Chef des Terrornetzwerks al-Kaida, Aiman al-Sawahiri
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Al-Kaida-Chef getötet

US-Schlag in Kabul wirbelt Staub auf

Für US-Präsident Joe Biden ist der Schlag gegen den Al-Kaida-Chef Aiman al-Sawahiri ein Erfolg. Die Nachricht von dessen Tötung in Afghanistan wirbelt zugleich aber Staub auf: Die radikalislamischen Taliban hatten den USA in einem Abkommen immerhin versichert, dass von Afghanistan keine Terrorgefahr mehr ausgehen werde. Unklar ist nun, inwieweit die Taliban über Sawahiris Präsenz informiert waren – und ob weitere Schritte der USA gegen die Taliban folgen könnten.

Als „großen Sieg“ und „bedeutenden Moment“ beschreiben US-Medien wie die „New York Times“ und CNN den Tod Sawahiris. Der Schlag gegen den Al-Kaida-Chef, der die Anschläge am 11. September gemeinsam mit seinem Vorgänger Osama bin Laden geplant hatte, hat vor allem symbolische Relevanz, kommt er doch fast ein Jahr nach dem missglückten Abzug von US- und NATO-Truppen aus Afghanistan.

„Symbolisch“ ist der Moment auch für Biden selbst, schreibt die BBC. Biden war immerhin Vizepräsident, als bin Laden unter US-Präsident Barack Obama im Jahr 2011 getötet worden war. Auf dem berühmten Foto aus dem Situation Room saß Biden damals an Obamas Seite. Wer nun die Führung al-Kaidas übernehmen könnte, ist unklar.

US-Präsident Joe Biden
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Für US-Präsident Biden ist die Tötung Sawahiris ein Erfolgsmoment

Rätselraten um Aufenthalt in Kabul

Die Tatsache, dass sich Sawahiri in Afghanistan versteckte, wirft aber zugleich unangenehme Fragen dazu auf, was der dortige Krieg gegen den Terror gebracht hat. Ein 20 Jahre langer Militäreinsatz, der Unsummen verschlang und Zehntausenden das Leben kostete – und der begann, weil das Land Al-Kaida-Terroristen Unterschlupf gewährt hatte.

Wussten die Taliban also von Sawahiris Präsenz in der Hauptstadt? Wurde der Al-Kaida-Chef gar unterstützt? In dem Abkommen von Doha 2020 hatten die Taliban den USA im Gegenzug für den Abzug internationaler Truppen zugesichert, dass von Afghanistan keine Terrorgefahr durch Gruppen wie al-Kaida mehr ausgehen werde.

Abkommen von Doha im Fokus

„Die Taliban werden sich für die Anwesenheit von Zawahiri in Kabul verantworten müssen, nachdem sie der Welt versichert haben, dass sie al-Kaida-Terroristen keinen sicheren Hafen bieten werden“, sagte Adam Schiff, Vorsitzender des ständigen Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses, in einer Erklärung. US-Außenminister Antony Blinken sagte, die Taliban hätten das Doha-Abkommen zwischen beiden Seiten „grob verletzt“, indem sie Zawahiri beherbergten und ihm Unterschlupf gewährten.

Die radikalislamischen Taliban verurteilten ihrerseits den Angriff. Sie warfen den USA ebenfalls einen Bruch des Vertrages zum Abzug der US-Truppen aus Afghanistan vor. Ein ranghoher Taliban-Beamter sagte Reuters zudem, Zawahiri habe sich zuvor in der Provinz Helmand aufgehalten und sei nach der Übernahme der Macht durch die Taliban im August 2021 nach Kabul gezogen.

US-Beamte: Haqqani-Netzwerk wusste Bescheid

Konkret sollen einem US-Regierungsvertreter zufolge Anführer des Haqqani-Netzwerks – einer Untergruppe der Taliban – über Sawahiris Aufenthalt in Kabul informiert gewesen sein. Die BBC verweist zudem auf Aussagen von hochrangigen US-Beamten, wonach die Taliban das Haus Sawahiris infolge des US-Angriffes besucht hatten, um Beweise über dessen Anwesenheit zu vernichten. Den Taliban waren in der Vergangenheit immer wieder gute Kontakte zu al-Kaida nachgesagt worden.

„Die Tatsache, dass er in Kabul getötet wurde, ist der Beweis dafür, dass er dort mit Unterstützung der Taliban war“, wird Bill Roggio vom US-Thinktank Foundation for the Defense of Democracies im „Wall Street Journal“ zitiert. „Er hat sich nicht in den Bergen im Norden Afghanistans versteckt. Er war im Herzen Kabuls.“

Das afghanische Innenministerium hatte am Wochenende noch Gerüchte über einen Drohnenangriff in Kabul zurückgewiesen. In der Nacht auf Dienstag schrieb Taliban-Sprecher Zabiullah Mujahid dann bei Twitter, es sei ein „Luftangriff“ auf ein Haus im Kabuler Stadtteil Sherpur ausgeführt worden. Erste Ermittlungen hätten ergeben, „dass der Angriff von amerikanischen Drohnen verübt“ worden sei.

Biden: Mission war „voller Erfolg“

Die USA haben bei einem Drohnenangriff in der afghanischen Hauptstadt Kabul Al-Kaida-Chef Aiman al-Sawahiri getötet. Sawahiri hatte die Führung des Terrornetzwerks nach dem Tod von Osama bin Laden übernommen, den US-Spezialeinheiten 2011 in Pakistan getötet hatten. Der gebürtige Ägypter galt als eine zentrale Figur hinter den 9/11-Anschlägen in den USA.

Biden: „Wir geben uns niemals geschlagen“

„Nun wurde Gerechtigkeit geschaffen, und dieser Terroranführer ist nicht mehr“, sagte Biden am Montag in einer Rede am Balkon des Weißen Hauses. Biden befindet sich wegen seiner neuerlichen CoV-Infektion weiterhin in Isolation. „Wir geben uns niemals geschlagen.“

Er hoffe, die Tötung Sawahiris helfe den Hinterbliebenen der Opfer vom 11. September dabei abzuschließen. Der „Präzisionsschlag“ sei zudem ein klares Signal an alle Feinde der USA: „Egal, wie lange es dauert, egal, wo du dich versteckst: Wenn du eine Bedrohung für unsere Bevölkerung bist, werden die USA dich finden und ausschalten.“ Der ehemalige Präsident Obama lobte die Tötungsaktion: „Die heutige Nachricht ist auch ein Beweis dafür, dass es möglich ist, den Terrorismus auszurotten, ohne in Afghanistan Krieg zu führen“, so Obama bei Twitter.

Einsatz lange vorbereitet

Der Ägypter Sawahiri wurde 1998 bin Ladens rechte Hand, nach dessen Tod durch US-Spezialeinheiten 2011 übernahm Sawahiri die Führung von al-Kaida. Sowohl bei der Ausrichtung der Terrororganisation als auch im Vorfeld der Anschläge am 11. September 2001 war er eine zentrale Figur. Schon vorher hatte sich der gelernte Arzt aus Kairo den Spitznamen „Terrordoktor“ erworben. Allerdings gelang es ihm nie, unter den Dschihadisten das ikonenhafte Ansehen seines Vorgängers zu erreichen. Die USA hatten ein Kopfgeld von 25 Millionen Dollar auf ihn ausgesetzt.

Grafik zum US-Drohnenangriff auf Al-Kaida Chef in Kabul
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: AFP

Laut US-Angaben wurde der Angriff vom Auslandsgeheimdienst CIA ausgeführt, als Sawahiri auf den Balkon seines Unterschlupfes in Kabul getreten sei. Eine Drohne habe zwei Hellfire-Raketen abgeschossen. Die Attacke sei über Monate vorbereitet worden. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, sagte am Dienstag im Sender CNN, man könne „mit großer Zuversicht“ sagen, dass keine Zivilisten zu Schaden gekommen seien. Bei dem Einsatz seien auch keine US-Kräfte in Kabul gewesen. Sawahiris Tod sei ein schwerer Schlag für die Terrorgruppe, so die USA.

Anders die Einschätzung eines Anhängers der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die in Afghanistan zuletzt immer wieder Anschläge verübt hatte. „Ich bin mir sicher, dass Biden versuchen wird, es so klingen zu lassen, als wäre es etwas Großes, aber eigentlich ist es für uns überhaupt nicht von Bedeutung“, wird ein IS-Anhänger und ehemaliges Al-Kaida-Mitglied in der „Washington Post“ zitiert.

Aufrufe zu Attentaten

Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte Sawahiri im vergangenen September – genau 20 Jahre nach den verheerenden Terroranschlägen. In einer Videobotschaft rief er seine Anhänger damals auf, die Staaten im Westen und ihre Verbündeten im Nahen Osten zu bekämpfen. In den Jahren davor hatte es wiederholt unbestätigte Gerüchte über seinen Tod gegeben. Sein genauer Aufenthaltsort war unbekannt. Experten hatten zuletzt vermutet, dass sich Sawahiri im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan versteckt.

Osama Bin Laden, Anführer des Terrornetzwerks Al-Kaida und sein Berater Aiman al-Sawahiri 2001
Reuters/Hamid Mir/Editor/Ausaf Newspaper for Daily Dawn
Bin Laden und Sawahiri: Bild aus dem Jahr 2001

Die USA hatten vor knapp einem Jahr, Ende August 2021, alle Truppen aus Afghanistan abgezogen und damit den internationalen Militäreinsatz in dem Land nach fast 20 Jahren beendet. Die Taliban hatten kurz zuvor die Macht in Kabul übernommen. Der internationale Abzug wurde durch ihren rasanten Eroberungsfeldzug erschwert und gestaltete sich chaotisch. Insgesamt stieß der Afghanistan-Abzug der US-Amerikaner international auf viel Kritik und Unverständnis. Biden, der wegen des Debakels unter Druck geriet, hatte damals versprochen, den Kampf gegen den Terrorismus in der Region nicht aufzugeben.