Proteste Chinas gegen den Besuch Taiwans durch die US-Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi in Hongkong
Reuters/Tyrone Siu
Nach Pelosi-Besuch

Taiwan wappnet sich für Chinas Seemanöver

Nach dem Besuch von US-Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi wappnet sich Taiwan für mögliche Vergeltungsmaßnahmen Chinas. Die großangelegte Militärübung vor den Gewässern des Inselstaats nährt die Sorge vor einer See- und Luftblockade. Gleichzeitig häufen sich Rufe nach und Bemühungen um eine Deeskalation von vielen Seiten.

Von Donnerstag bis Sonntag will China großangelegte Militärmanöver rund um die Insel abhalten, bereits mit der Landung Pelosis am Dienstag starteten erste Schießübungen in sechs Meeresgebieten, die Taiwan umgeben. Taiwan erklärte Mittwochabend (Ortszeit), dass knapp 20 Flugrouten von den chinesischen Manövern betroffen seien, wegen der Ausweichrouten könnten sich Flugzeiten vor allem internationaler Flüge verlängern.

Dem taiwanesischen Verteidigungsministerium zufolge sollen einige chinesische Manöver innerhalb der Zwölfseemeilenzone Taiwans stattfinden – ein beispielloser Schritt, wie es hieß. Das taiwanische Militär sprach nach Angaben der Nachrichtenagentur CNA am Dienstag von einem „schweren Verstoß“ gegen Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen und einer Verletzung der Souveränität des Landes durch die Sperrgebiete für die Manöver. Auch Japan zeigte sich besorgt, das Gebiet nahe Taiwan überschneide sich mit Japans exklusiver Wirtschaftszone.

Grafik zum Militärmanöver Chinas
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: New York Time

Taiwan erwarte zudem verstärkte Angriffe im Rahmen psychologischer Kriegsführung, so ein Regierungsvertreter, vor allem mit falschen Infos und entsprechenden Kampagnen. Cyberangriffe seien um den Faktor 23 gestiegen, Medien wurden aufgerufen, nicht als Propagandamaschine für China zu agieren. Der Wirtschaftsminister des Landes erklärte, man habe die Sicherheitsmaßnahmen bei Schlüsselinfrastruktur verstärkt, auch die Kontrollen etwa bei Häfen und Bahnhöfen wurden verstärkt.

China verhängte weitere Sanktionen

Nach Angaben von Taipeh sind am Mittwoch 27 chinesische Kampfflugzeuge in die taiwanesische Luftverteidigungszone geflogen. Schon am Dienstag waren über 20 chinesische Militärflugzeuge im taiwanesischen Luftraum. China reagierte am Mittwoch zudem mit weiteren Sanktionen, unter anderem wurden der Export von Sand nach Taiwan und der Import von Fisch und Obst von China mit neuen Sanktionen belegt bzw. ausgeweitet. Seit Montag verhängte China insgesamt 35 Sanktionen gegen Taiwan, berichtete Reuters. Weiters wurden „disziplinäre“ Maßnahmen gegen zwei Organisationen verhängt. China hatte vor der Reise Pelosis mit harten Maßnahmen gedroht.

Die taiwanische Präsidentin Tsai Ing-wen gab sich gezielt unbeeindruckt: Die Reserven des Inselstaats seien ausreichend, gerade im Energiebereich habe man ausreichend vorgesorgt. Auch auf die Sanktionen Chinas sei man vorbereitet gewesen. „Taiwan wird nicht klein beigeben“, sagte sie, „wir werden tun, was immer notwendig ist, um unsere Selbstverteidigungsfähigkeiten zu stärken.“

Aufruf zur Deeskalation

Der Besuch ist auch Thema beim Außenministertreffen der Staaten des Verbandes Südostasiatischer Nationen (ASEAN) in Kambodscha. An den mehrtägigen Gesprächen, die am Mittwoch in der Hauptstadt Phnom Penh begannen, nehmen auch der chinesische Außenminister Wang Yi und US-Außenminister Antony Blinken teil. Das Treffen der Staatengruppe sei eine Chance, um die angespannte Lage zu beruhigen, sagte der kambodschanische Vizeaußenminister Kung Phoak, man hoffe, dass alle Seiten um Deeskalation bemüht seien.

Ein US-Vertreter sagte, es sei kein Treffen der beiden Außenminister geplant. China reagierte weiterhin gereizt: Chinas Außenminister Yi warf den USA am Rande des Treffens vor, die chinesische Souveränität „unter dem Deckmantel der sogenannten ‚Demokratie‘“ zu missachten. „Diejenigen, die China beleidigen, werden bestraft“, den Besuch Pelosis bezeichnete er als „Farce“.

Wusste China von Reise schon länger?

Die US-Regierung bemühte sich selbst um eine Deeskalation der Lage. Es gebe keinen Grund, warum der Besuch eine Krise oder einen Konflikt auslösen sollte, sagte der Sprecher für Nationale Sicherheitsfragen des US-Präsidialamtes, John Kirby. In US-Regierungskreisen hieß es, Blinken habe über die Möglichkeit eines Pelosi-Besuchs bereits mit seinem chinesischen Kollegen Yi beim G-20-Treffen in Indonesien im vergangenen Monat gesprochen. Dabei habe er betont, dass eine solche Reise allein Pelosis Entscheidung und unabhängig von der US-Regierung sei.

Pelosi aus Taiwan wieder abgereist

US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi hat ihren von heftigen Protesten Chinas begleiteten Besuch in Taiwan beendet. Auf Videoaufnahmen war zu sehen, wie die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses auf dem Songshan Flughafen in Taipeh in das Flugzeug der United Airlines stieg. Die 82-Jährige hatte zuvor in Gesprächen mit der taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen und dem Vizeparlamentspräsidenten Tsai Chi-chang die Solidarität der USA mit Taiwan zugesichert.

Die EU-Kommission erklärte, man müsse Spannungen im Dialog lösen. Die EU stehe zum Grundsatz der Ein-China-Politik und erkenne die Führung in Peking als alleinige rechtmäßige Regierung Chinas an, man wolle aber auch den Status quo in der Straße von Taiwan bewahren. Der Zorn Chinas traf auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bzw. die deutsche Botschafterin in Peking, Patricia Flor, die ins chinesische Außenministerium zitiert wurde.

Flor schrieb nach dem Gespräch auf Twitter: „Freimütige Aussprache heute. In meinem Treffen mit Vizeaußenminister Deng Li habe ich betont: Deutschland steht zur Ein-China-Politik“. Baerbock hatte China am Montag vor einer Eskalation der Spannungen mit Taiwan gewarnt und sich hinter den Inselstaat gestellt.

Russland hält China die Stange

Rückendeckung für China kam unterdessen erneut von Russland: Der Besuch in Taiwan zeige den Wunsch Washingtons, jedem die Gesetzlosigkeit der USA zu demonstrieren, nach dem Motto, „ich mache, was ich will“, sagte Außenminister Sergej Lawrow am Mittwoch bei einem Besuch in Myanmar der russischen Staatsagentur TASS zufolge. Ein solches Ärgernis sei aus dem Nichts geschaffen worden, wohl wissend, was das für China bedeute. Zuvor hatte der Kreml die Reise als Provokation bezeichnet und sich solidarisch mit der Volksrepublik gezeigt.

Pelosi war im Zuge ihrer Asienreise am Dienstag nach Taiwan gereist und flog am frühen Mittwochabend (Ortszeit) weiter nach Südkorea und Japan. Bei einem gemeinsamen Auftritt mit Präsidentin Tsai in Taipeh sagte Pelosi, dass die USA „immer an der Seite Taiwans stehen“ würden. Der Besuch zeige, „dass wir unsere Verpflichtungen gegenüber Taiwan nicht aufgeben werden“. Die Solidarität der USA mit den 23 Millionen Menschen in Taiwan sei „wichtiger denn je, da die Welt vor der Wahl zwischen Autokratie und Demokratie steht“, so Pelosi nach ihrer Landung in der Hauptstadt Taipeh.

Pelosi in Taiwan eingetroffen

Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, landete Dienstagabend (Ortszeit) in der Hauptstadt Taipeh. Die Spitzenpolitikerin setzte sich damit über Warnungen aus China hinweg, das die demokratische Insel als Teil der Volksrepublik ansieht.

Gleichzeitig mit ihrem Eintreffen wurde in der „Washington Post“ ein Kommentar veröffentlicht, in dem die US-Demokratin ihre Reise begründet. Sie traf in Taipeh auch Menschenrechtsaktivisten, darunter den früheren Führer der 1989 blutig niedergeschlagenen Demokratiebewegung in China, Wuer Kaixi sowie den früheren Hongkonger Buchhändler Lam Wing-kee und den sozialen Aktivisten Lee Ming-chee, die beide in China gefangen gehalten worden waren. Lee Ming-che war gerade erst nach einer fünfjährigen Haftstrafe wegen „Untergrabung der Staatsgewalt“ aus China nach Taiwan zurückgekehrt.

Das chinesische Außenministerium warf den USA nach der Landung Pelosis umgehend ein „Spiel mit dem Feuer“ vor. Die US-Aktionen in Taiwan seien „extrem gefährlich“, hieß es am Dienstagabend (Ortszeit) in einer Erklärung des Ministeriums. „Wer mit dem Feuer spielt, wird darin umkommen.“ Dieselben Worte hatte bereits vergangene Woche Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping in einem Telefonat mit US-Präsident Joe Biden verwendet.

Höchster US-Besuch seit 25 Jahren

Nicht zuletzt wegen des Ukraine-Krieges galt Pelosis Besuch als heikel. Kritiker warnten, der Besuch könnte das US-chinesische Verhältnis weiter beschädigen und parallel zum Ukraine-Krieg eine weitere Flanke der USA öffnen. Als Vorsitzende des Repräsentantenhauses hat die 82-Jährige das dritthöchste Amt der USA inne. Sie ist damit die höchstrangige US-Politikerin seit 25 Jahren, die Taiwan besucht.

Übersichtskarte von China und Taiwan
Grafik: APA/ORF.at

Zwar wird die US-Regierung nicht müde zu betonen, dass sich die China-Politik der Vereinigten Staaten nicht geändert habe. Auch Pelosi selbst betonte nach ihrer Landung in Taipeh die unveränderte US-Haltung. Die Symbolik des Besuchs ist aber nicht von der Hand zu weisen. Chinas Staatschef Xi Jinping sieht eine „Vereinigung“ des chinesischen Festlandes mit Taiwan als „historische Mission“. Unter Verweis auf ihre „Ein-China-Doktrin“ versucht die chinesische Führung, Taiwan international zu isolieren.

„Strategische Zweideutigkeit“ der USA

Washington brach formal die Beziehungen zu Taiwan 1979 zwar ab, als es Peking als alleinigen Repräsentanten Chinas anerkannte und das chinesische Kernland zu einem wichtigen Handelspartner der USA wurde. Zugleich aber spielten die USA eine entscheidende, zuweilen heikle Rolle bei der Unterstützung Taiwans. So sind die Vereinigten Staaten per Gesetz verpflichtet, Taiwan Militärausrüstung zu liefern, um Taipehs Verteidigungsfähigkeit sicherzustellen.

Grafik zur militärischen Stärke von China und Taiwan
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: globalfirepower.com

Dabei behält sich Washington eine „strategische Zweideutigkeit“ vor, ob es im Fall einer chinesischen Invasion tatsächlich militärisch eingreifen würden. Auf diese Weise soll China von einer möglichen Invasion abgehalten und gleichzeitig Taiwan daran gehindert werden, formal seine Unabhängigkeit zu erklären.

Mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges wuchs die Sorge, Peking könnte im Umgang mit Taiwan auf ein ähnliches Vorgehen setzen wie Russland. Vor diesem Hintergrund hatte Biden im Mai gesagt, die USA würden Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs militärisch unterstützen. Bidens Äußerungen sorgten für scharfe Reaktionen in China, das Weiße Haus musste daraufhin zurückrudern. Seitdem versichern Washington und auch Biden immer wieder, die Taiwan-Politik der USA habe sich nicht geändert.