Die nötige Mehrheit im EU-Rat für eine deutlich abgeschwächte Version des Kommissionsplanes kam am Dienstag rasch zustande. Kernstück ist eine lediglich freiwillige Einsparung von 15 Prozent. Dazu gibt es einen Mechanismus, der dieses Sparziel im Ernstfall zwingend machen soll.
EU-Energiekommissarin Kadri Simson und der tschechische Industrie- und Handelsminister Jozef Sikela, dessen Land derzeit den Ratsvorsitz innehat, lobten die Einigung. Wie viele andere verwies auch Simson auf die schnelle Entscheidung, weniger als eine Woche nach der Präsentation des Notfallplanes durch die Kommission.
Simson warnt vor Grenzen des Plans
Aufgrund der beschlossenen Ausnahmen warnte Simson allerdings, dass die Einsparziele nach einer ersten Kalkulation nur ausreichen werden, um im Fall eines Stopps russischer Lieferungen sicher durch einen normalen Winter zu kommen. Für einen kalten Winter wird es ihr zufolge bei einem Lieferstopp noch im Juli nicht reichen. Simson sprach von notwendigen Einsparungen von 30 Milliarden Kubikmeter für einen durchschnittlichen Winter und 45 Milliarden Kubikmeter für einen kalten Winter.
Gewessler: „Wichtiges Zeichen“
Trotz der Ausnahmen glaubt Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne), dass das Ziel erreicht werden könne. In Österreich habe man bereits im Vergleich zum Vorjahr zehn Prozent eingespart, sagte die Grünen-Politikerin. „Das zeigt, Sparen ist möglich, wir können das erreichen, das ist ein Kraftakt, aber es geht.“ Da werde es Beiträge der Industrie, der öffentlichen Hand und der Haushalte brauchen, hatte Gewessler vor Beginn des Treffens betont.
Als „wichtiges Zeichen“ bezeichnete die Energieministerin den Kompromiss nach der Sitzung. „Europa lässt sich nicht spalten – wir halten Putins perfider Strategie stand“, teilte Gewessler mit Verweis auf den russischen Präsidenten mit. Sie hob zudem die Solidarität unter den Mitgliedsstaaten hervor und forderte erneut von der EU-Kommission mehr Tempo beim gemeinsamen Gaseinkauf.
Unterdessen sieht der Chef der Internationalen Energie-Agentur (IEA), Fatih Birol, Europa trotz des Notfallplanes nicht ausreichend vorbereitet. Um eine größere Krise zu verhindern, müsse Europa seinen Gasverbrauch um 20 Prozent verringern.
Sikela: „Signal an Kreml“
Sikela betonte, man habe ein „starkes Signal“ der Geschlossenheit an die Welt und vor allem in Richtung Kreml senden wollen, dem der tschechische Ratsvorsitzende vorwarf, absichtlich den Gaspreis in die Höhe schrauben zu wollen. Über Sanktionen, wenn ein Staat gegen die Vorgaben verstoße, sei nicht beraten worden.
Die Einigung hatte sich seit dem Vorabend abgezeichnet. Geholfen haben dürfte dabei die Ankündigung von Gasprom, die Gaslieferungen erneut drastisch zu reduzieren. EU-Energiekommissarin Simson nannte diese Kürzung „politisch motiviert“.
EU einigt sich auf Gasnotfallplan
Angesichts der drohenden Gasknappheit in Europa spätestens im Winter haben sich die EU-Energieministerinnen und -minister am Dienstag auf den Gasnotfallplan geeinigt. Die nötige Mehrheit ist zustande gekommen. Der ohnehin stark abgeschwächte Plan sieht eine freiwillige Einsparung von 15 Prozent vor.
Habeck: „Zeichen gegen alle Spötter“
Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck sprach nach der Einigung von einem starken politischen Signal gegen Erpressungsversuche des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Habeck verwies ebenso auf die für EU-Verhältnisse sehr rasche Einigung und sprach von einem „starken Zeichen gegen alle Spötter und Verächter der EU“.
Die Menge reiche in etwa aus, um einen Totalausfall russischen Gases abzufangen, so Habeck. Er betonte, dass man nicht mehr überrascht sein sollte, wenn Moskau den Gashahn ganz zudrehe, höchstens, wenn das nicht passiere.
Sulik empfiehlt Neustart von AKWs
Der slowakische Amtskollege Robert Sulik betonte, mit Ausnahmen habe sein Land ein Volumen gesichert, das über dem Verbrauch der letzten Jahre liege. Deutschland riet Sulik, seine AKWs wieder ans Netz anzuschließen, damit ließe sich auf einen Schlag die Hälfte des nötigen Einsparungspotenzials bei Gas ersetzen, so Sulik. Dem widersprach Habeck, der betonte, drei AKWs müssten zuerst ein Genehmigungsverfahren durchlaufen, die anderen könnten nur einen Bruchteil des Gasbedarfes ersetzen.
Zugleich widersprach der Grünen-Politiker Darstellungen, wonach nur Deutschland besonders abhängig von russischem Gas sei. „Das ist ein mittelosteuropäisches Problem“, sagte er. „Man hat sich zu lange zu blind auf das günstige, billige, ewig fließende russische Gas verlassen.“
Freiwillige Reduktion des Gaskonsums
Der Plan sieht wie von der EU-Kommission vorgeschlagen vor, den nationalen Konsum im Zeitraum 1. August bis 31. März freiwillig um 15 Prozent zu senken. Mithilfe des reduzierten Konsums soll die EU auch bei einem kompletten Gaslieferstopp aus Russland durch den Winter kommen. Der Plan sieht auch die Möglichkeit vor, bei weitreichenden Versorgungsengpässen einen Unionsalarm auszulösen und statt der freiwilligen verbindliche Einsparziele vorzugeben.
Deutlich mehr Ausnahmen vorgesehen
Im Vergleich zum ersten Entwurf der Kommission sind dafür allerdings deutlich mehr Ausnahmemöglichkeiten vorgesehen, und auch die Hürden für die verpflichtende Einführung der Ziele wurden erhöht. Letztere sollen nur vom Rat der Mitgliedsstaaten und nicht von der EU-Kommission durchgesetzt werden können. Konkret bedeutet das, dass ein Kommissionsvorschlag für verbindliche Einsparziele die Zustimmung einer Gruppe von 15 der 27 EU-Länder braucht. Zudem müssten diese zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen.
Ausnahmeregelungen sollen zum Beispiel vorsehen, dass Länder wie Zypern, Malta und Irland nicht zum Gassparen verpflichtet werden sollten, solange sie nicht direkt mit dem Gasverbundnetz eines anderen Mitgliedsstaats verbunden sind. Bei anderen Staaten sollen zum Beispiel Anstrengungen zur Einspeicherung von Gas, eine drohende Stromkrise und der Verbrauch von Gas als Rohstoff etwa zur Erzeugung von Düngemitteln – Letzteres betrifft unter anderem Deutschland – die verpflichtende Einsparmenge reduzieren können.
Ungarn stimmte dagegen
Gegen den Plan stimmte Ungarn. Außenminister Peter Szijjarto sagte nach Angaben eines Regierungssprechers: „Für Ungarn ist diese Entscheidung völlig inakzeptabel, und ihre Umsetzung kommt nicht infrage.“ Ungarische Interessen würden ignoriert. Griechenland und Polen hatten sich gegen verpflichtende Maßnahmen ausgesprochen. Einige EU-Diplomaten äußerten die Sorge, die Folge der Ausnahmen könne sein, dass am Ende zu wenig Gas eingespart werde.
Ursprünglicher Plan deutlich strenger
Der ursprüngliche Plan hatte vor allem in Südeuropa für Aufregung gesorgt. Nach dem Wunsch der EU-Kommission hätte jedes Land seinen Gasverbrauch bis März um 15 Prozent senken sollen, gemessen am Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Für den Fall, dass der Konsum nicht schnell genug zurückgehe, wollte Brüssel verpflichtende Sparziele vorgeben.

Haidach wird ab August befüllt
Unterdessen soll die Befüllung des Erdgasspeichers Haidach ab 1. August erfolgen. Zuständig ist laut Klimaministerium die RAG Austria AG als technische Betreiberin der Anlage. Das Unternehmen habe bereits mit der Vermarktung der Kapazitäten begonnen, die Reihung von Anfragen aus der Wirtschaft erfolge nach dem „First Come, First Served“-Prinzip. Der Schritt soll dazu beitragen, die österreichischen Speicherziele für den Herbst zu erreichen.
Aufgrund der fehlenden Einspeicherung in den Speicher Haidach durch den russischen Gasprom-Konzern hatte die Regierung eine gesetzliche Regelung beschlossen, wonach alle Speicher in Österreich auch genutzt werden müssen. Wird ein Speicher systematisch nicht befüllt, müssen andere Unternehmen die Möglichkeit bekommen, dort einzuspeichern.
Der Speicher Haidach hatte zuletzt auch für Debatten in Bayern gesorgt, weil dieser derzeit nur ans deutsche Netz angeschlossen ist und für Bayerns Versorgung wichtig ist.
Gasprom reduziert Liefermenge
Der russische Gaskonzern Gasprom kündigte am Montag an, die Lieferungen durch die Ostseepipeline „Nord Stream 1“ weiter zu senken. Ab Mittwoch, 6.00 Uhr werden laut Gasprom noch 20 Prozent oder 33 Millionen Kubikmeter Gas täglich durch die wichtigste Versorgungsleitung nach Deutschland fließen. Grund sei die Reparatur einer weiteren Turbine, hieß es vom Unternehmen. Ministerin Gewessler sagte dagegen in der ZIB2 unter Verweis auf die Regulierungsbehörde E-Control, es gebe „keinen technisch nachvollziehbaren Grund für diese Ankündigung“. Man müsse von einer „politischen Ankündigung“ ausgehen, so die Ministerin.