Brad Pitt in „Bullet Train“
Sony Pictures Filmverleih GmbH
„Bullet Train“

Pitts Zwischenstopp im Mörderzug

Am Mittwochabend hat das Starvehikel „Bullet Train“ das Internationale Filmfestival in Locarno eröffnet, ab Donnerstag muss Brad Pitt sich darin auch in den heimischen Kinos als Profikiller gegen blutige Konkurrenz durchsetzen. Und zwar an Bord eines Hochgeschwindigkeitszugs, der durchs nächtliche Japan braust.

Natürlich ist es ein Koffer mit geheimnisvollem Inhalt, der klassischerweise alles auslöst: Pitt, der im Film unter dem unwürdigen Decknamen Ladybug agiert, soll den Koffer in einem Zug finden, an sich nehmen und bei der nächsten Station wieder aussteigen. Es ist ein simpler Auftrag, genau richtig für einen Profikiller, der nach Burn-out und einer längeren Auszeit mit viel Gesprächstherapie wieder in den Beruf zurückzufinden versucht.

Schließlich ist Zugfahren grundsätzlich eine entspannende Form des Unterwegsseins: Die Zeit gehört den Reisenden, man kann schlafen, arbeiten oder essen, es gibt Ruhe- und Kinderabteile, Restaurants und Toiletten, die im Fall japanischer Züge mit aufregenden Zusatzfunktionen ausgestattet sind. Doch Ladybug ist schon sein Leben lang von Mörderpech verfolgt.

Obwohl er diesmal auf seine Schusswaffe zu verzichten beschließt, ganz nach den friedlichen Prinzipien seines Therapeuten, gerät er in Bedrängnis, kaum hat er den Koffer gefunden. Denn natürlich hat der Koffer einen Besitzer, und natürlich sind noch weitere Personen an diesem speziellen Koffer interessiert. Und unglücklicherweise sind die alle ebenso mordlustig wie kompetent darin, ihren Blutdurst zu stillen.

Alte Freunde

Da sind etwa die ungleichen Brüder Tangerine und Lemon (Aaron Taylor-Johnson und Brian Tyree Henry), die den Koffer und den Sohn eines Großverbrechers sicher nach Hause geleiten sollen. Da ist der von Trauer zerfressene Wolf (Benito A. Martinez Ocasio), der mit Ladybug noch ein paar Dinge zu klären hat. Und da ist eine junge Frau namens Prince (Joey King), die in Schulmädchenuniform kostümiert als personifizierte Unschuld kleine Kinder von Hochhäusern schubst, wenn sie dadurch an ihr Ziel zu kommen glaubt.

Brad Pitt in „Bullet Train“
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Streit ums Gepäckfach: Ladybug (Brad Pitt) im Disput mit Wolf (Benito A. Martinez Ocasio)

„Bullet Train“ ist der fünfte Spielfilm des gelernten Stuntman David Leitch, den Pitt 1998 am Set von David Finchers „Fight Club“ kennenlernte. Leitch war damals Pitts Stunt-Double und trainierte ihn für die Szenen, in denen er selbst kämpfen musste. Es war die erste Zusammenarbeit von mehreren, in denen sich die beiden als Duo bewährten.

Inzwischen ist Leitch erfolgreich als Regisseur und Produzent von Actionfilmen, die allesamt von spektakulären Stunt-Szenen und überästhetisierter Gewalt geprägt sind, von seinem Debüt John Wick, den er mit Stunt-Kollege Chad Stahelski drehte, über „Atomic Blonde“ bis zu „Deadpool 2“, wo Leitch erstmals massiv mit Visual Effects arbeiten musste und das mit seiner langjährigen Expertise bei der Stunt-Koordination vereinte.

Party für Stunt-Leute

In „Bullet Train“ nutzt Leitch diese Erfahrung: In der Beschränkung des Zuges, der für die Stunt-Choreografie gerade durch die Enge eine Fülle an Möglichkeiten bietet, inszeniert er eine Serie an Nahkampfszenen mit und ohne Schusswaffen, Requisiten und teils mehreren Beteiligten, die in ihrer technischen Brillanz viele andere Actionfilme der Gegenwart in den Schatten stellen, mit Strömen an Blut und zwischendurch mit pointierten Dialogen, die stilistisch geprägt sind von der Geschwätzigkeit der Filme eines Quentin Tarantino oder Guy Ritchie.

Bryan Tyree Henry und Aaron Taylor-Johnson in „Bullet Train“
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„He, Sie sitzen auf meinem Platz!“ Tangerine (Aaron Taylor-Johnson, mit Brian Tyree Henry) beharrt auf seiner Reservierung

Diese Nummernrevue macht im Einzelnen Spaß, wird dann aber doch recht langwierig, denn weder die Actionszenen noch irgendeine nennenswerte Charakterentwicklung treiben den Film voran, auch die erklärenden Rückblenden, Jump-Cuts und die „Thomas, die kleine Lokomotive“-Anspielungen, die Lemon ständig macht, helfen weiter. Ausschließlich in den wortreichen Dialogen wird dargelegt, wie am Ende alles mit allem zusammenhängt.

Immer dann, wenn es zu fad wird, erfreut dafür einer der vielen prominenten Miniauftritte, etwa Sandra Bullock mit trockenem Schmäh, guten Ratschlägen und einer Notfallbanane, und Zazie Beets in einer flauschigen Rolle. Besonderes Highlight sind Channing Tatum, der Pitt schöne Augen macht, und Michael Shannon mit einem übertrieben melodramatischen Auftritt. Für einen kurzen, seltsamen Moment schaut sogar Ryan Reynolds vorbei, vielleicht, um seinem „Deadpool 2“-Regisseur eine Freude zu machen.

Wenig Japan, viel Action

Am coolsten von allen ist die japanische Kinolegende Hiroyuki Sanada, einer von gerade einmal zwei japanischen Figuren, die den Zug benutzen. Dabei ist „Bullet Train“ die Verfilmung des gleichnamigen japanischen Bestsellers von Kotaro Isaka, der erst im April auf Deutsch übersetzt erschienen ist und in seiner Ironisierung von Gewalt ebenfalls an Tarantino erinnert. In Leitchs Adaption ist vom japanischen Lokalkolorit jedenfalls nicht viel übrig geblieben, abgesehen von touristischem Staunen über Multifunktionsklos und Manga-Ästhetik.

Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass Zugfahren vielleicht doch nicht so entspannend ist wie gedacht. Erst kürzlich meinte Pitt in einem Interview, er denke allmählich daran, die Schauspielerei an den Nagel zu hängen. Wenn das nun sein Alterswerk ist, schön für ihn, denn offensichtlich hat er viel Spaß bei der Sache.