Menschen in einer U-Bahn-Station
Getty Images/Moment RF/Christoph Hetzmannseder
Aus für Quarantäne

Neue Regeln, anhaltende Kritik

Seit Dienstag ist fix, dass ab 1. August neue Regeln für CoV-Infizierte gelten – der Gang in die Quarantäne ist dann nicht mehr vorgeschrieben. Vielmehr können positiv Getestete dann mit einigen Einschränkungen das Haus verlassen, wenn sie sich nicht krank fühlen. Während Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) die Entscheidung verteidigt, kommt aus den roten Ländern weiter laute Kritik. Die Ärztekammer verlangt Begleitmaßnahmen, und auch bei GECKO scheint die Skepsis zu überwiegen.

Ab August sollen positiv Getestete lediglich noch Verkehrsbeschränkungen unterworfen sein. So muss etwa eine FFP2-Maske getragen werden, wenn man sich anderen Menschen auf weniger als zwei Meter nähert. Zudem gibt es Betretungsverbote. Das betrifft Krankenanstalten ebenso wie Pflege-, Behinderten- und Kuranstalten, Kinderbetreuungseinrichtungen, Volksschulen und Horte. Wer dort arbeitet, darf die Einrichtungen auch mit einem positiven Test betreten.

Ohnehin ist Arbeiten mit positivem Test künftig wieder möglich, wenn eine Maske angelegt ist. Keine Beschränkungen gibt es, wenn am Arbeitsplatz nur aktuell infizierte Personen zusammentreffen. In vulnerablen Settings wie Krankenhäusern ist eine Maske zu tragen. Zu beachten ist, dass die Verkehrsbeschränkungen nicht erst nach einem positiven PCR-Test laufen, sondern bereits nach einem Antigen-Test gelten.

Grafik zum Aus der Coronavirus-Quarantäne
Grafik: APA/ORF.at

Comeback für telefonische Krankschreibung, Risikogruppen

Die Lockerung wird an mehrere Begleitmaßnahmen gekoppelt. So wird einerseits die telefonische Krankmeldung wieder aktiviert, andererseits tritt die Risikogruppenverordnung wieder bundesweit in Kraft. Durch letztere sollen besonders Gefährdete unter anderem am Arbeitsplatz geschützt werden. Betroffen sind Personen, die trotz Impfung schwere Verläufe zu befürchten haben oder nicht geimpft werden können.

ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher führte aus, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auf Basis eines Covid-Risikoattests betroffenen Beschäftigten Schutzmaßnahmen wie Einzelbüros oder Homeoffice zur Verfügung stellen müssen. Können solche nicht gewährt werden, gibt es einen Rechtsanspruch auf Dienstfreistellung.

Verwiesen wurde bezüglich des Quarantäne-Aus darauf, dass Bevölkerung und Unternehmen verantwortungsbewusst handeln müssten: „Wer krank ist, soll nicht arbeiten gehen.“ Man werde jedenfalls nicht „flächendeckend Polizisten aufstellen“, um den Gesundheitszustand von Menschen zu kontrollieren.

„Neue Phase der Pandemiebekämpfung“

Rauch verwies erneut auf die Devise: „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“ und die vielfältigen psychosozialen Auswirkungen der Krise. Die Situation sei eine andere als 2020, wo man einem unbekannten Virus mit einem „leeren Werkzeugkoffer“ gegenübergestanden sei. Mittlerweile kursiere nicht nur eine Variante mit milderen Vorläufen, man verfüge auch über Gegenmaßnahmen wie die Impfung und Medikamente. Entsprechend gehe man „gut vorbereitet in eine neue Phase der Pandemiebekämpfung“.

Im Interview in der ZIB2 verteidigte Rauch die Entscheidung für das Quarantäne-Aus. Das auch gegen Kritik seiner Frau, der Vorarlberger SPÖ-Vorsitzenden Gabriele Sprickler-Falschlunger ("Ich liebe meine Frau, sie hat eine andere Meinung, das ist auch gut so“). Auf Details der praktischen Umsetzung der Verordnung etwa in Großraumbüros wollte er sich nicht einlassen. Auch zur Frage der Betreuung symptomfreier positiv getesteter Kindergartenkinder fühlte er sich nicht zuständig.

Gesundheitsminister Rauch zum Quarantäne-Aus

Etliche Expertinnen und Experten sehen das Quarantäne-Aus für CoV-Infizierte äußerst kritisch. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) nimmt im Studio Stellung zur neuen Verordnung.

Reich: Coronavirus „langfristige Sache“

Zur Lage in den Krankenhäusern äußerte sich Chief Medical Officer Katharina Reich. Das neue Covid-19-Register zeige, dass „mit Omikron die Lage verändert ist“. Die Covid-Betten seien derzeit etwa zur Hälfte tatsächlich wegen Covid-Fällen belegt, bei der anderen Hälfte seien die Betroffenen wegen einer anderen Hauptdiagnose im Spital und im Zuge dessen auf Covid-19 getestet worden.

Angesichts der Lage seien die Lockerungen aktuell „der richtige Weg“. Das Coronavirus sei eine „langfristige Sache“, die nicht nach dem Winter vorbei sein werde. Man müsse damit leben. „Die Verkehrsbeschränkung ist der erste Schritt weg vom Krisenmodus zum Akzeptanzmodus“, so Reich. Man könne die Pandemie nicht für beendet erklären, sich aber langfristig rüsten.

Hoffen auf mehr Testbereitschaft

Reich betonte, dass Covid-19 deswegen auch weiterhin eine meldepflichtige Krankheit bleiben soll, damit der Überblick aufrecht bliebe. Entsprechend wurde auch auf den Variantenplan für den Herbst verwiesen, der verschiedene Szenarien und entsprechende Maßnahmen berücksichtigt.

Die verfügbaren Medikamente seien zudem ein „deutliches Sicherheitsnetz“, hier soll der Zugang niederschwelliger werden. Zudem werde die Maske nun „wichtiger denn je“. Reich äußerte auch die Hoffnung, dass sich durch die neuen Maßnahmen die Testbereitschaft wieder erhöhen lasse: „Viele Leute sind ja nicht mehr testen gegangen, weil sie sich nicht absondern lassen wollen.“

„Wir erklären weder die Pandemie für beendet, sondern ich denke, es ist der erste Schritt dahin, sich tatsächlich auf ein längerfristiges Szenario vorzubereiten“, hält Reich zudem im Ö1-Morgenjournal fest. Angesprochen darauf, ob es praktikabel sei, dass Infizierte in Lokalen Maske tragen und zugleich nichts konsumieren dürfen, meinte sie: „Das ist ja vollkommen logisch, dass das nicht praktikabel ist und de facto ja auch nicht vorgesehen ist.“ Es werde sich niemand infiziert „in die Gastronomie setzen, dort die Maske oben lassen und nichts bestellen“. In der Wiener Gastroszene sorgt das für Verwunderung – mehr dazu in wien.ORF.at.

Heftiger Widerstand aus roten Ländern

Heftigen Widerstand gegen die Lockerungen hatte es zuvor in den SPÖ-geführten Bundesländern gegeben. Sowohl Wien als auch das Burgenland und Kärnten sind damit nicht einverstanden. Wiens SPÖ-Stadtrat Peter Hacker sagte etwa gegenüber der APA: „Spätestens im September fliegen uns die Zahlen um die Ohren.“ Er ortete weiters mangelhafte Kommunikation. Auch Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sieht einen Schritt in die falsche Richtung – mehr dazu in wien.ORF.at.

Kritik übte auch Niederösterreichs Gesundheitslandesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) an zu wenig Abstimmung. Die Maßnahme sei als fix präsentiert worden – mehr dazu in noe.ORF.at. Ähnliche Kritik kam aus Kärnten. Das Thema sei „in 20 Minuten abgehandelt worden“ – mehr dazu in kaernten.ORF.at.

Zustimmung von ÖVP-Seite

Rundum Zustimmung kam von ÖVP-Seite. Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) sieht im Aus für die Quarantäne ein wichtiges Signal, dass die Pandemie endemisch wird. Tirols Gesundheitslandesrätin Annette Leja (ÖVP) zeigte sich auf APA-Anfrage überzeugt, dass die „gegenwärtigen milden Varianten“ die „jüngsten Entscheidungen“ zuließen. Auch die steirische Gesundheitslandesrätin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) hält die Maßnahme derzeit für vertretbar, bei einer Änderung der Lage müsse diese evaluiert werden – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Bergthaler: GECKO überwiegend skeptisch

Bei Fachleuten fiel das Urteil über die Entscheidung gemischt aus. Aus Sicht der Wissenschaft sei es „schwierig, diesen Schritt zu unterstützen“ – wenngleich freilich die Politik anders entscheiden könne, sagte der Virologe Andreas Bergthaler in der Zeit im Bild.

Experten gegenüber Lockerungen reserviert

Das Lockern der Isolierungspflicht sei eine rein politische Entscheidung, betonen Mitglieder der die Regierung beratenden Gecko-Kommission.

Bergthaler ist Mitglied im von der Regierung eingesetzten Krisenstab GECKO, und dort habe bei der Sitzung am Montag die Skepsis überwogen. Die Entscheidung für das Quarantäneende falle zum falschen Zeitpunkt. Denn aus den Abwasseranalysen wisse man, dass die Dunkelziffer weiter im Steigen sei. Bergthaler warnte auch vor dem „Trugschluss“, dass Menschen mit milden Symptomen nicht ansteckend seien.

Für Gartlehner und Klimek vertretbar

Epidemiologe Gerald Gartlehner hingegen hält die Lockerung angesichts der Infektiösität und der damit eingeschränkten Wirksamkeit der Quarantäne für vertretbar. Der Komplexitätsforscher Peter Klimek sieht das ähnlich, er verwies in der „Presse“ dabei auch auf wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Überlegungen. Beide verwiesen auf die internationalen Vorbilder.

Den falschen Zeitpunkt sieht hingegen laut „Falter“ der Virologe Norbert Nowotny. Die Zahl der Infizierten sei derzeit zu hoch. Der Molekularbiologe Ulrich Elling sprach sich auf Twitter ausdrücklich gegen das Ende der Quarantäne aus. Es gehe nicht darum, den Winter oder eine letzte Welle durchzutauchen, sondern sich an die bis auf Weiteres neue Realität zu adaptieren.

Laut Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle handelt es sich um einen drastischen Kurswechsel, mit dem sich die Regierung keinen großen Gefallen getan habe. „Die Regierung hat verabsäumt zu kommunizieren, dass aus einer potenziell tödlichen Krankheit jetzt eine zwar immer noch ansteckende, aber eben weniger gefährliche Krankheit geworden ist“, kritisiert sie – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

Arbeitsrechtliche Bedenken

Bedenken bezüglich der Konsequenzen für Unternehmen und Beschäftigte kamen von der Arbeitsrechtsexpertin Katharina Körber-Risak. „Jeder vernünftige Arbeitgeber lässt Covid-Positive daheim“, so die Anwältin – mehr dazu in wien.ORF.at.

Die Ärztekammer forderte begleitende Maßnahmen und sprach sich für ein Wiederhochfahren des Testregimes in Ordinationen auf. Die Gewerkschaft pocht auf den Schutz der Beschäftigten, die Wirtschaftskammer wiederum forderte klare Rahmenbedingungen für Unternehmen.

Wie es an Schulen weitergeht, ist laut dem obersten Lehrervertreter Paul Kimberger noch „völlig unklar“. Man habe noch keine schriftlichen Informationen, weder die Pressekonferenz noch der Auftritt von Rauch in der ZIB2 hätten Klarheit geschaffen, wie es an Schulen weitergehen soll. Dass künftig wissentlich infizierte und potenziell ansteckende Menschen in Schulen zugelassen würden, sah er im APA-Gespräch kritisch: „Es ist nur schwer vorstellbar, dass infizierte Kinder neben ihren Schulkollegen sitzen und dass infizierte Lehrer unterrichten“, so Kimberger.

„Regierung rücktrittsreif“: Opposition mit Kritik

Kritik kam von SPÖ und FPÖ. Die Regierung habe hier eine „rein politische Entscheidung, ohne Fakten und Evidenz“ getroffen, so SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Das sei ein „verantwortungsloses Vorgehen“, befand sie im Vorfeld des Sommerministerrates. Die Grünen hätten auf ganzer Linie enttäuscht und der ÖVP wieder einmal nachgegeben. Deshalb ist für die SPÖ-Chefin „die gesamte Regierung rücktrittsreif“. Die Regierung betrete beim CoV-Management konsequent den falschen Weg und taumle aus politisch motivierten Gründen von einer Welle in die nächste, so Klubobmann Jörg Leichtfried.

Der FPÖ geht all das Geplante nicht weit genug. Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak sah auch keinen Anlass mehr für Verkehrsbeschränkungen. Die Erkrankungsschwere und das Hospitalisierungsrisiko lägen inzwischen unter jenem der Grippeviren, welche ja auch nicht im Epidemiegesetz erfasst seien.

NEOS begrüßte die Maßnahme: „Man darf nicht vergessen, dass Österreich über weite Strecken die strengsten und teuersten Regeln hatte, ohne daraus einen Vorteil in der Pandemiebekämpfung zu ziehen, was ein Vergleich mit unseren westeuropäischen Nachbarn belegt“, so der stellvertretende NEOS-Klubobmann Gerald Loacker. Er sah aber noch viele arbeitsrechtlich ungeklärte Fragen und beklagte Dilettantismus.