Menschen auf der Straße
ORF.at/Dominique Hammer
CoV-Regeln fixiert

Experten skeptisch zu Quarantäne-Aus

Die Entscheidung, ob künftig eine Quarantäne für Coronavirus-Infizierte gilt oder nicht, ist offenbar gefallen. Denn nach dem politischen Tauziehen zwischen Bund und Ländern wollen Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher am Dienstagnachmittag das Verhandlungsergebnis präsentieren. Das mögliche Aus der Quarantäne wird von Experten skeptisch gesehen.

In einigen Nachbarstaaten Österreichs ist die CoV-Quarantäne bereits gefallen. Nicht mehr isolieren muss man sich nach einem positiven Test in Slowenien, der Schweiz und Liechtenstein. In Deutschland und Italien sind die Regeln immer noch strenger – ähnlich wie aktuell hierzulande. Doch in den vergangenen Tagen hatten insbesondere die Stimmen aus der Politik für das Aus zugenommen. Auch Gesundheitsminister Rauch hatte das Vorhaben auf Twitter angekündigt – und dafür und wegen seiner Argumentation ordentlich Kritik einstecken müssen.

Das Aus für die Quarantäne dürfte aber besiegelt sein, wie mehrere Medien berichteten. Angedacht ist nun ein Variantenmanagementplan (VMP), der am Nachmittag präsentiert werden soll. „Schutz von Risikogruppen durch Impfen und Medikamente, Absonderung oder Verkehrsbeschränkung, Schutz von Risikogruppen am Arbeitsplatz“, heißt es in der Ankündigung der Pressekonferenz. Zuvor hatte die Gratiszeitung „Heute“ über den Variantenmanagementplan berichtet.

Wie die Coronavirus-Ampel orientiert sich der Plan an Szenarien. Im besten Fall, so schreibt „Heute“, gebe es keine Maskenpflicht oder Zugangsregeln. Treten allerdings neue, resistentere und virulentere Coronavirus-Mutanten auf, könnte erneut ein Lockdown drohen. Dazwischen reihen sich wieder die Zugangsbeschränkungen nach den G-Regelungen. Die Frage, in welchem Szenario sich Österreich jetzt befinde, ist allerdings noch nicht bekannt.

Hutter: „Nächster Fehler“

Vonseiten der Fachleute gab es zuletzt Bedenken gegen den Plan der Regierung, die Quarantäne für Infizierten zu beenden. Der Virologe Norbert Nowotny und der Simulationsforscher Niki Popper warnten kürzlich davor, vulnerable Gruppen mit einem Aus der Quarantäne einer zu großen Gefahr auszusetzen. Wenn Infizierte in Spitälern und Pflegeheimen arbeiten dürfen, sei das „zu gefährlich“ für die Patienten und Pflegebedürftigen – mehr dazu in wien.ORF.at.

Umweltmediziner Hutter zu Quarantäne

Umweltmediziner Hans Peter Hutter spricht über die Sinnhaftigkeit eines Quarantäne-Aus zum aktuellen Zeitpunkt.

Umweltmediziner Hans-Peter Hutter war da deutlich direkter. Er nannte das bevorstehende Aus der Quarantäne einen „Fehler“. Neben den bereits abgeschafften Maßnahmen, um die Coronavirus-Infektionen zu verringern, sei die Quarantäne die letzte „Säule“, die noch existiert.

Für Hutter ist es nicht nachvollziehbar, dass die Politik diesen Schritt setzen will. Man könne über ein früheres Freitesten aus der Quarantäne sprechen, aber: „Wir haben Fehler gemacht, weil wir alle Maßnahmen haben fallen lassen. Jetzt haben wir viele Infizierte. Jetzt kommt der nächste Fehler.“

„Anders kann ich mir das nicht vorstellen“

Gegenüber dem „Standard“ betonte Herwig Kollaritsch, Infektiologe und Mitglied des Nationalen Impfgremiums (NIG), kürzlich, dass es sich um eine „rein politische Entscheidung“ handle. Er könne aber nur vermuten, wie sich ein Ende der Quarantäne auswirken werde.

„Irgendetwas muss aber anstatt der Quarantäne kommen, wieder mehr testen oder verstärktes Masketragen, anders kann ich mir das nicht vorstellen. SARS-CoV-2 ist ja immer noch eine hochansteckende Infektionskrankheit. Und so wie bei anderen Krankheiten auch müssen wir die Verbreitung überwachen, damit wir wissen, was in der Bevölkerung geschieht.“

Gesundheitsminister Johannes Rauch
APA/Bubu Dujmic
Gesundheitsminister Rauch wird am Nachmittag die Entscheidung der Regierung verkünden

Aus für Quarantäne für Komplexitätsforscher möglich

Nicht aus der Virologie, aber aus der Komplexitätsforschung kommen andere Worte. Komplexitätsforscher Peter Klimek spricht sich für das Ende der Isolationspflicht aus. Länder wie Spanien und Großbritannien würden diesen Weg seit Monaten gehen, und dort habe es die Spitäler auch nicht zerrissen. „Ich finde, dass momentan dieser Schritt in Österreich möglich ist, ohne das Gesundheitssystem unmittelbar zu gefährden“, sagte Klimek in der „Presse“.

Der Molekularbiologe Ulrich Elling spricht sich klar gegen die Aufhebung der Quarantäne aus. Auf Twitter fragte der Experte, ob „noch jemand“ zuhöre. Andreas Huss, Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), forderte die Wiedereinführung der telefonischen Krankmeldung, weil wieder mehr CoV-Infizierte in die Arztpraxis kommen werden.

Innerhalb der gesamtstaatlichen Covid-Krisenkoordination (GECKO) gehen die Meinungen auseinander – und nach der Sitzung vor zwei Wochen hätte es einen veritablen Konflikt gegeben, berichtete die „Presse“. Denn obwohl es in der Sitzung kein Thema war, fand sich darin ein Bericht einer Arbeitsgruppe der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), der laut „Presse“ als Zustimmung zum Quarantäneende interpretiert hätte werden können – obwohl die Mehrheit der GECKO-Mitglieder den Zeitpunkt für ein Quarantäneende nicht für richtig halte.

SPÖ-Länder mit scharfer Kritik

Die Überlegungen über ein Absehen von der Quarantäne hatte insbesondere bei den SPÖ-regierten Ländern für Ärger gesorgt. Wien orientiere sich an den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und sei gegen das Aus der Quarantäne, sagte etwa der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). „Ich sehe den Vorstoß der Bundesregierung als Schritt in die falsche Richtung. Wir gehen davon aus, dass wir im Herbst mit einer weiteren Welle zu rechnen haben“, so Ludwig – mehr dazu in wien.ORF.at.

Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) kritisierte in einer Stellungnahme nach dem am Montag stattgefundenen CoV-Gipfel, dass „die Bundesregierung wesentliche Fragen und fast alle Details offengelassen“ habe. Ein Strategiewechsel müsste stufenweise angelegt werden, stattdessen würde ein „Hüftschuss mit schwerwiegenden Folgen riskiert“. Die Vorarlberger SPÖ-Landesvorsitzende Gabriele Sprickler-Falschlunger hält das geplante Quarantäne-Aus für keine gute Idee. Der Gesundheitsminister habe nicht mitgedacht, sagte Sprickler-Falschlunger, die mit Rauch verheiratet ist – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) sagte, es handle sich bei den Überlegungen um einen „Strategiewechsel, für dessen Folgen die Bundesregierung die volle Verantwortung übernehmen muss“, etwa wenn es im Herbst bei einer neuen CoV-Welle oder gefährlichen Virusvarianten Probleme bei der Wiedereinführung von Maßnahmen wie etwa dem Contact-Tracing geben sollte – mehr dazu in kaernten.ORF.at.

Vorarlberg und Oberösterreich zufrieden mit Ausgang

Barbara Schöbi-Fink hingegen, die aktuell die Vorarlberger Landesregierung leitet, verwies nach dem Gespräch darauf, dass es „deutliche Stimmen“ für ein Ende der Quarantäne gebe. Vorarlberg sei auch dafür. „Wir müssen mit dem Virus leben lernen.“ Sie würde ein Quarantäne-Aus nicht für verantwortungslos halten. Die Stadt Wien habe trotz strengerer Maßnahmen keine besseren Zahlen als Vorarlberg – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at. Für ein Ende der Quarantäne sprach sich etwa der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP) aus – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Zufrieden war auch der oberösterreichische ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer. Man habe „einen großen Schritt“ in Richtung des von ihm seit Wochen geforderten Paradigmenwechsels gemacht. Er sei „zuversichtlich, dass auch in Österreich bald Realität ist, was in vielen europäischen Ländern im Umgang mit Corona vorgelebt wird. Wer sich krank fühlt, bleibt zu Hause, um andere zu schützen.“ Aber positiv Getestete „zu Hause einzusperren und vom Arbeitsmarkt auszusperren“ sei mittlerweile nicht mehr notwendig, bekräftigte Stelzer seine Haltung.

Vertreter von Bund und Länder bei Beratung
APA/BKA/Dragan Tatic
Bundesregierung und Landeshauptleute waren sich teilweise uneinig. Das Bild stammt aus dem Bundeskanzleramt, da keine Fotografen von außerhalb zugelassen waren

Tirols Gesundheitslandesrätin Annette Leja (ÖVP) erklärte gegenüber der APA, das Bundesland trage den Vorschlag des Bundes mit. Leja betonte, dass die anwesenden Experten den Vorschlag zur Quarantäneabschaffung mit „fachlichen Argumenten“ untermauert hätten. Man erwarte sich vom Bund aber „konkrete Maßnahmen für den Schutz besonders gefährdeter Personen, Einrichtungen und Institutionen“. Der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer rechnete fix mit einem Aus für die Quarantäne Infizierter. Die Lockerung sei vertretbar, sagte er – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

FPÖ: Pläne gehen nicht weit genug

Der FPÖ geht all das Geplante nicht weit genug. Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak sah in einer Aussendung auch keinen Anlass mehr für Verkehrsbeschränkungen. Die Erkrankungsschwere und das Hospitalisierungsrisiko lägen inzwischen unter jenem der Grippeviren, welche ja auch nicht im Epidemiegesetz erfasst seien: „Was wir brauchen, ist mehr Hausverstand im Krisenmanagement: Wer krank ist, soll sich krankschreiben lassen und zu Hause bleiben, wer gesund ist, geht arbeiten.“ Zutrittstestungen befürwortet er immerhin für sensible Settings wie Spitäler und Altenheime.