kosovarische Polizisten kontrollieren Fahrzeuge auf einer Straße in Zupce
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Kosovo – Serbien

Symbolstreit über Nummerntafeln und Papiere

Seit 2008 ist der Kosovo von Serbien unabhängig – doch Konflikte zwischen den beiden Staaten wollen seit jeher nicht abreißen. Am Wochenende kochte die Stimmung angesichts bevorstehender Änderungen bei Einreiseregeln und Nummerntafeln erneut hoch. Die Symbolik spiele dabei eine große Rolle, meinen Fachleute: Für Serbien gehe es in der Frage um „politisches Kleingeld“, für den Kosovo hingegen um die eigene Souveränität.

In dem seit Jahren schwelenden Konflikt zwischen den Staaten braucht es nicht viel, um das Fass zum Überlaufen bringen zu lassen. Und so zogen Berichte über Barrikaden und Schüsse an der kosovarischen Grenze zu Serbien in der Nacht auf Montag alle Blicke auf die Region. Konkret stemmten sich zahlreiche Menschen im mehrheitlich von Serbinnen und Serben bewohnten Norden des Kosovo gegen neue Einreiseregeln, die am Montag in Kraft treten sollten.

Der Kosovo wollte demzufolge beim Grenzübertritt keine serbischen Personaldokumente mehr anerkennen und den Reisenden stattdessen ein provisorisches Dokument ausstellen. Zudem sollten Kosovo-Serben mit serbischen Autokennzeichen diese binnen zwei Monaten durch kosovarische Kennzeichen ersetzen. Prishtina legte das Vorhaben infolge der Proteste – vorerst – für 30 Tage auf Eis. Militante Serben bauten Barrikaden an Grenzübergängen ab. Eine richtige Lösung gibt es aber nicht. Schon im Vorjahr ließ der Nummerntafelstreit die Wogen hochgehen.

Mehrere Lastwagen blockieren eine Straße in Zupce
Reuters
Kosovo-Serben hatten an der Grenze zu Serbien aus Protest Barrikaden aus Lastwagen und anderen Fahrzeugen errichtet

„Symbolischer Streit“

Doch warum? „Das ist ein symbolischer Streit“, hält die Expertin Marie-Janine Calic, Professorin für die Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München, gegenüber ORF.at fest. Es gehe um die Unabhängigkeit des Kosovo und die damit einhergehenden Rechte und Pflichten seiner Bürgerinnen und Bürger, so die Expertin.

Serbien hat den Kosovo immerhin nach wie vor nicht anerkannt und verlangt seit Jahren, dass nicht serbischstämmige Kosovaren bei der Einreise nach Serbien kosovarische Autokennzeichen gegen provisorische serbische tauschen müssen. Die serbische Bevölkerung im Norden des Kosovo ist überdies großteils weiterhin loyal zur Regierung in Belgrad. Der Kosovo bestehe der Expertin zufolge nun umgekehrt darauf, dass in beiden Staaten „praktisch auch die gleichen Regeln gelten müssen“. Vor einem Jahr wurde von Prishtina das Prinzip der Reziprozität eingeführt.

Karte zeigt den Kosovo
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Experte: Belgrad heizt Debatte „ganz bewusst“ an

„Zwischen Serbien und Kosovo sind alle Fragen, die um die Beziehung der beiden Fragen gehen, immer wieder umstritten“, erklärt auch der Südosteuropaexperte David Florian Bieber von der Universität Graz im Gespräch mit ORF.at. Der Kosovo versuche, die eigene Staatlichkeit zu stärken, während Serbien versuche, diese immer wieder zu untergraben. „Nummernschilder sind ein Symbol von Staatlichkeit, und das ist etwas, was sehr sensibel ist“, sagt er weiter.

Die vielen serbischstämmigen Bürger im Norden des Kosovo würden „jeden Schritt der kosovarischen Regierung, ihren Staat auch im Norden sichtbar zu machen, als Bedrohung“ sehen. „Das wird auch in Serbien immer ganz bewusst angeheizt. Das heißt, es geht letztlich weniger um die Nummernschilder an sich als um die ungelöste Statusfrage des Kosovo zwischen Serbien und dem Kosovo“, so Bieber.

der serbische Präsident Aleksandar Vucic
AP/Geert Vanden Wijngaert
Serbiens Präsident Aleksandar Vucic heizt den Konflikt Fachleuten zufolge an

Vucic sieht Atmosphäre „am Siedepunkt“

Dass die Situation zwischen Belgrad und Prishtina wieder einmal kippen würde, zeichnete sich bereits ab: Im Nordkosovo tauchten in den vergangenen Tagen Flugblätter gegen die geplante neue Grenzregelung auf. In den vier von Serben bewohnten Gemeinden Mitrovica, Leposavic, Zvecan und Zubin Potok kursierten am Montag zudem Plakate mit der Aufschrift „Willkommen in der Gemeinschaft der Serbischen Gemeinden“. Zuvor ließ auch Serbiens Präsident Aleksandar Vucic aufhorchen: Die Lage im Kosovo sei für die dort lebenden Serben und für Serbien „noch nie so komplex“ gewesen. Die Atmosphäre sei „am Siedepunkt“.

2013 hatten Serbien und der Kosovo die Bildung einer Gemeinschaft der serbischen Gemeinden vereinbart, die der serbischen Minderheit im Nordkosovo mehr Autonomie ermöglichen soll. Das kosovarische Verfassungsgericht hatte zwei Jahre später allerdings festgestellt, dass die Gemeinschaft nicht mit der Verfassung des Kosovo konform wäre. Prishtina sieht darin eine Gefahr für die Destabilisierung des Landes. Tatsächlich hat Belgrad die Situation in den vier nördlichen Gemeinden seit Jahren unter Kontrolle – auch dank der belgradtreuen Serbischen Liste, die an der Regierung des kosovarischen Ministerpräsidenten Albin Kurti beteiligt ist.

Erneut Konflikt zwischen Serbien und Kosovo

Vor 14 Jahren hat der Kosovo – etwa 90 Prozent der Bevölkerung sind muslimische Kosovo-Albaner, fünf Prozent orthodoxe Serben – die Unabhängigkeit von Serbien ausgerufen. Die serbische Regierung erkennt das bis heute nicht an. Der aktuelle Grund für die Spannungen: Der Kosovo will keine serbische Personaldokumente mehr anerkennen.

Dauerkonflikt mit Muster?

Vedran Dzihic, Balkan-Experte am Österreichischen Institut für Internationale Politik, ortet im Ö1-Mittagsjournal überhaupt ein „Muster“. Belgrad versuche, die Frage zu Hause für „politisches Kleingeld“ zu instrumentalisieren. Vucic müsse „die nationalistische Öffentlichkeit bedienen, und das macht er mit diesen ständigen Krisen, die geschaffen werden“. Auf der anderen Seite „müssen die Kosovaren, muss auch Albin Kurti seiner Bevölkerung etwas liefern, und da geht es stets um die territoriale Integrität, um die Souveränität des Kosovo“.

Vucic als „Pyromane und Feuerwehrmann“

Ähnlich die Einschätzung des Grazer Experten Bieber: Vucic würde sich in Serbien gleichzeitig als „Pyromane und Feuerwehrmann“ positionieren. „Er schafft solche Krisen, um dann wiederum sich selber als den Einzigen, der die Krisen lösen kann, zu inszenieren – gegenüber dem Westen und der eigenen Bevölkerung“, so Bieber. „Das heißt, es gibt ein gewisses Interesse von ihm, diese Krisen nicht zu sehr eskalieren zu lassen.“

Vor dem Hintergrund „der globalen Spannungen zwischen Russland und dem Westen“ sei die Situation nach Ansicht von Dzihic dieses Mal gefährlicher. Auch die Historikerin Calic, die keine militärische Intervention erwartet, sieht den Ukraine-Krieg als Faktor im neu entflammten Konflikt. Auf der einen Seite sei das traditionell russlandfreundliche Serbien, das sich mit der EU in puncto Russland-Sanktionen nicht auf eine Linie einigen konnte, unter Druck gesetzt worden. Auf der anderen Seite sei der Kosovo dadurch ermuntert worden, stärker aufzutrumpfen, sagt sie.

der kosovarische Premierminister Albin Kurti
APA/AFP/Armend Nimani
Der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti

Es kam daher auch nicht überraschend, dass Russland Serbien am Montag den Rücken stärkte. „Wir unterstützen Serbien absolut“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. „Wir unterstützen die friedliche und konstruktive Position Belgrads in diesem Zusammenhang.“ Die neuen Reiseregeln bezeichnete Peskow als „absolut unberechtigte Forderungen“ von kosovarischer Seite.

EU „auf verlorenem Posten“

Bemühungen der EU, den Dialog über Normalisierung in Gang zu bringen, stießen beiderseits auf taube Ohren. Auch in den aktuellen Konflikt schaltete sich Brüssel ein, indem man zu Vermittlungsgesprächen lud. Einen Termin dafür gibt es noch nicht.

Die EU versucht seit 2011, zur Klärung des Verhältnisses zwischen Serbien und dem Kosovo beizutragen. Dieses ist äußerst spannungsgeladen, weil sich der heute fast ausschließlich von Albanern bewohnte Kosovo 1999 mit NATO-Hilfe von Serbien abgespalten und Jahre später für unabhängig erklärt hatte. Mehr als 100 Länder, darunter Österreich, erkannten die Unabhängigkeit des Kosovo an.

Andere, darunter Serbien, Russland, China und fünf EU-Länder, tun das aufgrund von hiesigen Unabhängigkeitsbestrebungen bis heute nicht. Jene EU-Staaten schwächen damit auch die Position der gesamten Union, wie Calic erklärt: „Solange das so ist, ist die EU da auch auf relativ verlorenem Posten, weil jeder, der nach Belgrad reist und sagt ‚Ihr müsst Kosovo anerkennen‘, die Antwort bekommt: ‚Ja, sorgt doch erst mal dafür, dass eure Staaten den Kosovo anerkennen.‘“

Kosovo: Unruhen in Grenzgebiet zu Serbien

Nach Spannungen an der Grenze zwischen Serbien und dem Kosovo hat die kosovarische Regierung eine umstrittene Maßnahme zu geplanten Grenzkontrollen vorerst für 30 Tage verschoben. Hintergrund der Eskalation ist die Vorschrift für das Ummelden serbischer Autokennzeichen auf Kosovo-Schilder. Zudem sollten ab 1. August alle serbischen Staatsbürger bei der Einreise ein zusätzliches Dokument vorlegen.

Droht eine weitere Eskalation?

Dass für den Konflikt so bald eine Lösung gefunden wird, bezweifeln die Experten unisono. Wie gefährlich die Lage tatsächlich ist, wird unterschiedlich bewertet. „Ich rechne eigentlich nicht mit einer Eskalation in dem Sinne, dass es militärische Konfrontationen gibt“, sagt Calic. Bieber und Dzihic verweisen auf die nach wie vor im Kosovo stationierte NATO-Friedenstruppe, die militärische Konflikte unwahrscheinlich scheinen lassen.

Bieber sehe im Moment nicht, dass es ein „Interesse oder eine Möglichkeit gibt, diesen Konflikt weiter eskalieren zu lassen“. Gleichzeitig nütze es der serbischen Seite, die auch die im Nordkosovo lebenden Serben unter Kontrolle habe, immer, diesen Konflikt „zu aktualisieren, aufrechtzuerhalten, aber nicht aus den Händen gleiten zu lassen.“ Gefährlich sei es dennoch, so Dzihic. „Wenn der Funke dann irgendwann überspringt, könnte die gesamte Region brennen, und das wäre folgenschwer für Europa.“