EZB in Frankfurt
Reuters/Ralph Orlowski
Historische Wende

EZB erhöht Leitzins auf 0,5 Prozent

Die Europäische Zentralbank (EZB) erhöht angesichts der Rekordinflation erstmals seit elf Jahren die Zinsen im Euro-Raum. Der Leitzins steigt kräftig von null auf 0,50 Prozent, der Negativzins von minus 0,50 Prozent für geparkte Gelder von Geschäftsbanken entfällt, wie die EZB heute in Frankfurt mitteilte.

Auch der Einlagensatz wurde angehoben – und zwar auf 0,00 Prozent. Banken müssen somit nicht mehr zahlen, wenn sie überschüssiges Geld bei der EZB parken. Die Wende der EZB nach einer Ära der ultralockeren Geldpolitik gilt als historisch. Für die nächsten Sitzungen kündigte die Zentralbank weitere Zinserhöhungen an.

Den Kurswechsel hatte der EZB-Rat bereits im Juni angebahnt, allerdings einen kleineren Zinsschritt von jeweils 0,25 Prozentpunkten in Aussicht gestellt. „Der EZB-Rat hielt es für angemessen, einen größeren ersten Schritt auf dem Weg zur Normalisierung der Leitzinsen zu tun, als er auf seiner letzten Sitzung angekündigt hatte“, teilte die Notenbank nun mit. Diese Entscheidung beruhe auf der aktualisierten Einschätzung der Inflationsrisiken durch den EZB-Rat.

Grafik zeigt Entwicklung der Leitzinssätze seit 2000
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Die Rekordinflation im Euro-Raum bewegte die EZB nun zu dem ungewöhnlich kräftigen Straffungsschritt: Angefacht von immer teurerer Energie im Zuge des Ukraine-Krieges stiegen die Verbraucherpreise im Euro-Raum zuletzt um 8,6 Prozent. Die EZB verfehlt damit ihr Inflationsziel sehr deutlich. Sie strebt zwei Prozent als optimalen Wert für die Wirtschaft an.

Neues Krisenprogramm wird aufgelegt

Flankierend zur Zinswende haben sich die Währungshüter auf ein neues Krisenprogramm namens „Transmission Protection Instrument“ (TPI) geeinigt, mit dem die EZB hoch verschuldeten Staaten wie Italien bei Turbulenzen auf dem Anleihemarkt helfen kann. Das neue Instrument soll dabei helfen, dass die Geldpolitik gleichmäßig im Euro-Raum wirken kann und es nicht zu einem Auseinanderdriften der Finanzierungskosten der einzelnen Euro-Staaten kommt. Die EZB spricht daher von einem Werkzeug gegen die Fragmentierung der Euro-Zone.

Wie EZB-Chefin Christine Lagarde am Donnerstag mitteilte, kann jedes Land der Euro-Zone im Prinzip in den Genuss des Programms kommen. Es sei für spezielle Situationen und Risiken geschaffen worden, die jeden Staat treffen könnten. Die EZB wolle damit „ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken“ entgegenwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die Wirkung der Geldpolitik im Euro-Raum darstellen.

Ökonom Daniel Gros zur aktuellen Inflation

Daniel Gros, Ökonom und Politologe, spricht über die aktuelle Inflation. Die Rekordinflation zwingt die Euro-Währungshüter zu einem höheren Tempo bei ihrer ersten Zinserhöhung seit elf Jahren. Die Europäische Zentralbank will damit der ausufernden Teuerung entgegenwirken.

EZB-Rat soll entscheiden

Der EZB-Rat werde bei Bedarf darüber entscheiden, ob dieses Programm für ein Land aktiviert werde. Dabei würden die Währungshüter eine Reihe von Indikatoren als Kriterien heranziehen. Der EZB-Rat werde darüber in eigener Regie entscheiden, sagte Lagarde. Details zum Programm sollen noch veröffentlicht werden.

Die Arbeiten an diesem neuen Antikriseninstrument hatte die EZB nach Unruhen auf den Finanzmärkten Mitte Juni forciert. Der Renditeabstand – der Spread – zwischen Staatsanleihen aus Deutschland und denen höher verschuldeter Euro-Länder, insbesondere Italiens, hatte sich nach der EZB-Ankündigung einer ersten Zinserhöhung im Sommer ausgeweitet. Das heißt: Für Länder wie Italien wird es teurer, sich frisches Geld zu besorgen. Das könnte für solche Staaten angesichts schon gewaltiger Schuldenberge zum Problem werden.

Inflation zwingt zum Handeln

Fachleute verweisen darauf, dass die EZB in rechtlich gefährliches Fahrwasser geraten könnte, sollte beispielsweise Italien inmitten einer akuten Regierungskrise gestützt werden. Das wäre Wasser auf die Mühlen all jener Kritiker, besonders in Deutschland, die der EZB verkappte Staatsfinanzierung vorwerfen. Zur aktuellen Krise rund um den Rückzug von Premier Mario Draghi wollte sich Lagarde nicht äußern.

Die hartnäckig hohe Inflation zwingt die EZB jedenfalls zum Handeln. Der Prozess der Normalisierung der Geldpolitik werde „entschlossen und nachhaltig fortgesetzt werden“, hatte Lagarde Ende Juni gesagt. Andere Notenbanken wie die US-Bank Fed und die Bank of England haben ihre Zinssätze bereits mehrfach angehoben.

Folgen für Kreditnehmer

Die EZB-Entscheidung wird nun für Verbraucherinnen und Verbraucher weitreichende Folgen haben. Die Zeit der billigen Kredite etwa ist vorbei, sie werden wieder absehbar teurer. Laut einer Erhebung des Vergleichsportals Durchblicker heben die heimischen Banken bereits seit geraumer Zeit die Zinsen an, mit einem weiteren Anstieg wird gerechnet.

Laut Daten des Vergleichsportals haben sich die Fixzinsen seit Jahresbeginn verdoppelt bis fast verdreifacht. Kundinnen und Kunden zahlen – je nach Bank und Bonität – beispielsweise für einen Fixzinskredit mit einer Laufzeit von zehn Jahren im Juli aktuell 2,25 bis 3,50 Prozent Zinsen statt 0,750 Prozent im Vorjahr. Auch Konsumkredite haben sich bereits verteuert.

EZB erhöht Leitzins auf 0,5 Prozent

Die Europäische Zentralbank erhöht angesichts der Rekordinflation erstmals seit elf Jahren die Zinsen im Euro-Raum. Der Leitzins steigt von null auf 0,50 Prozent. Die EZB will damit der ausufernden Teuerung entgegenwirken.

Bei den Sparzinsen rechnet Durchblicker mit einem Anstieg in den kommenden Monaten. Zwar hätten erste größere Banken die Fixverzinsung für Festgeld im April erstmals seit Langem wieder auf über ein Prozent erhöht, die Zinsen für täglich fällige Einlagen lägen aber immer noch bei mageren 0,01 bis 0,35 Prozent. Die hohe Inflation hat weiterhin negative Auswirkungen, der Realzins bleibt im negativen Bereich.

Sinkende Preise nicht in Sicht

Mit sinkenden Preisen und Lebenshaltungskosten können Verbraucherinnen und Verbraucher auch nach der Zinserhöhung nicht rechnen. Die Inflation wird aktuell insbesondere von den hohen Energie- und Rohstoffpreisen sowie Lieferengpässen getrieben – auf diese hat die EZB aber keinen Einfluss. Dämpfend könnte sich die Entscheidung der EZB hingegen auf die Inflationserwartungen auswirken. Verhindert werden soll so eine Verstetigung der hohen Inflation durch eine Lohn-Preis-Spirale.

„Aggressiver als erwartet“

Laut dem Experten des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Atanas Pekanov, handelt die EZB richtig: „Der Zinsschritt ist aggressiver als erwartet.“ Im Juni hatte die EZB noch eine Erhöhung um 0,25 Prozentpunkte angekündigt. Mit ihrem Vorgehen zeige die Notenbank aber ihre Entschlossenheit, die Inflation zu bekämpfen, und stärke so auch ihre Glaubwürdigkeit, sagte der Experte gegenüber der APA.

Der höhere Leitzins werde dazu führen, dass weniger investiert wird und sich die Wirtschaftsaktivität verlangsamt. Das wiederum dämpfe den Druck auf die Preise. „Geldpolitik funktioniert aber langsam“, so Pekanov. Es brauche Zeit, den Zyklus vom Zinsschritt, zur Dämpfung der Kreditnachfrage, zum Rückgang der Investitionen, zu einer geringeren Wirtschaftsaktivität und schließlich zu niedrigeren Preisen zu durchlaufen. Bis sich der Effekt einstelle, werde zumindest ein halbes Jahr vergehen.

Brunner sieht „überfälligen Schritt“

Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) begrüßt in einer Aussendung den seiner Meinung nach „überfälligen Schritt“. Er erwartet, dass die EZB auch in Zukunft weitere Schritte setzt, wenn es die Inflationsdynamik erfordere. Die Notenbank müsse sich auf Preisstabilität als ihr Primärmandat besinnen. „Gleichzeitig ist es die Aufgabe der Mitgliedsstaaten, mittel- bis langfristig die Budgets in Ordnung zu bringen, damit die Europäische Zentralbank den Handlungsspielraum hat, den es im Kampf gegen die Inflation braucht“, so der Finanzminister.

FPÖ-Budget- und -Finanzsprecher Hubert Fuchs bezweifelt hingegen, dass die Zinsanhebung die Inflation bremsen wird. Zu spät, aber richtig ist der Zinsschritt aus Sicht der Agenda-Austria-Ökonomin Heike Lehner. Sie vermutet hinter der deutlichen Zinsanhebung aber einen Kompromiss: Im Gegenzug seien wohl Anleihenkäufe im Rahmen des Transmission Protection Instrument (TPI) an schwächere Bedingungen geknüpft, so Lehner.