Straße mit Dutzenden Leuchtreklamen in einer Großstadt in Japan
Getty Images/Richard I’anson
„Setsuden“

Energiesparen auf japanische Art

Die Welt befindet sich derzeit auf der Suche nach Strategien zum Energiesparen. Dabei empfiehlt sich ein Blick nach Japan, das mit der Katastrophe von Fukushima 2011 eine beispiellose Stromversorgungskrise durchgemacht hat. Damals wurde unter dem Slogan „Setsuden“ (dt.: „Stromsparen“) eine nationale Energiesparbewegung ins Leben gerufen. Diese hat gezeigt, was – oft schmerzhafte – kollektive Anstrengung in Phasen der Energieknappheit leisten kann.

Ein Beben der Stärke 9.0, ein Tsunami, daraufhin der Super-GAU im Atomkraftwerk Fukushima: Am 11. März 2011 wurde Japan von einer dreifachen Katastrophe heimgesucht. Der Tag ging als Fanal für die Atomkraft in die Geschichte ein – international weniger beachtet wurden die langfristigen Folgen für Japans Energiesystem, das mit einem Schlag auf den Kopf gestellt wurde.

Mit dem Desaster verlor der für die Region Tokio und damit fast 30 Millionen Stromkunden zuständige Energieproduzent TEPCO abrupt rund 20 Prozent seiner Stromerzeugungskapazitäten. Verantwortlich waren nicht nur die Schäden an mehreren Atomreaktoren, sondern auch an der Infrastruktur für den Stromtransport und an thermischen Kraftwerken. Bedeutungsschwer war auch die sukzessive Abschaltung von fast allen Atomreaktoren des Landes, die in den Monaten nach der Katastrophe erfolgte. Bis zu dem Super-GAU hatte Japan mehr als ein Drittel seines Energiebedarfs mit Atomkraft gedeckt.

Schwüler Sommer als Gefahr für Stromsystem

Mit Importen von Flüssiggas und Öl, dem Aufbau neuer thermischer Kraftwerke und Energieimporten konnte die dadurch entstandene Energielücke größtenteils relativ rasch geschlossen werden. Allerdings steuerte vor allem der energiehungrige Großraum Tokio mit seinen 35 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern auf eine heikle Phase zu: den schwülen Sommer. Dieser trieb und treibt noch heute wegen der intensiven Nutzung von Klimaanlagen das Stromnetz regelmäßig an seine Grenzen.

Luftaufnahme des AKW Fukushima
Reuters/Kyodo
Japan laboriert bis heute an den Folgen der Nuklearkatastrophe von Fukushima

Weil sich TEPCO nicht in der Lage sah, den prognostizierten Spitzenstromverbrauch zu decken, wurde unter dem Slogan „Setsuden“ eine breite Kampagne zum Stromsparen ins Leben gerufen, die große Resonanz hatte, dank einer breiten Kampagne Unternehmen und Privatpersonen mobilisierte – und das Tokioter Stadtbild zwischendurch deutlich veränderte.

Halb dunkles Tokio

Die sonst mit Leuchtreklame erhellten Straßen versanken ins Halbdunkel, Beleuchtung wurde gedimmt bzw. ausgeschaltet, und der sonst so hektische öffentliche Verkehr durch Fahrplankürzungen und langsameres Fahrtempo zusammengestutzt. Vielerorts standen Rolltreppen und Liftanlagen still, in Elektromärkten präsentierte Geräte blieben ausgeschaltet. Die unzähligen Verkaufsautomaten in den Straßen Tokios und die Pachinko-Spielhallen mit ihrer schrillen Leucht- und Geräuschkulisse gerieten in die Kritik, Letzteren wurden schließlich drei Schließtage pro Monat verordnet.

Menschen in einem spärlich beleuchteten Supermarkt in Tokio 2012
Reuters/Kyodo
Unnötige Leuchtquellen wurden abgeschaltet

Das Programm schlug auch auf Privathaushalte durch, die zu den auch hierzulande bekannten Energiesparmaßnahmen aufgefordert wurden – angefangen vom Verzicht auf Klimaanlagen zugunsten von Ventilatoren und Fächern bis hin zur Empfehlung, LED-Lampen zu verwenden und Räume zu isolieren.

Den größten Effekt hatten aber Beschränkungen für Großverbraucher, Gewerbe und Handel. Sie wurden im Juli für drei Monate zu einem Energiesparziel von 15 Prozent verpflichtet, „vorbildliche“ japanische Unternehmen sogar zu einem Sparziel von 30 Prozent angespornt. Viele Unternehmen unternahmen daraufhin deutliche und langfristig anhaltende Anstrengungen zum Energiesparen, zusätzlich wurde die Produktion energiesparender Elektrogeräte vorangetrieben.

Ältere Personen in einer japanischen Pachinko-Spielhalle
Getty Images/Issei Kato
Eine Pachinko-Halle im energiehungrigen Japan

Sonderurlaub und leichte Kleidung

Dabei waren die Maßnahmen durchaus weitreichend – und auch im Kontext der japanischen Arbeitskultur zu sehen. Unter anderem wurde den Firmen nahegelegt, ihre Produktion in Zeiten mit einem weniger ausgelasteten Stromnetz – etwa Nächte und Wochenenden – zu verlegen. So machte etwa die Autoindustrie in den Sommermonaten den Donnerstag und Freitag zum Wochenende.

Der Dienstbeginn vieler Beschäftigter wurde gestaffelt, um die Last auf das Stromnetz besser zu verteilen. Manche Unternehmen schickten ihr Personal gar in einen verlängerten Sommerurlaub – ein für die japanische Arbeitskultur extrem untypischer Akt. Einigermaßen bizarr mutet auch das „Super Cool Biz“-Programm des Umweltministeriums an. Dieses sieht vor, dass Büro- und Arbeitsräume nur mehr auf 28 Grad Celsius gekühlt werden, Beschäftigte dafür zur Vermeidung eines Hitzeschlags leichte Kleidung statt Anzug und Krawatte tragen dürfen. An diesem Beispiel zeigt sich auch der mit den Energiesparmaßnahmen verbundene soziale Druck.

Das „Setsuden“-Sparprogramm trug jedenfalls Früchte: Der Stromverbrauch reduzierte sich 2011 um sechs Prozent, im Jahr darauf um acht Prozent. Während der Sommermonate kam es trotz der nach wie vor beschädigten Energieinfrastruktur zu keinen Stromausfällen. Der sommerliche Spitzenverbrauch schrumpfte von 60 Gigawatt im Juli 2010 auf 49 Gigawatt im August 2011. Auch 2013 ließen sich noch Energiespareffekte messen – und viele Maßnahmen wurden für den Winter adaptiert, der Japans Energiesystem wegen des Heizbedarfs ebenfalls belastet.

Probleme ganz aktuell

Freilich ändert der Erfolg dieser mittlerweile eine Dekade zurückliegenden Kampagne wenig daran, dass Japan seit Fukushima sein Stromsystem nicht auf neue Beine stellen konnte. Die Atomkraftwerke konnten nicht nachhaltig ersetzt werden, und die Abkehr von fossilen Energiequellen geht trotz Klimakrise nur schleppend voran. Derzeit kämpft das Land zusätzlich damit, dass es aufgrund des Ukraine-Krieges auch andere Länder auf Flüssiggas (LNG) abgesehen haben und der Preis steigt.

Just in diesem Sommer kämpft Japan mit einer heftigen Hitzeperiode, die das Stromnetz wieder auf die Probe stellt. Die Regierung musste vor einem Stromengpass warnen und die Bevölkerung zum Energiesparen aufrufen. So weitreichende Maßnahmen wie 2011 zeichnen sich trotz der Weltlage derzeit aber nicht ab – zumindest noch nicht.