Gas-Pipeline in Griechenland
Reuters/Alexandros Avramidis
Front gegen Zwang

EU-Gasnotfallplan wird „Mission Impossible“

Der erst am Mittwoch vorgestellte Gassparplan der EU wackelt bereits enorm: Das Vorhaben, mit dem die Kommission im Notfall Mitgliedsländer zum Gassparen verpflichten will, wird vor allem von südeuropäischen Ländern scharf kritisiert. Statt der geforderten europäischen Solidarität zieht sich ein Riss durch die Landkarte – für die Suche nach einem Kompromiss bleibt allerdings kaum Zeit.

Die EU-Kommission fordert 15 Prozent weniger Gasbedarf in den kommenden Monaten: In erster Linie soll das freiwillig erreicht werden, doch wenn akuter Mangel festgestellt wird, dann soll die Kommission im Notfall dieses Ziel auch erzwingen dürfen. Details, was bei Nichterreichen droht, gibt es zwar noch nicht – doch dass die Entscheidung in der Hand Brüssels liegt – ohne Möglichkeit eines Vetos –, sorgte in den vergangenen Tagen für scharfe Kritik.

Portugal, Spanien, Zypern, Griechenland, Polen und nicht zuletzt auch Ungarn haben ihre Ablehnung bereits in unterschiedlicher Deutlichkeit kundgetan – und dabei die verschiedenen Gegebenheiten innerhalb der eigenen Grenzen aufgezeigt. Zypern etwa versteht nicht, warum man sich an den Plänen beteiligen sollte, sei man als Insel ja ohnehin nicht direkt an das Pipelinenetzwerk der EU angeschlossen – und könne damit also im Notfall keinem anderen Land aushelfen.

Aufbereitungsanlage für Erdgas
ORF.at/Roland Winkler
Sollte in einem Land akuter Gasmangel herrschen, könnte die EU die Länder zum Sparen zwingen

Ähnlich skeptisch zeigte sich auch Griechenland: Würde man den Gasverbrauch reduzieren, bedeute das nicht automatisch, „dass mehr Gas nach Deutschland kommt. Das bedeutet nicht, dass es leere Pipelines gibt, die gefüllt werden können“, zitierte „Politico“ den griechischen Energieminister Kostas Skrekas.

Iberische Front gegen Gassparpläne

Besonders viel Widerstand gibt es auch auf der Iberischen Halbinsel, und auch hier sieht man, zumindest hinter vorgehaltener Hand, vor allem Deutschland als Problem. Die spanische Ministerin für ökologischen Wandel, Teresa Ribera, sagte etwa laut „Financial Times“ („FT“): „Im Gegensatz zu anderen Ländern haben wir Spanier nicht über unsere Verhältnisse gelebt, was die Energie angeht.“

Portugal stört vor allem das geplante Vorgehen: „Wir können nicht ein unverhältnismäßiges Opfer annehmen, zu dem wir nicht einmal um eine vorherige Stellungnahme gebeten wurden“, so Portugals Energieminister Joao Galamba laut dem Blatt.

In Spanien und Portugal ist man zwar nicht auf russisches Pipelinegas angewiesen und bezieht große Teile entweder als Flüssiggas oder aus Nordafrika. Die anhaltende Trockenheit im Westen führte jedoch dazu, dass die Energiegewinnung aus Wasser stark zurückging. Stattdessen konzentrierten sich die beiden Länder darauf, Strom aus Gas zu gewinnen, um so den Bedarf zu decken. „Wir konsumieren Gas aus absoluter Notwendigkeit“, sagte Galamba zuletzt.

Unklar ist noch, wie andere Länder, die nicht oder kaum von russischem Gas abhängig sind, über die Pläne denken. Die gewichtigste Rolle spielt hier zweifellos Frankreich – von dem es offiziell bisher nur hieß, dass man sich noch nicht positioniert habe. Energieministerin Agnes Pannier-Runacher sagte jedenfalls, man müsse Aktionen „vorausschauend koordinieren, bevor wir Ziele festlegen, die für alle gleich sind“.

Unentschlossene Länder könnten auf Kritik aufspringen

Im Raum steht laut „Politico“ nun ein Brief jener Länder, die mit den Vorgaben aus Brüssel nicht einverstanden sind. Neben den bereits erwähnten könnten sich auch Italien, Malta und die Slowakei anschließen – das Blatt bezieht sich hierbei auf spanische Angaben. Ziel sei es, die gewünschten Sparziele auf anderem Weg zu erreichen.

Beim Treffen der Energieministerinnen und -minister kommende Woche hätte es schon das grüne Licht für das Vorhaben geben sollen – und die vorgegebenen Ziele somit am 1. August in Kraft treten. Doch die Kommissionspläne brauchen deutlichen Zuspruch, sie müssen mit einer qualifizierten Mehrheit angenommen werden – das heißt von 15 Mitgliedsstaaten, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren.

LNG-Tanker in Spanien
Reuters/Nacho Doce
Nicht alle Länder sind von russischem Gas aus Pipelines abhängig, auch Flüssiggas spielt eine Rolle

Südeuropa gegen Deutschland

Selbst wenn Frankreich also zustimmt, könnte Italien die Pläne damit zu Fall bringen. Anders als bei bisherigem Streit in der EU sind es nun ausgerechnet die Länder am Rande der Union, die nicht von russischem Gas abhängig sind – und nicht bereit sind, für Länder wie Deutschland Kompromisse einzugehen. Deutschlands Vizekanzler Robert Habeck sagte am Donnerstag, man müsse in Europa Energie sparen – und das bedeute, dass auch Länder, die nicht von Russlands Gaseinschränkungen betroffen sind, anderen Ländern helfen müssten. Auch Österreich ist für die EU-Pläne: Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) sah einen wichtigen Schritt und unterstrich die Solidarität.

Ein Diplomat sprach laut „Politico“ angesichts der weit auseinandergehenden Meinungen bereits von „Mission Impossible“, selbst „Tom Cruise könnte die Pläne nicht durchbringen“. Eine Ablehnung würde den EU-Gastnotfallplan zurück auf den Tisch der Kommission werfen, eine schnelle Lösung wäre damit wohl in weiter Ferne.

Ungarn auf eigenen Wegen

All das passiert, während Ungarn überhaupt einen eigenen Weg geht. Schon vergangene Woche rief das Land einen Notstand aus und kündigte an, dass es ab August kein Gas und andere Energieträger mehr an andere EU-Länder liefern will. Ungarns Außenminister Peter Szijjarto bat bei einem überraschenden Besuch in Moskau am Mittwoch um mehr Gas, der Kreml wolle diese Anfrage „umgehend“ prüfen. Das angespannte Verhältnis mit der EU wird Budapest damit wohl nur weiter verschlechtern.

Die Frage ist, wie mögliche Alternativen zum EU-Plan aussehen könnten, auf die man sich vielleicht schneller verständigen könnte. Größter Kritikpunkt der Länder ist zweifellos die Macht Brüssels im Notfall. Das Ziel, 45 Milliarden Kubikmeter Erdgas einzusparen – jene Menge, die durch einen kompletten Wegfall von russischem Gas fehlen würde –, könnte auch ohne konzentrierte Macht in Brüssel erreicht werden, hieß es in den vergangenen Tagen von mehreren Seiten.

Mangott: Gasdebatte nützt Putin

Der Russland-Experte Gerhard Mangott sagte jedenfalls, dass die nunmehrige Debatte Russlands Präsidenten Wladimir Putin in die Hände spiele. Die Möglichkeit zum Zwang durch die EU könnte eine soziale und politische Spaltung vorantreiben: „Wenn die Leute ihre Wohnungen nicht mehr wie gewohnt heizen können oder ihre Jobs verlieren, weil die Industrie nicht mehr genug Gas bekommt, entsteht eine politisch gefährliche Gemengelage“, so Mangott im Gespräch mit der APA.

Das könne in vielen EU-Staaten zu Protesten führen und politische Stabilität untergraben. Das sei genau das, was der russische Präsident wolle. Daher empfiehlt der Politologe, mit solchen Sparzwängen vorsichtig umzugehen.