Rauch steigt nach einem Drohnenangriff der USA in Kabul auf
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Al-Kaida-Chef

Monatelange Planung vor Tötung Sawahiris

Am Tag nach dem Tod von Aiman al-Sawahiri in Afghanistan werden Details der US-Operation bekannt. Der Al-Kaida-Chef starb bei einem Raketenangriff auf ein Haus in der Hauptstadt Kabul. Vorausgegangen war diesem laut Berichten etwa von CNN eine monatelange, minutiöse, streng geheime Planung. Nur US-Präsident Joe Biden und ein enger Kreis seien eingebunden gewesen, heißt es. Nach dem Tod der Nummer zwei der al-Kaida während der Anschläge von 9/11 sind aber auch brisante Fragen offen.

Sawahiri starb laut US-Medienberichten bei einem mittels Drohnen ausgeführten Angriff auf ein Haus im Zentrum Kabuls, während er – wie es am Dienstag auf CNN hieß – „wie sehr oft stundenlang“ auf einem Balkon saß.

Familienmitglieder bzw. Unbeteiligte sollen dabei nicht zu Schaden gekommen sein, betonte das Weiße Haus. Geplant wurde die Operation laut CNN-Bericht vom US-Auslandsgeheimdienst Central Intelligence Agency (CIA).

Modell von Haus angefertigt

In der langen Planungsphase, in der der Aufenthaltsort des 71-jährigen gebürtigen Ägypters aufgeklärt worden war, sei sogar ein Modell des Hauses, das das spätere Ziel sein sollte, angefertigt worden. Biden sei das erste Mal im April über das Versteck Sawahiris informiert worden.

Der Geheimdienst habe wochenlang seine Gewohnheiten beobachtet. Er habe, hieß es, das Haus seit seiner Ankunft dort „in diesem Jahr“ nicht verlassen – anders als seine Ehefrau und Tochter mit deren Kindern. Außerdem sei die Bausubstanz des Hauses analysiert worden.

Offenbar Präzisionsraketen eingesetzt

Schließlich habe dann Biden seine Zustimmung zu dem Angriff erteilt. Ausgeführt wurde dieser laut mehreren Medienberichten von Drohnen mit zwei „neuartigen“ Präzisionsraketen des Typs R9X-Hellfire, das sind Luft-Boden-Raketen. Das erkläre auch, weshalb es an dem betreffenden Gebäude im Viertel Sherpur, einem Villenviertel in der afghanischen Hauptstadt, für einen derartigen Angriff relativ geringe erkennbare Schäden gegeben habe. Auf der „Most Wanted“-Liste der CIA schien Sawahiri am Dienstag als „verstorben“ („deceased“) auf.

Terrorismusforscher zur Tötung von Al-Kaida-Chef

Der Anführer des Terrornetzwerks Al-Kaida, Aiman al-Sawahiri, ist von den USA in Afghanistan getötet worden. Terrorismusforscher Peter Neumann spricht unter anderem darüber, wie gefährlich die Organisation al-Kaida noch ist.

Biden bezeichnete den Tod Sawahiris, den die USA gemeinsam mit der – am 2. Mai 2011 bei einer US-Kommandoaktion im pakistanischen Abbottabad erschossenen – Nummer eins der al-Kaida, Osama bin Laden, für die Anschläge vom 11. September 2001 verantwortlich machen, als Erfolg. US-Medien wie „New York Times“ und CNN bezeichneten das Ereignis als einen „großen Sieg“ und „bedeutenden Moment“. Der Schlag gegen den Al-Kaida-Chef hat vor allem auch symbolische Relevanz, kommt er doch fast ein Jahr nach dem missglückten Abzug von US- und NATO-Truppen aus Afghanistan.

Beim Tod bin Ladens war Biden US-Vizepräsident

„Symbolisch“ war der Moment auch für Biden selbst, schrieb die BBC. Er war immerhin Vizepräsident, als bin Laden unter US-Präsident Barack Obama im Jahr 2011 getötet worden war. Auf dem berühmten Foto aus dem Situation Room saß Biden damals an Obamas Seite. Wer nun die Führung der al-Kaida übernehmen könnte, ist unklar.

US-Präsident Joe Biden
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Für US-Präsident Biden ist die Tötung Sawahiris ein Erfolgsmoment

Rätselraten um Aufenthalt in Kabul

Die Tatsache, dass sich Sawahiri in Afghanistan versteckte, wirft aber zugleich unangenehme Fragen dazu auf, was der dortige Krieg gegen den Terror gebracht hat. Ein 20 Jahre langer Militäreinsatz, der Unsummen verschlang und Zehntausende das Leben kostete – und der begann, weil das Land Al-Kaida-Terroristen Unterschlupf gewährt hatte.

Wussten die Taliban also von Sawahiris Präsenz in der Hauptstadt? Wurde der Al-Kaida-Chef unterstützt? In dem Abkommen von Doha 2020 hatten die Taliban den USA im Gegenzug für den Abzug internationaler Truppen zugesichert, dass von Afghanistan keine Terrorgefahr durch Gruppen wie al-Kaida mehr ausgehen werde.

Abkommen von Doha im Fokus

„Die Taliban werden sich für die Anwesenheit von Sawahiri in Kabul verantworten müssen, nachdem sie der Welt versichert haben, dass sie Al-Kaida-Terroristen keinen sicheren Hafen bieten werden“, sagte Adam Schiff, Vorsitzender des ständigen Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses, in einer Erklärung.

US-Außenminister Antony Blinken erklärte, die Taliban hätten das Doha-Abkommen zwischen beiden Seiten „grob verletzt“, indem sie Sawahiri beherbergten und ihm Unterschlupf gewährten. Die radikalislamischen Taliban, aktuell in Afghanistan an der Macht, verurteilten ihrerseits den Angriff. Sie warfen den USA ebenfalls einen Bruch des Vertrages zum Abzug der US-Truppen aus Afghanistan und eine Verletzung internationalen Rechts vor.

US-Regierung: Terrornetzwerk wusste Bescheid

Konkret sollen einem US-Regierungsvertreter zufolge Anführer des Haqqani-Netzwerks – einer Untergruppe der Taliban – über Sawahiris Aufenthalt in Kabul informiert gewesen sein. Die BBC verweist außerdem auf Aussagen von hochrangigen US-Beamten, wonach die Taliban das Haus Sawahiris infolge des US-Angriffes besucht hatten, um Beweise über dessen Anwesenheit zu vernichten. Den Taliban waren in der Vergangenheit immer wieder gute Kontakte zu al-Kaida nachgesagt worden.

Al-Kaida-Chef Sawahiri getötet

Die USA haben bei einem Angriff in Afghanistan den Chef des Terrornetzwerks al-Kaida, Aiman al-Sawahiri, getötet. Sawahiri war eine zentrale Figur bei der Planung der Anschläge 2001 und folgte später Osama bin Laden als Kopf der Terrororganisation nach. Nun sei Gerechtigkeit geschaffen worden, so US-Präsident Joe Biden.

„Die Tatsache, dass er in Kabul getötet wurde, ist der Beweis dafür, dass er dort mit Unterstützung der Taliban war“, wird Bill Roggio vom US-Thinktank Foundation for the Defense of Democracies (FDD) im „Wall Street Journal“ zitiert. „Er hat sich nicht in den Bergen im Norden Afghanistans versteckt. Er war im Herzen Kabuls.“

Das afghanische Innenministerium hatte am Wochenende noch Gerüchte über einen Drohnenangriff in Kabul zurückgewiesen. In der Nacht auf Dienstag schrieb Taliban-Sprecher Zabiullah Mujahid dann bei Twitter, es sei ein „Luftangriff“ auf ein Haus im Kabuler Stadtteil Sherpur ausgeführt worden. Erste Ermittlungen hätten ergeben, „dass der Angriff von amerikanischen Drohnen verübt“ worden sei.

„Wir geben uns niemals geschlagen“

„Nun wurde Gerechtigkeit geschaffen, und dieser Terroranführer ist nicht mehr“, hatte Biden dann am Montag in einer Rede am Balkon des Weißen Hauses gesagt. Er befindet sich wegen seiner neuerlichen CoV-Infektion weiterhin in Isolation. „Wir geben uns niemals geschlagen.“

Er hoffe, die Tötung Sawahiris helfe den Hinterbliebenen der Opfer vom 11. September dabei abzuschließen. Der „Präzisionsschlag“ sei zudem ein klares Signal an alle Feinde der USA: „Egal, wie lange es dauert, egal, wo du dich versteckst: Wenn du eine Bedrohung für unsere Bevölkerung bist, werden die USA dich finden und ausschalten.“ Der ehemalige Präsident Obama erklärte via Twitter: „Die heutige Nachricht ist auch ein Beweis dafür, dass es möglich ist, den Terrorismus auszurotten, ohne in Afghanistan Krieg zu führen.“

„Terrordoktor“ und rechte Hand bin Ladens

Der Ägypter Sawahiri wurde 1998 bin Ladens rechte Hand, nach dessen Tod durch US-Spezialeinheiten 2011 übernahm Sawahiri die Führung von al-Kaida. Sowohl bei der Ausrichtung der Terrororganisation als auch im Vorfeld der Anschläge am 11. September 2001 war er eine zentrale Figur.

Osama Bin Laden, Anführer des Terrornetzwerks Al-Kaida und sein Berater Aiman al-Sawahiri 2001
Reuters/Hamid Mir/Editor/Ausaf Newspaper for Daily Dawn
Bin Laden und Sawahiri: Bild aus dem Jahr 2001

Schon vorher hatte sich der gelernte Arzt aus Kairo den Spitznamen „Terrordoktor“ erworben. Allerdings gelang es ihm nie, unter den Dschihadisten das ikonenhafte Ansehen seines Vorgängers zu erreichen. Die USA hatten ein Kopfgeld von 25 Mio. Dollar (knapp 25 Mio. Euro) auf ihn ausgesetzt.

Immer wieder Aufrufe zu Attentaten

Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte Sawahiri im vergangenen September – genau 20 Jahre nach den verheerenden Terroranschlägen von 9/11. In einer Videobotschaft rief er seine Anhänger damals dazu auf, die Staaten im Westen und ihre Verbündeten im Nahen Osten zu bekämpfen. In den Jahren davor hatte es wiederholt unbestätigte Gerüchte über seinen Tod gegeben. Sein genauer Aufenthaltsort war lange unbekannt. Experten hatten zuletzt vermutet, dass sich Sawahiri im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan versteckt.

Grafik zum US-Drohnenangriff auf Al-Kaida Chef in Kabul
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: AFP

Die USA hatten vor knapp einem Jahr, Ende August 2021, alle Truppen aus Afghanistan abgezogen und damit den internationalen Militäreinsatz in dem Land nach fast 20 Jahren beendet. Die Taliban hatten kurz zuvor die Macht in Kabul übernommen. Der internationale Abzug wurde durch ihren rasanten Eroberungsfeldzug erschwert und gestaltete sich chaotisch. Insgesamt stieß der Afghanistan-Abzug der US-Amerikaner international auf viel Kritik und Unverständnis. Biden, der wegen des Debakels unter Druck geriet, hatte damals versprochen, den Kampf gegen den Terrorismus in der Region nicht aufzugeben.