Ein junger Mann tippt etwas auf einem Laptop
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Fachleute Ziel von Hass

Ruf nach schärferen Maßnahmen

Der Tod der österreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, zu dem auch Hassnachrichten und Todesdrohungen von anonymen Impfgegnern geführt hatten, hat in den vergangenen Tagen für internationale Schlagzeilen gesorgt. Die Ärztekammer (ÖAK) forderte am Mittwoch schärfere Gesetze, höhere Strafen und eine Bewusstseinsänderung.

Konkret will die Kammervertretung, dass „die Bedrohungen und Hass im Internet nicht mehr leichtfertig als Kavaliersdelikt hinzunehmen sind“. Diese müssten von den Behörden auch konsequent verfolgt werden, sagte Rudolf Schmitzberger, Leiter des ÖÄK-Referats für Impfangelegenheiten, im Ö1-Morgenjournal. Erste Maßnahmen seien bereits getroffen worden: In Wien startet die Ärztekammer einen Kurs zu Deeskalationsmaßnahmen mit einer Selbstverteidigungseinheit, so Schmitzberger.

„Sie sehen, wie dramatisch die Situation ist. Diese Kurse sind ständig ausgebucht“, sagte er – mehr dazu in wien.ORF.at. Auch bei der Ärztekammer Salzburg gebe es solche Kurse, in der Steiermark wurde eine Anti-Mobbing-Burn-out-Supervisionsstelle (AMBOSS) eingerichtet, in Wien eine Ombudsstelle für Mobbing, Gewalt, Sexismus und Rassismus für Ärztinnen und Ärzte.

ÖÄK will aber auch Internes aufarbeiten, wie der „Standard“ am Dienstag berichtete. Denn nachdem die Ärztin ihre Ordination wegen der Hasskommentare und Drohungen schloss, sagte ein ranghohes Mitglied der Ärztekammer Oberösterreich gegenüber den „Oberösterreichischen Nachrichten“: „Sollte auch die Kassenstelle in Seewalchen frei werden, werde sie schnell besetzt werden können.“

Hilfe im Krisenfall

Berichte über (mögliche) Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Die Psychiatrische Soforthilfe bietet unter 01/313 30 rund um die Uhr Rat und Unterstützung im Krisenfall.

Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen. Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsene bietet auch Rat auf Draht unter der Nummer 147.

Angehörige verlangten Obduktion

Kellermayr hatte sich im Kampf gegen CoV engagiert und war im Internet zum Hassobjekt von Impfgegnern geworden. Am vergangenen Freitag wurde die Ärztin tot in ihrer Praxis aufgefunden. Ein vorläufiges Ergebnis brachte laut Staatsanwaltschaft Wels keinerlei Hinweise auf das Einwirken Dritter. Man gehe weiter von Suizid aus.

Die Obduktion erfolgte auf Wunsch von Angehörigen, am Sachverhalt habe sich nichts geändert, sagte ein Sprecher. Angehörige hätten, wie es ihr Recht ist, die Obduktion verlangt. Die Staatsanwaltschaft Wels hat diese daraufhin beim Gericht beantragt, und jenes habe sie veranlasst. Das schriftliche Gutachten und die chemisch-toxikologischen Untersuchungsergebnisse würden allerdings noch einige Zeit in Anspruch nehmen – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Inzwischen wird ein Mann aus Oberbayern einem Medienbericht zufolge verdächtigt, der Medizinerin in Mails mit Folter und Mord gedroht zu haben. Die Münchner Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren ein. Der Suizid der 36-Jährigen, die eine Praxis in Oberösterreich betrieb, hat die Debatte über Hass im Netz neu angefacht.

Hass-im-Netz-Gesetz nicht ausreichend

In einem aktuellen „Standard“-Gastkommentar ließ der Professor für Technologierecht an der Universität Wien, Nikolaus Forgo, kein gutes Haar am bereits existierenden Hass-im-Netz-Gesetz. Trotz und wegen des Pakets sei Kellermayr „durch eine Mischung aus mutmaßlicher Inkompetenz und Wurschtigkeit der mit der Sache befassten Stellen“ belastet worden. Die Impfgegnerszene bekomme man nicht in den Griff, wenn ständig dafür plädiert werde, „innezuhalten und Gräben zuzuschütten“.

Forgo fordert stattdessen, dass die digitale Grundbildung endlich „zu mehr werden (muss) als einem neuen Schulfach, und es muss aufhören, dass Behörden ihr Nichtstun hinter angeblichen technischen oder rechtlichen Zwängen – Darknet hier, angebliche Datenschutzanforderungen da – verstecken können“.

Nun doch Obduktion von toter Ärztin

Im Fall des Todes der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr wird jetzt doch eine Obduktion durchgeführt. Das bestätigt die Staatsanwaltschaft Wels. Zwei Angehörige hätten darum gebeten.

Drohungen gegen Fachleute

Seit Monaten werden Fachleute, die sich mit dem Coronavirus beschäftigen und öffentlich auftreten, mit Drohnachrichten überhäuft. So hatte die Virologin Dorothee von Laer mehrmals darüber berichtet, dass sie in Innsbruck eine Perücke tragen musste, „unter der man mich wirklich nicht erkannt hat“. Sie hatte wegen der Hassnachrichten vermehrt im Homeoffice gearbeitet, wie sie gegenüber ORF.at Anfang des Jahres erzählte.

Am Mittwoch sagte sie im Ö1-Morgenjournal: „Es hat mich auch sehr belastet, vor allem weil diese Hass-E-Mails zum Teil wirklich sehr verletzend waren. Ich habe dann gelernt, mich ein bisschen vorsichtiger auszudrücken, es immer nur als meine subjektive Meinung darzustellen. Dadurch war ich vielleicht nicht mehr so ein Angriffspunkt.“

Trotzdem waren die Auswirkungen der Hass- und Drohmails der Coronavirus-Leugner für die Tirolerin gravierend: „Im ersten Jahr hat es dazu geführt, dass ich im November dann ein Burn-out hatte und über einen kompletten Monat ausgefallen bin.“ Die meisten Drohungen seien via Mails gekommen. „Im Internet fallen offensichtlich die Hemmungen, und da ist es dann auch unter die Gürtellinie gegangen und war wirklich mit Ausdrücken, die man nicht wiederholen kann“, schilderte sie.

„Brutal“ löschen

Auch Hans-Peter Hutter, Hygieneexperte an der MedUni Wien und in dieser Funktion während der Pandemie oft medial präsent, war und ist Drohungen ausgesetzt, erzählte er. Man brauche eine dicke Haut: „Es ist nicht dann beendet, wenn man es liest, sondern das hallt nach. Man ärgert sich drüber, man denkt sich: ‚Was ist das für eine Unverschämtheit.‘ Und das nagt an einem. Das habe ich relativ rasch erkannt und das radikal abgestellt.“ Diskussionen mit den Verfassern würden wenig bringen, daher ist sein Lösungsansatz: „Brutal“ löschen, wenn schon Kopfzeile und Betreff seltsam wirken.

Stelzer: „Furchtbare Tragödie“

Nach dem Tod von Kellermayr fanden in ganz Österreich Mahnwachen in Gedenken an die Ärztin statt – mehr dazu in oesterreich.ORF.at. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) äußerte sich am Mittwoch dazu: „Wichtig ist, dass die Behörden weiter ermitteln, um jene auszuforschen, die Frau Dr. Kellermayr bedroht haben“, betonte er in einer der APA übermittelten Stellungnahme, „Hass im Netz und persönliche Bedrohungen haben keinen Platz in unserer Gesellschaft.“ Und weiter: „Es ist schrecklich, wenn ein Mensch aufgrund von Hass und persönlichen Bedrohungen keinen anderen Weg mehr sieht, als seinem Leben ein Ende zu setzen“, so der Bundeskanzler weiter. Er begrüßte, dass „nun eine Obduktion stattgefunden hat, um Klarheit über die Umstände ihres Todes zu schaffen“.

Am Mittwoch hatte sich Oberösterreich Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) erstmals zu Wort gemeldet. Gegenüber dem „Kurier“ bezeichnete er den Suizid als „furchtbare Tragödie, die mich sehr nachdenklich stimmt“. Den Angehörigen und Hinterbliebenen spricht er sein „tiefes Beileid aus“, er „wünsche viel Kraft in dieser schweren Zeit“, so Stelzer, der sich in Sachen Hass im Netz von den Behörden „teilweise schon ein härteres und schnelleres Vorgehen“ erwarte.

Bestürzung in Deutschland

Zuletzt hatten sich auch in Deutschland Medien, Politik und Ärzteschaft bestürzt über den Tod gezeigt. Die deutschen Entertainer Joko Winterscheidt (43) und Klaas Heufer-Umlauf (38) erinnerten nun an Kellermayr: Die beiden widmeten ihre ProSieben-Sendung „Wer stiehlt mir die Show?“ ihrer „langjährigen Wegbegleiterin“, wie es zum Beginn der Show gestern Abend hieß.

Die Ärztin sei oft Gast in den Sendungen von Winterscheidt und Heufer-Umlauf gewesen, hieß es in dem auch bei Instagram veröffentlichten Beitrag der beiden Entertainer. Während der CoV-Pandemie sei sie engagiert „für die Notwendigkeit der Impfung“ eingetreten und somit ins Visier von radikalen CoV-Leugnern und „Querdenkern“ geraten.

Lauterbach entsetzt

Kellermayr habe „regelmäßig explizite und detaillierte Morddrohungen“ erhalten, und der Betrieb ihrer Praxis sei immer wieder gestört worden. Ihr Ruf nach Hilfe sei „bei den zuständigen Behörden auf Unverständnis und Untätigkeit“ gestoßen, hieß es weiter in dem Beitrag. Die Polizei hatte sich gegen Vorwürfe gewehrt, zu lax reagiert zu haben.

Auch der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) reagierte entsetzt. Er verachte und verabscheue die Hetzer im Netz, die Kellermayr in den Tod getrieben hätten. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken rief die Menschen dazu auf, Opfern von psychischer Gewalt beizustehen. Der Präsident der deutschen Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, meinte in der „Welt“, der Tod der Ärztin führe „drastisch vor Augen, wohin die Verrohung des gesellschaftlichen Klimas führen kann“.