Russischer Soldat vor Mähdrescher
AP
Ukraine – Russland

Abkommen sollen Getreideblockade lösen

Russland und die Ukraine haben am Freitag in Istanbul zwei separate Abkommen mit der Türkei und den Vereinten Nationen (UNO) unterzeichnet, die den Weg für den Export von Getreide ebnen sollen. Die seit Wochen andauernde Getreideblockade hatte zu weltweiten Ernährungsunsicherheiten geführt. Die Ukraine zählte vor dem russischen Angriffskrieg zu den wichtigsten Getreideexporteuren der Welt.

„Heute gibt es ein Leuchtfeuer am Schwarzen Meer“, sagte UNO-Generalsekretär Antonio Guterres, der gemeinsam mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zwischen den Parteien vermittelte. „Sie haben Hindernisse überwunden und Differenzen beiseite geschoben, um den Weg für eine Initiative zu ebnen, die den gemeinsamen Interessen aller dienen wird“, sagte Guterres an die Adresse der russischen und ukrainischen Vertreter.

„Mit dem in den kommenden Tagen startenden Schiffsverkehr öffnen wir einen neuen Atemweg vom Schwarzen Meer in viele Länder der Welt“, sagte Erdogan. Es sei ein „historischer Tag“. Die Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine soll von den Konfliktparteien unter UNO-Führung gemeinsam überwacht werden.

Laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verfügt die Ukraine über Getreide im Wert von rund zehn Milliarden Dollar, das sie nun verkaufen kann. Es würden rund 20 Millionen Tonnen der letztjährigen Ernte nach Abschluss des Abkommens exportiert. „Das ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Ukraine dem Krieg widerstehen kann“, sagt Selenskyj.

EU fordert konsequente Umsetzung

„Dieses Abkommen kann Millionen von Menschen auf der ganzen Welt zugutekommen“, schrieb EU-Ratspräsident Charles Michel auf Twitter. Die konsequente Umsetzung sei nun von größter Bedeutung. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach von einem „Schritt in die richtige Richtung“. Zugleich forderte er, das Abkommen schnell umzusetzen.

Die EU sei entschlossen, den Export von ukrainischem Getreide zu unterstützen. „Durch Russlands illegale Invasion in die Ukraine sind Millionen von Menschen vom Hunger bedroht.“ Michel und Borrell dankten den Vereinten Nationen und der Türkei für ihre Bemühungen um Vermittlung bei der Vereinbarung.

Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) begrüßte die Vereinbarung. „Die Einigung zwischen den Vereinten Nationen, der Türkei, Ukraine und Russland ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Dadurch kann wieder mehr ukrainisches Getreide exportiert werden.“

Getreidedeal unterzeichnet

Etwa 25 Millionen Tonnen Getreide lagern seit Kriegsbeginn in der Ukraine. Vor allem in Afrika wird es dringend benötigt. Nach wochenlangem Ringen unterzeichneten die Ukraine und Russland nun Abkommen, die die Getreideausfuhr aus der Ukraine regeln.

Kein Vertrag zwischen Ukraine und Russland

Die Ukraine hatte zuvor mitgeteilt, es werde bei der Vereinbarung zu Getreideexporten kein gemeinsames Dokument mit Russland unterzeichnen. Vielmehr würden beide Länder parallel Übereinkünfte mit den Vereinten Nationen und der Türkei schließen, teilte der Berater von Selenskyj, Mychajlo Podoljak, mit. Es werde keine russischen Repräsentanten in ukrainischen Häfen und keine russischen Eskorten von Transporten geben.

Die Zeremonie musste aufgrund der separaten Vereinbarungen zweimal durchgeführt werden. Zunächst unterzeichnete Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu das Abkommen mit der UNO und der Türkei, anschließend der ukrainische Infrastrukturminister Olexandr Kubrakow. In direktem Kontakt standen die zwei Minister dementsprechend nicht.

Viele Kontrollen vor Auslieferung

Derzeit sind zwischen 20 und 25 Millionen Tonnen Getreide in der Ukraine blockiert. Vor der russischen Invasion war die Ukraine der weltweit viertgrößte Exporteur von Weizen und Mais. Der russische Angriffskrieg und seine Folgen haben die Preise für Getreide und Öl in die Höhe getrieben. Nach Angaben von Diplomaten und Diplomatinnen hatte das Abkommen bereits am Mittwoch unterzeichnet werden sollen, was dann aber verschoben wurde.

Oleksandr Kubrakov
Reuters/Umit Bektas
Der ukrainische Infrastrukturminister, Olexandr Kubrakow, unterzeichnete das Abkommen

Die Ausfuhr von Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine soll nun von den Konfliktparteien unter UNO-Führung gemeinsam überwacht werden. Die Einigung sieht ein gemeinsames Kontrollzentrum in Istanbul vor, das von der UNO geleitet und mit Vertretern Russlands, der Ukraine und der Türkei besetzt sein soll. Das Abkommen zu den ukrainischen Getreidelieferungen sieht vor, dass auch die genauen Koordinaten für den humanitären Korridor auf dem Seeweg zwischen der Ukraine und dem Bosporus festgelegt werden.

Zudem einigten sich die Parteien darauf, dass Schiffe mit dem Ziel Ukraine zunächst in Istanbul durchsucht werden, um sicherzustellen, dass sie keine Waffen oder Ähnliches geladen haben. Eine weitere Kontrolle solle es dann in der Türkei geben, wenn Schiffe aus der Ukraine das Schwarze Meer wieder verlassen wollen. Damit solle sichergestellt werden, dass ausschließlich Getreide an Bord ist.

Umsetzung könnte noch dauern

Schiffe in dem humanitären Korridor und die beteiligten Häfen dürften nicht angegriffen werden. Dieser Punkt wird so interpretiert, dass an diesen strategisch wichtigen Orten – zum Beispiel im Hafen von Odessa – faktisch eine Waffenruhe gelten soll. Das Abkommen soll den Angaben zufolge zunächst für vier Monate gelten.

Die UNO machte aber deutlich, dass eine Verlängerung bis zum Ende des Krieges angestrebt werde. Die Umsetzung des Abkommens – und damit die Ausfuhr von Nahrungsmitteln aus der Ukraine – könnte nach UNO-Angaben noch einige Wochen dauern.

Antonio Guterres, Sergei Shoigu und Recep Tayyip Erdogan
Reuters/Umit Bektas
Für Russland unterzeichnete Verteidigungsminister Schoigu die Vereinbarung

Die Ausfuhr von russischem Getreide und Dünger soll durch das Abkommen ebenfalls erleichtert werden. Getreideexporte aus Russland sind nicht direkt mit Sanktionen belegt, werden aber durch Strafmaßnahmen gegen Transportbetriebe, Versicherungen und Banken erschwert. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte bei einem Gipfeltreffen in Teheran im Gegenzug für den Export des ukrainischen Getreides Erleichterungen für den russischen Getreideexport gefordert.

Analyse von Peter Fritz

Können Abkommen die Getreideblockade wirklich lösen? Wer könnte von der Abmachung jetzt am meisten profitieren? Peter Fritz antwortet.

USA lobten „türkischen Verbündeten“

Die US-Regierung hatte im Vorfeld die Ankündigung befürwortet, betonte jedoch, dass Moskau für das zugrundeliegende Problem verantwortlich sei. „Es war eine bewusste Entscheidung Russlands, Lebensmittel als Waffe einzusetzen“, sagte der Sprecher des Außenamtes, Ned Price. Russland müsse nun „für die Umsetzung dieser Vereinbarung zur Verantwortung“ gezogen werden, damit ukrainisches Getreide wieder die Weltmärkte erreiche.

Price lobte vor allem den Einsatz von UNO-Chef Guterres und „die sorgfältige Arbeit unserer türkischen Verbündeten“. Die US-Regierung sei, so der Sprecher des Außenministeriums, über die Einzelheiten des Getreideabkommens, das über zwei Monate hinweg ausgehandelt worden war, auf dem Laufenden gehalten worden.

Die UNO will den diplomatischen Schwung für weitere Verhandlungen nutzen. Moskau und Kiew hätten ihre militärischen Ziele für den Deal zumindest in einigen Gebieten hintangestellt. „Man kann versuchen, darauf aufzubauen, und wir werden versuchen, darauf aufzubauen“, sagte UNO-Sprecher Farhan Haq am Freitag. „Wenn die Parteien konkrete Ergebnisse aus den heute erzielten Vereinbarungen sehen können, kann das meines Erachtens dazu beitragen, ein besseres Klima für künftige Vereinbarungen zu schaffen.“