Portrait der Schauspielerin Marilyn Monroe vom 3. Dezember 1961
AFP
60. Todestag

Der Mythos der „zerrissenen“ Monroe

Norma Jeane Baker (1926–1962), besser bekannt als Marilyn Monroe, gilt als Ikone des 20. Jahrhunderts. Zu ihren Lebzeiten war sie eine der bekanntesten Frauen der Welt. Sechzig Jahre nach ihrem Tod ist das Interesse an ihr ungebrochen – das für September angekündigte Biopic „Blonde“, in dem die Schauspielerin als zerrissene Figur gezeigt wird, schlägt schon im Vorfeld hohe Wellen.

Zwei Rekorde verzeichnet Monroe noch in diesem Jahr, sechs Jahrzehnte nach ihrem bis heute nicht gänzlich geklärten Tod, vermutlich an einer Überdosis Schlaftabletten, in der Nacht vom 4. auf den 5. August 1962: Im Mai wurde Andy Warhols Bild „Shot Sage Blue Marilyn“ für 195 Mio. Dollar (rund 185 Mio. Euro) in New York versteigert und ist damit das teuerste bisher bei einer Auktion verkaufte Kunstwerk des 20. Jahrhunderts.

Ebenfalls im Mai sorgte Kim Kardashian mit dem Originaloutfit von Monroe für den Höhepunkt der diesjährigen MET-Gala. Das beige-funkelnde Kleid, das Kardashian trug, habe Monroe getragen, als sie dem damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy 1962 ein Geburtstagsständchen sang. Gezahlt hatte das Museum, von dem der Star das Kleid entlieh, dafür fast fünf Millionen Dollar (rund 4,8 Mio. Euro), was es zum wohl teuersten Kleid der Gegenwart machte.

Zerrissen zwischen Ikone und Privatperson

Jenseits der Projektionsfläche als Superstar und Sexsymbol, die Monroe bis heute darstellt, hält die Faszination für die Kehrseite ihres Erfolges an. Die junge Frau, die sich aus schwierigen Verhältnissen emporarbeitete und als Verkörperung des amerikanischen Traums stilisiert werden konnte, um als blondes und naives Pin-up-Girl vermarktet zu werden, steht dem Bild der privaten Monroe gegenüber.

Einer Frau, die sich sehnlich ein Kind wünschte, aber etliche Fehlgeburten durchlitt, einer Intellektuellen, der man von Studioseite nahelegte, nicht öffentlich bei der Lektüre von Büchern gesehen zu werden, die man in der McCarthy-Ära als „radikal“ einstufen hätte können.

Programmhinweis

Am 6.08 zeigt ORFIII ab 20.15 die drei Dokus „Von Norma Jean zu Marilyn – Aufstieg einer Ikone“, „Glanz und Elend: Marilyn Monroe & Elizabeth Taylor“ und „Marilyn Monroe – Ihr letztes Geheimnis“

Schon der zweifach mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Autor Norman Mailer arbeitete sich an der Spannung zwischen der „privaten“ und der „öffentlichen“ Monroe ab. „Wie ein Tier ist sie auf einem Foto nie nur sie selbst, sondern sie selbst plus die Summe ihrer Umgebung“, schrieb er über sie. Der Vertreter des „New Journalism“ sollte Anfang der 70er Jahre zu einem Monroe-Bildband den Text verfassen, herausgekommen ist eine „Romanbiografie“, die gerade wieder aufgelegt wurde.

„Blonde“ schürt Diskussionen

Nachhaltig geprägt hat das Bild von der „doppelten“ Monroe aber ein ähnlich gelagertes Projekt: Der Roman „Blonde“ von Joyce Carol Oates, der 2001 auf über 1.000 Seiten die Biografie Monroes durch Fiktion ergänzte und verdichtete. Ein neues Biopic des australischen Regisseurs Andrew Dominik, das seine Premiere beim Filmfestival Venedig feiern wird und ab September auf der Streamingplattform Netflix zu sehen sein soll, basiert auf dem Roman. Die Titelrolle übernimmt die kubanische Schauspielerin Ana de Armas.

Schauspielerin Ana de Armas als Marilyn Monroe in einer Filmszene aus „Blond“
Netflix
Ana de Armas als Marilyn Monroe in „Blonde“

Schon seit Längerem gehen die Wogen wegen des Films hoch. Vergangene Woche wurde der erste Trailer veröffentlicht. Das knapp zweiminütige Video vom Donnerstag zeigt viele Facetten der Hollywood-Legende, umjubelt und von Selbstzweifeln geplagt.

Eine Frage der Betonung

„Marilyn Monroe existiert nur auf der Leinwand“, sagt de Armas als Monroe in einer Szene. Sie könne sich nicht an den Ruhm gewöhnen, sie fühle sich stets als Norma Jeane. Der Trailer zeigt berühmte Filmszenen und den ikonischen Moment, als der Star mit wehendem weißem Kleid auf einem U-Bahn-Lüftungsschacht steht.

Szene aus dem Film „Blond“ zeigt Schauspielerin Ana de Armas als Marilyn Monroe mit flatterndem weißen Kleid
Netflix
De Armas als Monroe beim Nachspielen der berühmten Szene über dem U-Bahn-Schacht

Nach Veröffentlichung des Trailers wurde Kritik an der Besetzung de Armas laut: Ihr Akzent treffe den behauchten Ton von Monroe nicht. Laut CNN widersprach Marc Rosen, Präsident für Unterhaltung bei der Authentic Brands Group (ABG), der Monroes Nachlassrechte gehört: „Jeder Schauspieler, der in diese Rolle schlüpft, weiß, dass er große Fußstapfen zu füllen hat. Allein aufgrund des Trailers sieht es so aus, als wäre Ana eine großartige Casting-Wahl gewesen, da sie Marilyns Glamour, Menschlichkeit und Verletzlichkeit einfängt. Wir können es kaum erwarten, den Film in seiner Gesamtheit zu sehen!“

Einen ganz anderen Kritikpunkt an Oates’ Roman und mittelbar an Dominiks Film kam unterdessen von Monroe-Biograf Anthony Summers im „Guardian“. Oates erzähle in ihrem Roman, wie Monroe ermordet wird, und insinuiere, dass Robert Kennedy damit in Verbindung stehe – eine These, die tatsächlich immer wieder aufgewärmt wird. „Glaubwürdige Informationen deuten darauf hin, dass (John F.) Kennedy mit Monroe verbündet war. Sein Bruder Robert, so die Forschung, hatte auch eine Art verdeckte Verbindung zu ihr. Es gibt jedoch keine Beweise dafür, dass die beiden oder jemand anderes sie ermordet hat“, so Summers.

Fakt gegen Fiktion

Auch seine Biografie und die zugrunde liegenden Recherchen hat Netflix umgesetzt. Die Doku „The Mystery of Marilyn Monroe: The Unheard Tapes“ erreichte ein Millionenpublikum. Letztendlich zeigen die immer wieder neu unternommenen Versuche, den „Mythos Monroe“ auszudeuten, aber eines. Die mediale Stilisierung zur Ikone hat noch zu Monroes Lebzeiten eine Gemengelage aus Fakten und Fiktion erzeugt, die so stark nachwirkt, dass es auch nach 60 Jahren für eine komplette Auflösung dieses Amalgams noch zu früh ist.