Entspannung bei Ölpreis und Lieferkettenproblemen in den kommenden Jahren dürfte die Teuerungsrate 2023 noch immer bei 4,75 Prozent liegen, aber in den folgenden Jahren bis 2026 auf 2,35 Prozent sinken und sich damit „deutlich zurückbilden“, wie es bei der Pressekonferenz am Donnerstag hieß. Die Arbeitslosenquote dürfte im gesamten Prognosezeitraum 6,2 Prozent betragen.

Folgen eines möglichen Gaslieferstopps

Den Folgen des Ukraine-Krieges und der Erdgaskrise als „Schatten“ über der Konjunkturentwicklung widmet das IHS in seiner Mittelfristprognose ein Sonderkapitel – ein russischer Gaslieferstopp hätte gravierende negative Folgen für Österreichs Wirtschaft, heißt es dort. Anmerkung: Das bedeute aber nicht, dass die Preise sinken würden, sondern weniger stark steigen, wenn etwa vom Rohölpreis „keine preistreibenden neuen Effekte mehr ausgehen“, und sich die genannte Lieferkettenproblematik entspannt.

Grafik zur Wirtschaftsprognose bis 2026
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: IHS

Das ISH hielt auch fest: Bei der Prognose gebe es noch deutliche Risiken, die CoV-Pandemie sei noch nicht überwunden, mit einer „rein theoretisch“ neuen Variante des Virus könnte es auch neue „Einschränkungsmaßnahmen“ geben, die die Wirtschaft entsprechend träfen. Eine weiteres Fragezeichen: angesichts der hohen Inflation die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB).

Thema Nummer eins: Gaslieferstopp

Und dann das aktuelle Thema Nummer eins: Auch wenn seit Donnerstag wieder Erdgas, weniger als vor dem Ukraine-Krieg, aber doch durch die Ostseepipeline „Nord Stream 1“ nach Europa und Österreich fließt, sei die Möglichkeit eines Lieferstopps vor dem Winter, „real“, sagte Michael Reiter vom IHS bei der Pressekonferenz. Das sei der „Worst Case“, der zu gewissen Produktionseinschränkungen in der Industrie führen würde. Der Gesamtverbrauch in Österreich müsste um 27 Prozent gesenkt werden.

Dazu komme, dass es für „gasintensive“ Industriezweige schwer sei, rasch auf andere Energieträger umzusteigen, in der Stromerzeugung gebe es allerdings beachtliche Umstiegspotenziale. Auf jeden Fall könnte der europäische Großhandelspreis für Erdgas auf 280 bis 300 Euro pro Megawattstunde (MWh) stiegen, so das IHS. Gas „sparen, wo immer es geht“, laute die Devise.

Trotzdem kein „apokalyptisches Szenario“

Im möglichen Fall eines Lieferstopps sei kein „apokalyptisches Szenario“ zu erwarten, allerdings ein Einbruch des BIP um drei Prozent. Einsparungen bei den Haushalten und in der Stromerzeugung würden die verfügbare Gasmenge für die Industrie erhöhen und damit das BIP stützen.

Die Wirtschaftsforscher und -forscherinnen des IHS nehmen dabei an, dass das vorhandene Gas über einen Preismechanismus effizient auf die Wirtschaftssektoren aufgeteilt wird, das sei „das oberste Gebot für die Wirtschaftspolitik“. Um die unter der Energiepreisexplosion leidenden Haushalte und Unternehmen unterstützen zu können, sollte der Staat Gas auf Vorrat kaufen, sodass bei einer weiteren Erhöhung der europäischen Preise fiskalische Gewinne generiert werden können, lautet die Empfehlung.

Generell, so der Leiter des IHS, Klaus Neusser, abschließend, befinde man sich in einer „Wendesituation“: Auch ohne den Krieg in der Ukraine samt Erdgaskrise müsste sich die Industrie längerfristig umstellen (Stichwort: Wasserstoff als Energieträger), Branchen müssten sich „neu erfinden“, um mit der Energiewende zurechtzukommen, nur die Förderung des technischen Fortschritts dahingehend werde langfristig „wirklich unseren Wohlstand sichern“.