Beitrag mit der Petition „Make Instagram Instagram again“ auf einem Profil
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Akt der Verzweiflung

Instagram auf dem Weg zum TikTok-Klon

Möchtegernvirale Videos von Fremden statt Katzenfotos von der besten Freundin: Instagram versucht, sich in einen TikTok-Klon zu verwandeln. Das sorgt für Unmut, auch bei Stars und Sternchen, die mit der Fotoplattform ein Vermögen gemacht haben. Instagram selbst gibt zu, dass manche der neuen Features derzeit „nicht gut“ sind – und macht die Krise sichtbar, in der die Mutterfirma Meta steckt.

„Macht Instagram wieder zu Instagram. (Hört auf, TikTok sein zu wollen. Ich will nur süße Fotos von meinen Freunden sehen.) Mit besten Grüßen, jeder“: Dieses an die Chefetage von Instagram gerichtete „Wutposting“ kursiert seit einigen Tagen auf der Plattform, wurde allein bei der Urheberin zwei Millionen Mal gelikt.

Geteilt wird diese Auffassung aber auch von Promis, die seit Jahren in einer milliardenschweren Symbiose mit Instagram stehen – etwa Kim Kardashian, quasi der Urtypus des Insta-It-Girls, oder ihre jüngere, noch erfolgreichere Schwester Kylie Jenner. Beide haben ganze Firmenimperien mit und rund um Instagram aufgebaut, Letztere ist heute der Mensch mit der weltweit zweitgrößten Reichweite auf der Plattform (getoppt nur von Kicker Cristiano Ronaldo). Sprich: für Instagram gewichtige Stimmen.

Aber auch viele reguläre Userinnen und User merken derzeit: Es ist etwas faul in ihrem Instagram-Feed. Nach jedem zweiten bis dritten Posting von tatsächlich abonnierten Freunden und Accounts zeigt einem die einstige Fotoplattform seit Neuestem Clips von fremden Accounts, die laut Algorithmus zu den eigenen Interessen passen sollen oder gerne viral gehen möchten. Und das zu allem Überfluss auch noch mit Autoplay und ohne Scrollfunktion, bei manchen Testnutzern auch im Fullscreen.

Das kommt nicht nur bei vielen Userinnen und Usern nicht gut an, auch Influencer, Contentproduzenten und Fotografinnen und Fotografen fürchten, dass sie sich nur mehr dann auf Instagram durchsetzen können, wenn sie auf die aufwendigere Videoproduktion setzen.

Kylie Jenner
APA/AFP/Maria Alejandra Cardona
Nicht glücklich mit dem Instagram-Schwenk: Model, Unternehmerin und Influencerin Kylie Jenner

Denn bekanntlich ist der Algorithmus gnadenlos – er bevorzugt vor allem jene Inhalte, von denen sich die Plattform den größten Erfolg verspricht. „Videos sind auf Instagram so erfolgreich, weil wir dazu gezwungen werden, sie zu posten“, kritisiert etwa der Make-up-Künstler James Charles (23 Mio. Follower) Instagrams neue Strategie. Mit Fotos könne man bei Instagram keinen Erfolg mehr haben, Videos seien die einzige Chance für Wachstum.

TikTok-Neid

Mit seiner neuen Strategie kopiert Instagram den chinesischen Riesen TikTok, der es mit endlos hineingespülten, kurzen Clips zu einem astronomischen Wachstum brachte. Die App übertrifft ungeachtet aller Kritik zu Jugendschutz, Zensur- und Spionagevorwürfen sowie regelmäßiger Negativschlagzeilen wegen bedenklicher „TikTok-Challenges“ Instagram und Facebook mittlerweile nicht nur beim Wachstum, sondern auch in der Nutzungsdauer – vor allem bei den Jungen.

Bereits im Juni berichtete die Tech-Plattform The Verge von internen Dossiers des Meta-Konzerns, in denen die Belegschaft dazu aufgefordert wurde, Facebook und Instagram näher an TikTok zu orientieren. Dabei sind die Zeiten von Instagram als reiner Fotoplattform ohnehin längst vorbei. Mit Features wie Reels, Instagram TV und einer klaren Bevorzugung von Videomaterial hat Instagram die Entwicklung Richtung Bewegtbild konsequent vorangetrieben.

Fremde statt Freunde

Die aktuellen Änderungen sollen nun nicht nur den Fokus auf Videos stärken, sondern auch die Bindung zwischen Usern und deren Freunden weiter aufbrechen. Sprich: Man bekommt wie auf TikTok verstärkt Inhalte von Accounts geschaltet, die man eigentlich nicht abonniert hat. Ein nie abreißender Strom von zielgerichteten Videos (deren Betrachtung länger dauert als jene eines Bildes) soll User so lange wie möglich an die App fesseln – denn Instagrams Geschäftsmodell ist es schließlich, möglichst viel Nutzungszeit aus den Menschen zu pressen, Daten zu sammeln und entsprechend Werbung zu verkaufen.

Ältere Semester erinnert diese Entwicklung an das angestaubte Facebook. In fernen Urzeiten hat man dieses tatsächlich noch wegen der Nachrichten, Updates und Fotos echter Freunde frequentiert – bis Unternehmen und Medienkonzerne Facebook für sich entdeckt haben, das soziale Netzwerk durch die Einführung des „Infinite Scroll“ zur digitalen „Inhalte-Slotmaschine“ wurde und sich das Geschäftsmodell des Datensammelns und Werbeschaltens konsolidierte. „Sozialer“ sind die sozialen Netzwerke dadurch gewiss nicht geworden. Meta scheint für Instagram nun in Kauf zu nehmen, dass auch diese Plattform weiter in eine ähnliche Richtung geht.

Chef rückt zur Beruhigung aus

Die neuen Features sorgen inzwischen für ein so kritisches Echo, dass Instagram-Chef Adam Mosseri mit einer Beruhigungsbotschaft ausgerückt ist. Derzeit passiere „eine Menge“ auf Instagram, man „experimentiere mit neuen Funktionen“ und höre deswegen eine Reihe von Beschwerden. Tatsächlich seien einige der neuen Features derzeit „nicht gut“.

Gleichzeitig macht Mosseri in dem Video aber klar, dass Instagram auch künftig auf Bewegtbild setzen werde: „Mehr und mehr Inhalte auf Instagram werden Videos sein, auch ohne, dass wir etwas ändern.“ Die Welt „ändert sich rasant, und wir müssen uns adaptieren“, so der Instagram-Chef.

Tatsächlich hat sich für die Plattform und seine Mutterfirma Meta vieles verändert – und das nicht zum Guten. Facebook, Instagram und WhatsApp sind zwar nach wie vor marktbeherrschend, doch Jüngere zieht es zu TikTok. Zudem hat eine Neuerung der Privatsphäreeinstellungen zum Schutz vor App-übergreifendem Tracking in Apples Betriebssystem iOS Facebooks Werbegeschäft einen schweren Schlag verpasst. Laut The Verge kostete die Einführung Facebook rund zehn Milliarden Dollar.

Parallel dazu versucht Meta weiterhin, sein Geschäftsmodell auf das erst in fahlen Ansätzen existierende Metaverse auszurichten. Doch dieses Vorhaben kostet und kostet – und Profit ist in naher Zukunft nicht zu erwarten.

Nach wie vor hat sich Meta von seinem schwarzen Tag an der Börse nicht erholt. Am 2. Februar hatte die Meta-Aktie schlagartig fast 23 Prozent ihres Werts verloren, nachdem man zum ersten Mal sinkende tägliche Nutzerzahlen bei Facebook vermelden musste. Heute ist die Aktie nur mehr halb so viel Wert, wie an jenem 2. Februar. Einen Exodus von Instagram dürfte das Unternehmen entsprechend mit aller Kraft vermeiden wollen.

Erster Umsatzrückgang in der Geschichte

Erstmals in seiner Geschichte erlitt Meta aktuell einen Umsatzrückgang. Wie das Unternehmen am Mittwoch mitteilte, ging der Umsatz im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahresquartal um ein Prozent auf 28,8 Milliarden Dollar (28,3 Milliarden Euro) zurück. Der Gewinn brach um 36 Prozent auf 6,7 Milliarden Dollar ein.

Es ist der erste Umsatzrückgang seit seinem Börsengang im Jahr 2012, damals noch unter dem Namen Facebook. Entgegen den Erwartungen von Analysten konnte Meta die Zahl der täglichen Nutzer aber steigern. Zuckerberg erklärte, der Konzern setze „erhöhte Energie und Fokus in die Schlüsselprioritäten unseres Unternehmens, die sowohl kurz- als auch langfristige Möglichkeiten für Meta und die Menschen und Unternehmen freisetzen, die unsere Dienste nutzen“.