Giorgia Meloni
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Italien

Mussolinis Erben im Höhenflug

Nach der Ruhephase, die Mario Draghi Italiens Politik verschafft hat, scheint nun alles wieder beim Alten zu sein: Vor der Parlamentswahl im Herbst werden wild und streitlustig Parteien wie Bündnisse gewechselt. Die politische Großwetterlage ist angespannt, sogar der Papst rief zur Mäßigung auf. Beste Chancen, die erste Premierministerin des Landes zu werden, hat Giorgia Meloni von den postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI).

„Io sono Giorgia“ ist in Italien ein bekannter Ohrwurm. 2019 hatte Meloni diese Worte in einer etwas skurrilen Rede bei einer rechten Parteiveranstaltung in die Menge gerufen. „Ich bin Giorgia. Ich bin eine Frau. Ich bin eine Mutter. Ich bin eine Christin! Und niemand wird mir das nehmen!“ Zunächst hielt der Auftritt nur für ein paar Memes her, später remixten zwei Mailänder Künstler Melonis Ansprache und unterlegten sie mit einem Discobeat. Ein Scherzhit ward geboren.

Was ursprünglich dazu gedacht war, sich über die Anführerin der italienischen Postfaschisten lustig zu machen, nutzte Meloni gekonnt für ihre Zwecke. Der Song machte sie nur bekannter, schließlich nannte sie auch später ihre Autobiografie „Io sono Giorgia“. Heute steht Meloni vor den Toren des Palazzo Chigi, des Amtssitzes des Regierungschefs – fast genau hundert Jahre nach Benito Mussolinis „Marsch auf Rom“.

„Marsch auf Rom“

Mit dem „Marsch auf Rom“ gelang Mussolini 1922 ein politischer Coup. Rund 40.000 Anhänger des „Duce“ fielen in der Hauptstadt ein, er selbst reiste mit dem Zug an. Der Marsch gilt als Beginn der faschistischen Herrschaft in Italien. Zwei Jahre später erhielten die Faschisten bei nicht Wahlen unter geändertem Wahlrecht 65 Prozent. Es waren die letzten Wahlen mit mehr als einer Partei auf den Stimmzetteln.

In den Umfragen für die Wahl am 25. September liegt sie mit 22 bis 25 Prozent vorne. Nur die Sozialdemokraten der Partito Democratico (PD) können den Fratelli dabei das Wasser reichen. Melonis Aufstieg war stetig, aber lange Zeit nicht im Fokus der Aufmerksamkeit. Sie gilt – anders als ihr politischer Weggefährte und heutiger Verbündeter Silvio Berlusconi – als Ideologin.

Schon mit 15 Jahren trat sie dem neofaschistischen Movimento Sociale Italiano bei, das 1946 aus der faschistischen Partei Mussolinis hervorging. Später nannte sich die Partei Alleanza Nazionale, Meloni formte aus deren Überresten schließlich die heute starken Fratelli. Berlusconi holte die „Brüder Italiens“ aus dem politischen Abseits, 2008 machte er Meloni zur Jugend- und Sportministerin. Sie war damals die jüngste Ministerin, die das Land je gehabt hat.

Berlusconi beklagt nun die „beschämende Dämonisierung“ Melonis: „Sie war eine gute Ministerin in meiner Regierung, es mangelt ihr nicht an Hartnäckigkeit und Mut, und vor allem hat sie der Rechten, die ein wichtiger Teil der italienischen Wählerschaft war, wieder eine neue Perspektive gegeben“, so Berlusconi am Donnerstag.

Freund und Feind

Unter Meloni wuchs die Nähe der Fratelli zu Russland sowie zu anderen Rechtsaußen-Parteien in Europa, etwa zu der spanischen Vox und der polnischen PiS sowie Ungarns FIDESZ. Migration und Asyl, Brüssel, Genderpolitik sind rote Tücher für Melonis Anhänger. Sie selbst hat sich nie vom Faschismus distanziert, auf entsprechende Fragen antwortet sie gern, dieser sei ohnehin kein Thema mehr. Meloni sieht sich als Teil der italienischen Rechten, und davor brauche niemand Angst haben. „So rechts wie sie ist keine“ titelte kürzlich die deutsche „Zeit“.

Silvio Berlusconi, Matteo Salvini und Giorgia Meloni
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Verbündete und gleichzeitig Rivalen: Salvini, Meloni und Berlusconi

Nun stehen die Fratelli mit Berlusconis Partei Forza Italia und der rechten Lega von Matteo Salvini in einer Mitte-rechts-Allianz mit dem Ziel, die nächste Regierung zu bilden. Melonis Verbündete sind gleichzeitig ihre größten Rivalen, ausgerechnet Berlusconi und Salvini wird am ehesten zugetraut, eine Premierministerin Meloni zu verhindern. Die Lega leidet schwer unter den zu Meloni abgewanderten Stimmen.

Berlusconis Forza Italia zahlt ihrerseits einen hohen Preis dafür, an Draghis Sturz beteiligt gewesen zu sein. Drei Regierungsmitglieder der Forza trennten sich im Streit von Berlusconi – zwei traten der Zentrumspartei Azione bei, einer bastelt an einer eigenen Bewegung. Mindestens zehn Parlamentarier verließen zudem in den vergangenen Tagen die Forza Italia.

Abspaltungen und Eingliederungen

Auch den Cinque Stelle (Fünf Sterne) laufen vor der Wahl die politischen Schwergewichte davon. Auch sie haben das Ende der Regierung Draghi herbeigeführt und vertrieben damit mögliche Bündnispartner wie die PD. Schon vor dem Fall Draghis hatten sich etliche Funktionäre abgespalten, als Luigi Di Maio im Streit um die außenpolitische Linie seinen Austritt bekanntgab. Nach der Wahl könnten die Fünf Sterne unter Ex-Premier Giuseppe Conte aus der Regierungspartei direkt in die Bedeutungslosigkeit stürzen.

Draghis Sturz

Mario Draghi hatte sich rund eineinhalb Jahre lang als oberster Krisenmanager bewährt. Der frühere EZB-Chef führte als Parteiloser eine Regierung der Nationalen Einheit an. Teil davon waren unter anderem Forza Italia, Lega und Fünf Sterne. Diese boykottierten eine Vertrauensabstimmung, was Draghi trotz des Sieges bei dem Votum zum Rücktritt veranlasste.

Mario Draghi
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Di Maio gründete seinerseits inzwischen eine eigene Partei mit dem Namen Impegno civico (Bürgerlicher Einsatz). Dabei nahm er rund 60 Fünf-Sterne-Parlamentarier gleich mit. Di Maio stürzt sich mit dem Zentrumspolitiker Bruno Tabacci, Gründer der kleinen Zentrumspartei Centro Democratico, in den Wahlkampf. Diese Vereinbarung erlaubt Di Maio, bei der Parlamentswahl anzutreten, ohne dass er die 60.000 Unterschriften sammeln muss, die von neuen Parteien verlangt werden. Di Maio strebt nun ein Bündnis mit der PD an.

Auch das linke Lager ist schwer im Fluss. Durch neue Bündnisse versucht es, sich zu vergrößern, um eine rechte Mehrheit zu verhindern. Die sozialdemokratische PD unter Enrico Letta holte deshalb kürzlich die kleinen Parteien Azione und Piu Europa an Bord. „Es wird eine Wahl sein zwischen einem Italien, das eines der großen Länder Europas ist, und einem Italien, das mit (dem ungarischen Premier Viktor, Anm.) Orban und (dem russischen Präsidenten Wladimir, Anm.) Putin verbündet ist“, hieß es einer Erklärung der PD.

Doch reichen wird das aus heutiger Sicht nicht. Als Einzelpartei liegt die PD in den Umfragen zwar bequem auf Platz zwei, im komplizierten italienischen Wahlsystem geht aber nichts ohne Allianzen. Es begünstigt im zerklüfteten Parteiensystem jene Parteien, die breite Bündnisse eingehen. In dieser Frage steht das Mitte-rechts-Lager derzeit weit besser da.

Sorgenfalten in Brüssel

Gewinnen in Italien die rechten Kräfte, dürfte das in Brüssel zu tiefen Sorgenfalten führen. Die ohnehin brüchige Phalanx gegen Russland könnte endgültig ein Ende finden. Und auch die Regierungsverhandlungen nach der Wahl dürften nicht einfach werden.

Die Stimmung ist entsprechend aufgeheizt. Am Mittwoch appellierten etwa 100 Verfassungsrechtler verschiedener politischer Couleur für einen respektvollen Wahlkampf „ohne Delegitimierung und Verunglimpfungen“. Selbst Papst Franziskus schaltete sich ein und erinnerte an die ohnehin instabilen Zeiten. Italien habe seit der Jahrhundertwende „20 Regierungen“ gehabt, so Franziskus. Für den Wahlkampf rief er alle Parteien zu „Verantwortung“ auf.