Demo gegen den Schulmädchenreport 1972 in Salzburg
ORF
„50 Pieces“

So tickte Österreich vor 50 Jahren

50 Jahre ist es her, da bekamen gleich vier Bundesländer in Österreich die „Peichl-Torten“ serviert. Statt Provisorien sollten die Landesstudios Markstein für einen modernen Föderalismus und eine neue Medienpolitik sein. Blickt man freilich ins Archiv, wie es das neue ORF-Format „50 Pieces“ macht, sieht man, dass 1972 in vielerlei Hinsicht in Österreich ein Umbruchsjahr war. Nicht nur, weil man in Salzburg gegen den „Schulmädchenreport“ demonstrierte.

Richard Nixon in Salzburg, Aufstände gegen den deutschen „Schulmädchenreport“, der Heldenempfang für den Skirennläufer Karl Schranz in Tirol, Kussverbote für mehr Anstand, die Verbreitung des Minirocks, der Umgang Vorarlberger Männer mit Migrantinnen und nicht zuletzt – wie so oft – Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und dem ORF: Das kennzeichnet das Jahr 1972 in Österreich, das durchaus auch als Wendejahr angesehen werden kann.

Bruno Kreisky, seit dem Wahlerfolg von 1971 mit einer absoluten Mehrheit im Parlament ausgestattet, gegen Gerd Bacher – das war das Match der Alphatiere im Land. Hier ein Bundeskanzler, der seine neue Macht auch für die Medienpolitik ausnutzen wollte. Da ein Generaldirektor des ORF, der auf der Grundlage des Rundfunkvolksbegehrens von 1966 auf eine weitere Unabhängigkeit des ORF setzte, und nicht zuletzt auch den Föderalismus „als Zeichen der Zeit“, wie er es in einer Eröffnungsrede nannte, modern weiterentwickeln wollte. Das Medienmatch des Jahres 1972 darf durchaus an die Gegenwart erinnern.

ORF-Generalintendant Gerd Bacher für neue Architektur und gegen den Firlefanz

50 pieces

Mautner-Markhof und das Verlegerfernsehen

Bevor Kreisky noch daran denken konnte, als Kanzler mit einer Absoluten im Rücken zentral in die Medienpolitik eingreifen zu können, war im Herbst 1971 der Industrielle Manfred Mautner-Markhof jun. mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten, der ORF möge beide Fernsehkanäle an ein von den österreichischen Zeitungsverlegern gestaltetes Konsortium vermieten. Das, so die Argumentation Mautner-Markhofs, würde ein Programm „unabhängig vom ORF“ befördern – und den Zeitungsverlegern neue Einnahmequellen erschließen.

Bacher reagierte auf den Vorstoß umgehend. In einem Referat vor der amerikanischen Handelskammer bezeichnete sich Bacher zwar als Feind von Monopolen – für den Rundfunk müsse er aber eine Sonderstellung fordern. Einen kleinen Markt wie Österreich könne man nur schwer aufteilen – damals war das Fernsehen in den Worten Bachers „die Trägerrakete der modernen Massenmediengesellschaft“ – ein Satz, den man heute anders formulieren würde. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwo in der Wirtschaft ein Firmeneigentümer die eigenen Anlagen der Konkurrenz zur Verfügung stellen würde“, so Bacher an die Adresse des Industriellen.

1972 ist Gruppendynamik in Alpbach angekommen

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Im Frühjahr 1972 sah man eine Delegation von Zeitungsverlegern im Bundeskanzleramt ankommen. Hanns Sassmann, seines Zeichens jahrzehntelanger Styria-Chef und Präsident des Zeitungsverlegerverbandes, wollte bei Kreisky eine Medienförderung für Zeitungen vorschlagen – angesichts der wirtschaftlich schwierigen Situation der Verleger. Kreisky, so schreiben Hellmut Andics, Viktor Ergert und Robert Kriechbaumer in ihrer „Geschichte des österreichischen Rundfunkes“, habe den Verlegern zunächst versichert, dem ORF sicher keine Gebührenerhöhung ermöglichen zu wollen. Das Verhältnis zwischen Zeitungen und ORF dürfte sich, so versprach Kreisky, keinesfalls zuungunsten der Verleger auswirken. Die Replik aus dem ORF kam vom ehemaligen Zeitungsjournalisten Hugo Portisch: Eine Gebührenerhöhung würde sich deutlich weniger massiv für die Verleger auswirken als eine Ausweitung der Werbezeiten.

Umweltthemen standen bereits 1972 hoch im Kurs

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Das Match wurde vom Kanzler an die paritätische Kommission verwiesen. Bei Kreisky blieb aber der Generalverdacht, der ORF würde sich auf seine Kosten positionieren, etwa, als man den spürbaren Preisanstieg in Österreich im Jahr 1972 im Fernsehen sehr stark thematisierte.

Kreisky und Bacher 1970
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Das Match zweier Alphatiere: Gerd Bacher bei Bruno Kreisky 1970 in der SPÖ-Parteizentrale in Wien

Kreisky und sein „Bomberl“

Auf dem SPÖ-Parteitag im April 1972 in Villach wollte Kreisky jedenfalls vor dem dort anwesenden ORF-General – der die Parteitage aller Coleurs besuchte – ein, wie es damals hieß, „Bomberl“ platzen lassen.

„Ich möchte in aller Öffentlichkeit eine Idee zur Diskussion stellen“, so Kreisky in seinem Referat, „ob nicht der beste Weg der wäre, eine Genossenschaft aller österreichischen Zeitungsherausgeber zu bilden und dieser das Recht zu geben, eine zweite Rundfunkanstalt zu betreiben“. Bis zur Schaffung eines dritten Kanals könnten sich die Verleger in einem besonderen Vertrag beim ORF einmieten und dort ein Kanal zur Verfügung gestellt werden. Aus den Mietkosten könne der ORF wiederum sein Defizit bedecken. Mit dem Gewinn des zweiten Kanals könne wiederum ein Modell der Presseförderung finanziert werden. Abgeschaut hatte sich Kreisky dieses Modell bei den Beteiligungsmodellen in den Aufsichtsgremien beim öffentlichen Rundfunk in Schweden.

Salzburg will keine Sexklamotte

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Das „Bomberl“ zündet nicht

Medienfachleuchte gaben diesem Modell freilich wenig Chance. Dass die finanziell nicht starken Verleger ein konkurrenzfähiges TV-Programm aufstellen könnten, schien ebenso ausgeschlossen wie eine Einigung der Verleger auf ein Genossenschaftsmodell. Zwischen Bacher und Kreisky soll es in Villach eine Aussprache gegeben haben – klar war aber gerade 1972, als Bacher die Landesstudios in Salzburg, Tirol, Vorarlberg und Oberösterreich eröffnete, dass sich der neue Kanzler nicht mit einem „Bacher-ORF“, wie man ihn schon damals nannte, abfinden würde.

Blickt man auf die Gesellschaftsgeschichte, die die „50 Pieces“ in der Auswahl der ORF-Archivarin Silvia Heimader deutlich machen, so zeigt sich, wie traditionell Österreich hinsichtlich Geschlechterrollen und der Beteiligung von Frauen an öffentlichen Veranstaltungen aufgestellt war. Die neuen Studios und der klare moderne Schnitt von Architekt Gustav Peichl musste sich in den Mindsets erst durchsetzen.

Der Minirock ist auch im Westen angekommen

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Sah man in Vorarlberg etwa schon den Minirock in der Gesellschaft angekommen, so macht ein Blick nach Salzburg deutlich, wie traditionell und wertekonservativ gerade jene Teile der Gesellschaft, die sich öffentlich artikulieren wollten, aufgestellt waren. Die Programmierung des deutschen „Schulmädchenreports“ führte in Salzburg jedenfalls zu einer großen Gegendemonstration.

Was die „50 Pieces“, die ORF-Cutter Willy Leitgeb smart geschnitten hat, auch verdeutlichen: Umweltthemen lagen in der Luft. Die drückende Luftbelastung, etwa in Ballungsräumen wie Linz, war mediales Thema. Und der Abfall – er wird gerade im Schatten der Wirtschaftskrisen und weiteren -entwicklungen der 1970er ein großes Thema.