Getreidelager in Odessa
Reuters
Russischer Angriff

Drohender Rückschlag für Getreidedeal

Rund fünf Monate nach Kriegsbeginn hat eine Vereinbarung zur Ausfuhr von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer Anlass zur Hoffnung gegeben. Doch Kiew sieht das Abkommen nach einem russischen Raketenangriff auf den Hafen Odessa nur einen Tag nach dem Deal bereits wieder in Gefahr. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Russland einen Vertragsbruch vor.

„Was Russland auch verspricht, es findet immer einen Weg, es nicht zu erfüllen“, sagte er. Der Chef des ukrainischen Präsidentenbüros, Andrij Jermak, forderte als Reaktion „effektive Sanktionen gegen Russland und mehr Waffen für die Ukraine“. Russland hat nach Angaben des türkischen Verteidigungsminister Hulusi Akar erklärt, es habe nichts mit diesem Angriff zu tun und wolle den Vorfall untersuchen. Eine offizielle russische Reaktion lag bis Samstagabend nicht vor.

Russland hatte am Freitag in einem Abkommen zugesichert, Schiffe für den Export über einen Seekorridor fahren zu lassen und nicht zu beschießen. Auch die drei beteiligten Häfen dürfen demzufolge nicht angegriffen werden. Es geht dabei unter anderem um die Ausfuhr von Millionen Tonnen Getreide. Die unter der Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei unterzeichnete Einigung sieht vor, die Exporte von einem Kontrollzentrum in Istanbul überwachen zu lassen.

UNO, EU und USA verurteilen Angriff

Die Vereinten Nationen und die EU verurteilten den Beschuss umgehend. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres, der am Freitag der Unterzeichnung beigewohnt hatte, betonte, alle Parteien hätten sich klar verpflichtet, den sicheren Export ukrainischen Getreides zu gewährleisten.

„Die vollständige Umsetzung durch die Russische Föderation, die Ukraine und die Türkei ist zwingend erforderlich“, erklärte er. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schrieb bei Twitter, der Beschuss des Hafens zeige „erneut Russlands völlige Missachtung des Völkerrechts und der Verpflichtungen“.

„Zweifel an der Glaubwürdigkeit“

Auch die USA verurteilten den russischen Angriff auf den Hafen „auf das Schärfste“, wie Außenminister Antony Blinken mitteilte. Der Akt unterminiere die Bemühungen der UNO, der Türkei und der Ukraine um die globale Versorgung. Der Angriff wecke „ernsthafte Zweifel“ an der Glaubwürdigkeit des russischen Engagements für den Getreidedeal. Russland trage die Verantwortung für die weltweite Nahrungsmittelkrise, so Blinken.

Feuerwehmänner löschen Feuer in Odessa
Reuters/Ukrainian Armed Forces
Löscharbeiten nach dem Raketenangriff auf den Hafen in Odessa

Zwei Raketen abgefangen, zwei eingeschlagen

Bei dem Beschuss von Odessa wurden nach ukrainischen Angaben zwei russische Raketen von der Luftabwehr abgefangen, zwei weitere sollen im Hafen eingeschlagen sein. Das Außenministerium in Kiew erklärte, der Beschuss wecke Zweifel an dem Abkommen. Sollte es nicht umgesetzt werden, trage Russland die Verantwortung für die globale Lebensmittelkrise.

Bei einem weiteren russischen Raketenangriff wurden ukrainischen Behörden zufolge im zentralen Gebiet Kirowohrad mindestens drei Menschen getötet und neun weitere verletzt. Das russische Militär habe am Samstag von Kriegsschiffen und aus der Luft insgesamt 13 Raketen unter anderem auf den Militärflughafen Kanatowo und ein Objekt der Eisenbahngesellschaft abgefeuert, teilte der Leiter der Militäradministration, Andrij Rajkowitsch, mit.

Angriffe auf Hafen: Getreidedeal wackelt

Einen Tag nach der Einigung auf eine Wiederaufnahme der blockierten Getreidelieferungen ist der für die Ausfuhr wichtige ukrainische Hafen von Odessa nach ukrainischen Angaben von russischen Raketen getroffen worden. Der Getreidepakt scheint daher wieder gefährdet.

GB: Gegenangriffe gefährden Moskaus Nachschubrouten

Die ukrainischen Gegenangriffe im von Russland besetzten südlichen Gebiet Cherson gefährden nach Einschätzung britischer Geheimdienste die Nachschubrouten für das russische Militär westlich des Flusses Dnipro. In den vergangenen zwei Tagen hätten dort heftige Gefechte stattgefunden, hieß es am Samstag in einem Bericht des britischen Verteidigungsministeriums.

Die einzige Straßenbrücke über den Dnipro in Cherson wurde einige Tage zuvor von ukrainischen Raketenangriffen mit US-amerikanischen HIMARS-Raketenwerfern stark beschädigt. Die Zerstörung der Flussquerungen wurde von Kiew als Option genannt, um einen Rückzug der Russen auf das linke Dnipro-Ufer zu verhindern.

Selenskyj dankt den USA für Waffen

Der ukrainische Präsident Selenskyj dankte den USA für die angekündigten neuen Waffenlieferungen. „Extrem wichtig, schlagkräftige Waffen werden die Leben unserer Soldaten retten, die Befreiung unseres Landes vom russischen Aggressor beschleunigen“, teilte Selenskyj am Samstag via Twitter mit. „Ich schätze die strategische Partnerschaft zwischen unseren Nationen. Gemeinsam zum Sieg!“

Die USA kündigten zuletzt weitere Waffenlieferungen an die Ukraine mit einem Wert von rund 270 Millionen Dollar an. Darin enthalten sind nach offiziellen Angaben vier HIMARS-Mehrfachraketenwerfer. Das neue Paket umfasse unter anderem Raketen für die HIMARS-Systeme, 36.000 Artilleriegranaten, Fahrzeuge und bis zu 580 Phoenix-Ghost-Drohnen.