Detail der OMV-Erdgsspeicheranlage in Schönkirchen
ORF.at/Roland Winkler
Gassparzwang mit Aber

EU-Länder wollen Notfallplan verwässern

Beim Treffen der EU-Energieministerinnen und -minister am Dienstag in Brüssel wird vor allem ein Thema im Mittelpunkt stehen: der letzte Woche angekündigte und seither umstrittene Gasnotfallplan der EU. Dass die Kommission im Notfall ein verpflichtendes Sparziel vorgeben kann, hat zu breiter Kritik vieler Mitgliedsländer geführt. Diese wollen den Vorschlag nun in letzter Minute deutlich verwässern.

Ursprünglich sah der Kommissionsplan vor, dass in den kommenden Monaten 15 Prozent des Gasbedarfs eingespart wird – an sich als freiwillige Vorgabe. Doch vor allem die Möglichkeit, einen EU-weiten Notstand auszurufen, sorgte für Widerstand – damit wären die Einsparungen verpflichtend geworden, für alle Mitgliedsländer und ohne Ausnahme.

Das sorgte vor allem in Südeuropa für Aufregung: Einige Länder sahen die EU-Pläne vor allem als Absicherung für Deutschland, das besonders von russischem Gas abhängig ist. Nicht alle Länder wollten bei der Verpflichtung zur Solidarität mitspielen und teilten vergangene Woche ihren Unmut über den Vorschlag mit. Diplomaten sprachen schon von einer „Mission Impossible“, eine Einigung am Dienstag schien höchst unwahrscheinlich.

Doch nach dem Abstecken der stark unterschiedlichen Positionen gab es am Montag zumindest Bewegung. Auch Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) sagte am Montag am Rande einer Pressekonferenz, dass momentan noch verhandelt werde. In Brüssel trafen die Botschafterinnen und Botschafter zusammen, um nach einer gangbaren Lösung für die Mitgliedsstaaten zu suchen.

Ministerin Gewessler zu EU-Energiesparplänen

Am Dienstag stimmen die EU-Staaten über den Gasnotfallplan der Kommission ab, 15 Prozent des Verbrauches sollen in der Union zunächst freiwillig eingespart werden. Ob es eine Mehrheit dafür gibt, ist fraglich. Dazu war Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) aus Brüssel in der ZIB2.

Verpflichtende Ziele sollen Ausnahmen bekommen

Das geht aber gleichzeitig mit einem Aufweichen der ursprünglichen Idee hinter dem Notfallplan einher: In einem Entwurf, der der „Financial Times“ („FT“) und „Politico“ am Montag vorlag, bekennt man sich zwar zum freiwilligen Sparziel. Aber bei den verpflichtenden Zielen werden Ausnahmen gefordert. So soll etwa die „spezifische geografische oder physische Lage“ der Länder in Betracht gezogen werden, zitiert „Politico“ aus dem Entwurf.

Europaratgebäude in Brüssel
ORF.at/Florian Bock
In Brüssel werden die Energieministerinnen und -minister über die Vorschläge der Kommission beraten

Das würde wohl vor allem Länder treffen, die überhaupt nicht an das Gasnetz angeschlossen sind, wie etwa Zypern, das vergangene Woche scharfe Kritik an der EU-Idee übte: Damals hieß es, man sei als Insel ohnehin nicht an das Pipeline-Netzwerk der EU angeschlossen – im Notfall könne man keinem anderen Land aushelfen. Auch Länder, die stark auf Gas zur Stromerzeugung setzen, könnten eine Ausnahme erwirken, etwa auf der iberischen Halbinsel, wo Gas im Hinblick auf die Dürre zum wesentlichen alternativen Stromlieferanten wurde.

Auch kritische Sektoren wie die Chemie- und Stahlindustrie könnten ausgenommen werden, heißt es weiter. Diskutiert wird offenbar auch, unter welchen Umständen der EU-weite Alarm ausgerufen werden könne. Statt ursprünglich drei Ländern in einer Notlage sollen es künftig fünf sein. Die Alarmierung allein durch die Kommission soll zwar erhalten bleiben – aber dann erst durch die Mitgliedsländer abgesegnet werden. Am Montagnachmittag waren diese Änderungen in Brüssel immer noch im Gespräch.

Ursprünglicher Entwurf wohl kein Thema mehr

Die Debatten darüber werden damit auch das Ministertreffen am Dienstag bestimmen. Der ursprüngliche Kommissionsplan dürfte dabei jedenfalls keine allzu große Rolle mehr spielen, auch Frankreich, das sich bisher nicht eindeutig positioniert hatte, stellte sich gegen den Entwurf. Eine einheitliche Sparvorgabe für alle EU-Staaten sei nicht realistisch, hieß es am Montag aus dem Umfeld der französischen Energiewendeministerin Agnes Pannier-Runacher in Paris. Frankreich sei zwar zur „Solidarität“ mit Deutschland bereit, hieß es aus Paris weiter. Aber der Notfallplan müsse „die besondere Situation jedes Mitgliedsstaates berücksichtigen“.

Agnes Pannier-Runacher, französische Energieministerin
Reuters/Benoit Tessier
Das Umfeld der französischen Energieministerin Pannier-Runacher will individuelle Ausnahmen

Auch andere Details werden kritisiert: So kündigte Griechenland an, den ursprünglichen EU-Vorschlag nicht mitzutragen. Man wolle Ausnahmen erreichen, so ein Regierungssprecher. Aus Sicht seines Landes müsse die Basis für den Verbrauch das vergangene Jahr sein und nicht der Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Müsste sich Griechenland an die geplante Fünf-Jahres-Regelung halten, müsse es 24 statt 15 Prozent Gas einsparen, so der Sprecher.

„Mutter aller Ausnahmeregelungen“

Laut dem Energieexperten Christian Egenhofer vom Centre for European Policy Studies (CEPS) sei es wichtig, den Menschen klarzumachen, dass die Lage „ernst ist“, wie er im Gespräch mit dem ORF sagte. Es gehe darum zu signalisieren, dass etwas passieren müsse. Er verwies auch auf die momentane Preissituation, die dazu führen würde, dass Konsumentinnen und Konsumenten etwa weniger stark heizen – und die auch in der Industrie zu Drosselungen führen würde, so Egenhofer.

Ein EU-Diplomat bezeichnete den neuen Kompromissentwurf laut „FT“ unterdessen als „die Mutter aller Ausnahmeregelungen“. Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert unterdessen einen EU-Diplomaten, der darauf verweist, dass man die Solidarität durch die Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen sichern wolle. Zugleich müsse aber dafür klar sein, dass der Vorschlag nicht so weit abgeschwächt werde, dass er zu einem „zahnlosen Tiger“ werde. Die Hürde für eine Annahme ist jedenfalls groß: Der Plan müsste mit einer qualifizierten Mehrheit angenommen werden – das heißt von 15 Mitgliedsstaaten, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wiederholte ihre Forderung, dass sich auch Länder mit geringer Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen an Einsparanstrengungen beteiligen. „Auch Mitgliedsstaaten, die kaum russisches Gas beziehen, können sich den Folgen eines möglichen Lieferstopps in unserem Binnenmarkt nicht entziehen“, sagte sie der dpa kurz vor dem Sondertreffen der Energieministerinnen und -minister. Die Volkswirtschaften in der EU seien eng miteinander verwoben. Eine Gaskrise betreffe in der einen oder anderen Form jeden Mitgliedsstaat.