Rektorin Sabine Seidler
ORF.at/Roland Winkler
Sabine Seidler

„Es geht auch bei uns um Arbeitsplätze“

Seit mehr als zwei Jahren ist Sabine Seidler Präsidentin der Universitätenkonferenz (uniko). Waren die Jahre 2020 und 2021 von der Coronavirus-Pandemie geprägt, stehen aktuell die Energiekrise und die Teuerung auf der Agenda. Die Rektorin der Technischen Universität (TU) Wien spricht im ausführlichen ORF.at-Interview von einem 500-Mio.-Euro-Budgetloch, das die Unilandschaft weit zurückwerfen könne.

ORF.at: Frau Seidler, auch die Universitäten sind mit den aktuellen Krisen konfrontiert.

Sabine Seidler: Das stimmt. Wir haben im Moment eine spannende Gemengelage. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll.

ORF.at: Fangen wir mit den steigenden Kosten an, die betreffen ja auch den Unibetrieb. Wegen der hohen Inflation rechnet die uniko mit einem Budgetloch von 500 Millionen Euro. Wird der Finanzminister das Loch stopfen?

Seidler: Ich gehe davon aus, dass es einen Nachtrag geben wird. Es kann nicht im Interesse der Republik sein, wenn Fortschritte, die wir in den vergangenen drei Jahren erzielt haben, wegen einer mangelnden Finanzierung wieder zunichtegemacht werden.

ORF.at: Sie haben schon Anfang des Jahres gewarnt, dass das Budget nicht reichen wird. An konkreten Zugeständnissen vonseiten der Politik, wonach Geld nachgeschossen wird, mangelt es bisher.

Seidler: Wir haben im Jänner diesen Jahres eine neue Leistungsvereinbarungsperiode begonnen, die drei Jahre dauert. Die Summe, die wir jetzt bis Ende 2024 zur Verfügung haben, wurde bereits im Oktober 2020 definiert. Damals ging man von Teuerungsraten von etwas mehr als zwei Prozent aus. Nun liegen wir beim vierfachen Wert.

Rektorin Sabine Seidler
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Wegen der Teuerung klaffe ein großes Loch im Unibudget, sagt Seidler

Es stehen auch Kollektivvertragsverhandlungen an, die sich eben an der Inflationsrate orientieren. Das alles wurde im Budget nicht berücksichtigt. Als wir im April die ersten Berechnungen dazu gemacht hatten, war uns klar, dass wir mit dem Geld nicht über die drei Jahre kommen werden.

ORF.at: Wann kann mit einem Zuschuss gerechnet werden?

Seidler: Im Moment scheint die Urlaubszeit eingekehrt zu sein. Es geht alles sehr langsam. Das Wissenschaftsministerium hat das Budgetloch selbst schon mal berechnet, aber nichtsdestotrotz nochmals mit einer neuen Erhebung begonnen.

ORF.at: Nach den „Entlastungspaketen“ und den kommenden Herausforderungen wird die Regierung bei einem Budgetnachtrag in Höhe von 500 Millionen Euro vielleicht genau abwägen.

Seidler: Wenn die Politik entscheidet nachzuschießen, dann trägt sie auch dafür Sorge, dass der Unibetrieb auf dem aktuellen Level fortgeführt werden kann. Aber ich weiß, dass die Politik auf die Stimmungslage der Bevölkerung schauen wird.

Wenn wir Rektoren und Rektorinnen appellieren, dass die Universitäten mehr Geld brauchen, heißt es in den Kommentaren, dass wir ohnehin auf Milliarden Euro sitzen. Vielen scheint nicht bewusst zu sein, dass es auch bei uns um Arbeitsplätze geht. Es geht um Absolventinnen und Absolventen, die die Industrie, die Wissenschaft und viele andere Bereiche dringend benötigen.

ORF.at: Derzeit stehen den öffentlichen Universitäten 12,3 Milliarden Euro für 2022 bis Ende 2024 zur Verfügung.

Seidler: Ja, aber von diesen 12,3 Milliarden Euro ist nur ein Bruchteil frei verfügbar. Die meisten unserer Gelder sind an Mieten, Personal- und Betriebskosten gebunden. Was uns am meisten schmerzt: Wir haben in den vergangenen drei Jahren den Personalstand erweitert. Wenn den Unis das Geld fehlt, trifft das zuallererst die befristeten Stellen, also den Nachwuchs.

Zur Person

Seidler wurde 1961 in Sachsen-Anhalt geboren und ist seit 2011 Rektorin der TU Wien. Vor drei Jahren übernahm sie das Amt der uniko-Präsidentin, im vergangenen Jahr wurde die Forscherin wiedergewählt.

Für einige Universitäten ist die Lage so dramatisch, dass sogar über Kündigungen nachgedacht werden muss. Es werden auch keine Investitionen möglich sein. Stattdessen werden wir vieles abbauen müssen, was wir in den vergangenen Jahren aufgebaut haben. Dadurch fallen wir Jahre zurück und der Wiederaufbau wird viel teurer als der Versuch, den Status quo zu erhalten.

ORF.at: Auch mit einem Zuschuss werden die Universitäten wohl sparen müssen. Gibt es Energiesparpläne für die Gebäude?

Seidler: Es gibt jetzt noch keine konzertierten Aktionen dazu, aber natürlich plant jede Universität, wie sie künftig den Energieverbrauch mindern kann. Wir müssen aber auch einsehen, dass es bestimmte Dinge gibt, wo man nicht sparen kann. An der TU Wien können die hochtechnisierten Labors nicht einfach abgeschaltet und dann wieder angeschaltet werden. Das geht nicht.

ORF.at: Ich denke etwa an die Außenbeleuchtung oder das Heizen von Hörsälen im Winter.

Seidler: Die Universitäten werden ihre Beiträge leisten. Gleichzeitig muss ich sagen, dass wir mit Homeoffice und Distance-Learning den Energieverbrauch nur in den privaten Bereich verschieben. Dadurch sparen wir keinen Strom.

Rektorin Sabine Seidler
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Die uniko-Präsidentin will an der TU Wien in Präsenz starten – sie erwartet allerdings erhöhte CoV-Zahlen im Herbst

ORF.at: Aber das hybride System gibt es an den Universitäten weiterhin.

Seidler: Die TU Wien startet im Herbst mit Präsenz, auch wenn wir das auch in den vergangenen zwei Jahren schon gesagt haben.

ORF.at: Sind Sie mit der Distanzlehre nicht zufrieden?

Seidler: Nicht überall ist Distanz möglich. Insbesondere für Erstsemestrige ist Präsenz wichtig. Wir haben schon einige Studierendengenerationen, die aus der Distanz nicht mehr rauskommen. In einigen Studienrichtungen haben Universitäten ihre Studierenden wegen des Distanzbetriebs verloren.

Außerdem dürfen wir die großen Defizite bei der sozialen Kompetenz nicht vernachlässigen. Im Distanzbetrieb finden Lerngruppen, die für Technikstudien immens wichtig sind, nicht statt. Wir werden für den Fall eines erneuten Fallzahlanstiegs, und den wird es im Herbst geben, Vorkehrungen treffen. Aber die TU Wien startet in Präsenz.

ORF.at: Seit 1. August können CoV-infizierte Personen in die Arbeit kommen. Werden Sie Ihren Mitarbeitern empfehlen, bei einer Infektion zu Hause zu bleiben?

Seidler: Selbstverständlich. Ich bin überzeugt, dass alle Arbeitgeber so handeln werden. Schwierig wird es dort, wo Symptome nicht bemerkt werden.

ORF.at: Ihr Rektorenkollege, Oliver Vitouch von der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, hat vergangenes Jahr mit einer strikten 2-G-Eintrittsregel für Aufsehen gesorgt. Glauben Sie, dass eine 2-G-Regel (geimpft oder genesen) für diesen Winter möglich bzw. notwendig ist?

Seidler: Nein, das glaube ich deshalb nicht, weil wir ja sehen, dass die Wirkung der Impfung nicht die Vermeidung der Ansteckung ist, sondern die Reduzierung der Symptome. Und solange es keine Impfung gibt, die tatsächlich verhindert, dass man sich wieder ansteckt, ist auch so eine Regelung meines Erachtens nicht angemessen.

Rektorin Sabine Seidler
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Seit 2020 vertritt Seidler als uniko-Präsidentin die öffentlichen Universitäten Österreichs

ORF.at: Ich komme noch zu einem Regierungsprojekt, das ordentlich Kritik einstecken musste: das Institute of Digital Sciences Austria, früher Technische Universität Linz. Das Gründungsgesetz wurde vor dem Nationalratsbeschluss im Juli noch geändert. Sind Sie damit zufrieden?

Seidler: Sagen wir mal so, das beschlossene Gründungsgesetz ist deutlich besser als der Entwurf. Nach wie vor gibt es aber keinen inhaltlichen Abgleich mit der Universitätslandschaft. Der Gründungspräsident oder die Gründungspräsidentin wird sich darum kümmern müssen.

ORF.at: Das klingt, als wären Sie mit der Situation nicht zufrieden.

Seidler: Die neue Universität basiert auf der Idee: Wir bauen auf einer grünen Wiese, auf der weit und breit nichts steht, ein neues Haus. Aber die Realität sieht einfach anders aus. Im Moment steht nämlich sehr viel auf dieser Wiese. Wir haben in der aktuellen Leistungsvereinbarungsperiode zum Beispiel über 20 interdisziplinäre Studien, die das Thema Digitalisierung zum Inhalt haben.

ORF.at: Der Rektor der Johannes-Kepler-Universität (JKU) Linz, Meinhard Lukas, äußerte sich ähnlich. Es gibt seiner Ansicht nach zu viele Überschneidungen mit der JKU.

Seidler: Er hat auch recht. Im Moment steckt sehr viel Dynamik im Bereich der Digitalisierung. Wenn die Politik eine neue Universität aus dem Boden stampft, muss sie sich sehr gut überlegen, wo es Fehlstellen gibt. Welche Elemente sind schon vorhanden? Was ist das, was wirklich neu ist? Diese Überlegung hat es bisher nicht gegeben.

ORF.at: Müssen neue Universitäten immer Lücken füllen?

Seidler: Natürlich nicht. Das bisherige Konzept beinhaltet auch positive Elemente. Aber der Schritt zur Realität fehlt vollständig. Man hätte zumindest den Bericht des Österreichischen Wissenschaftsrates über den Stand der Informatik in Österreich berücksichtigen können. Dann hätte man ein Projekt gehabt, bei dem man von vornherein hätte sagen können: Diese Uni bringt einen Mehrwert für den Standort.

Rektorin Sabine Seidler
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Mit dem Institute of Digital Sciences Austria kann Seidler wenig anfangen: Zu nebulös, lautet ihre Kritik

ORF.at: Eine von der Industriellenvereinigung Oberösterreich in Auftrag gegebene und von Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) präsentierte Studie bescheinigt der neuen Uni diesen Mehrwert.

Seidler: Dieser Mehrwert ist für mich nicht erkennbar, weil wir in einer Vision feststecken, die sich nicht umsetzen lässt und vieles noch in Schwebe ist. Es kommt mir vor, es wurde in dieser Sache der dritte vor dem ersten Schritt getan.

Und noch zu der Studie aus Deutschland: Man ist der Frage nachgegangen, welchen Mehrwert eine neue Universität bringt. Es wurde aber nicht gefragt, welchen Mehrwert dieselbe Investition etwa in den Ausbau der JKU bringt. Ich bin felsenfest überzeugt, diese Lösung hätte keinen geringeren Impact für den Standort.

ORF.at: Fürchten sich die bestehenden Technischen Universitäten vor neuer Konkurrenz?

Seidler: Das, was derzeit am Tisch liegt, ist keine Konkurrenz. Und inhaltlich fühlen wir uns schon gar nicht angegriffen. Im Gegenteil: Wir haben uns massiv dafür eingesetzt, dass die Universität mit uns entwickelt wird. Ich finde, wenn man was Neues schaffen will, dann muss man alles dafür tun, damit es auch fliegen kann.

ORF.at: Die Politik hat die neue TU überraschend angekündigt und relativ schnell umgesetzt. Was sagt der Prozess über die Wissenschaftspolitik aus?

Seidler: Zwiespältig. Einerseits, dass jede Investition in Bildung eine gute Investition ist. Wenn die Politik aber aus dem Bauch heraus sagt, wir gründen eine neue Uni, ohne sich mit dem Umfeld zu beschäftigen, dann muss man sich überlegen, ob diese Investition wirklich eine gute Investition ist.

Landeshauptmann Stelzer ist stolz darauf, dass es innerhalb kurzer Zeit gelungen ist, dieses Projekt zu realisieren. Das kann man schon auch als Erfolg sehen. Letztlich müssen aber die Hausaufgaben gemacht werden. Jetzt machen wir die Hausaufgaben eben nach dem Projekt. Andersherum wäre es besser gewesen.