ein deutsches Polzeifahrzeug mit Blaulicht
Reuters/Michaela Rehle
Fall Kellermayr

Razzia bei 59-Jährigem in Bayern

Im Fall der aus der Impfgegnerszene bedrohten und durch Suizid verstorbenen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr hat die Generalstaatsanwaltschaft München die Wohnung eines Tatverdächtigen durchsuchen lassen. Auch die Staatsanwaltschaft Wels nahm inzwischen ihre eingestellten Ermittlungen in dem Fall wieder auf.

Die Hausdurchsuchung sei am frühen Freitagmorgen von der Kriminalpolizeiinspektion Fürstenfeldbruck am Wohnort eines 59-Jährigen durchgeführt worden, teilte die Ermittlungsbehörde mit. Es seien Datenträger sichergestellt, die nun ausgewertet werden. Der Verdächtige aus dem Landkreis Starnberg habe sich kooperativ gezeigt. Gegenstand der Ermittlungen seien im Wesentlichen die Tatvorwürfe der Bedrohung und der Nachstellung, hieß es in einer Aussendung. Es gehe um entsprechende Äußerungen des Beschuldigten im Internet und in sozialen Netzwerken.

Nähere Details wollte die Behörde vorerst nicht preisgeben. Die Landespolizeidirektion Oberösterreich sagte, dass es sich bei dem Verdächtigen um jene Person handle, die sie im Februar ausgeforscht hatte und gegen die die Staatsanwaltschaft Wels die Ermittlungen zunächst wegen mangender inländischer Gerichtsbarkeit eingestellt und die Ergebnisse nach Deutschland gemeldet habe.

Staatsanwaltschaft Wels nimmt Verfahren wieder auf

Mit den Ermittlungen ist seit Mittwoch die Generalstaatsanwaltschaft München betraut. Sie ist für die Bekämpfung von Extremismus zuständig. Der leitende Oberstaatsanwalt und Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft, Klaus Ruhland, kündigte im BR24-Interview an, dass sich die Behörde eng mit den österreichischen Kolleginnen und Kollegen abstimmen werde.

Auch die Staatsanwaltschaft Wels nahm im Fall Kellermayr die Ermittlungen gegen Verfasser der Morddrohungen in sozialen Netzwerken wieder auf. Die inländische Gerichtsbarkeit sei wieder gegeben, bestätigte der Leitende Staatsanwalt Christian Hubmer einen Bericht in den „OÖN“ (Freitag-Ausgabe). Man arbeite nun mit den neuen deutschen Anklagebehörden zusammen.

Nachdem sich Tatort und Verdächtige in Deutschland befinden, sei die territoriale Zuständigkeit ursprünglich nicht mehr gegeben gewesen. Daher wurden die Ermittlungen nach Berlin und München abgetreten. Mit dem Suizid der 36-jährigen Hausärztin in Oberösterreich haben sich die Zuständigkeiten geändert, weshalb seit Donnerstag die Staatsanwaltschaft Wels die Ermittlungen gegen namentlich bekannte Verdächtige wieder aufgenommen habe, so Hubmer. Man habe bereits aus Deutschland „den dortigen Verfahrensstand abgerufen“ – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Strafrechtlerin mit Kritik an Behörden

Im Zusammenhang mit den Ermittlungen übte die Wiener Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes am Freitag scharfe Kritik an den oberösterreichischen Strafverfolgungsbehörden. Aus ihrer Sicht war schon mit dem Suizid der Medizinerin am Freitag evident, dass eine Zuständigkeit der österreichischen Justiz für Ermittlungen wegen gefährlicher Drohung mit Selbstmordfolge im Sinne des Paragrafen 107 Abs. 3 StGB gegeben ist.

Im Gespräch mit der APA ging Zerbes nun noch einen Schritt weiter. Unter Berufung auf Medienberichte, denen zufolge Kellermayr seit vergangenem Herbst von einem deutschen Verdächtigen im Wege der Telekommunikation schwer bedroht wurde, hätte das nach ihrem Dafürhalten bereits ausreichen müssen, um im Inland ein Verfahren wegen beharrlicher Verfolgung nach Paragraf 107a StGB einzuleiten.

„Indem die Frau seine Textnachrichten, die geeignet waren, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, in Österreich erhalten hat, ist der dafür erforderliche Zwischenerfolg – Kontaktherstellung nach Paragraf 107a Abs. 2 Z2 StGB – eingetreten“, so Zerbes. Dass die Tathandlungen des Verdächtigen jedenfalls geeignet waren, die Ärztin in ihrer Lebensführung nachhaltig zu beeinträchtigen, „liegt auf der Hand“.

Viele Frauen im Stich gelassen

Der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser kritisierte in einer Aussendung, dass viele Frauen in Österreich von Behörden „völlig in Stich gelassen, nicht ernst genommen, abgewiesen, falsch informiert oder sogar angeschrien“ werden, wenn sie eine polizeiliche Anzeige erstatten wollen.

Hilfe im Krisenfall

Berichte über (mögliche) Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Die Psychiatrische Soforthilfe bietet unter 01/313 30 rund um die Uhr Rat und Unterstützung im Krisenfall.

Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen. Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsene bietet auch Rat auf Draht unter der Nummer 147.

Zu viele Anzeigen werden von der Staatsanwaltschaft eingestellt, gefährliche Täter werden noch viel zu wenig in U-Haft genommen, die Verfahren dauern lange, heißt es darin. Behörden, wären eigentlich verpflichtet, Gewalt zu stoppen, stattdessen würde das Martyrium der Betroffenen „durch permanentes, unerträgliches Victim Blaming und Opfer-Täter-Umkehr, die täglich stattfindet“ noch verlängert.

Mückstein: „Bewusstsein fehlt“

Der frühere Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) beklagte im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin „profil“ (Online-Ausgabe) am Freitag, dass in der Gesellschaft immer noch das Bewusstsein fehle, „dass anonyme Drohungen genauso große Ängste auslösen können wie direkte Beschimpfungen oder Drohungen auf der Straße. Das dürfen wir nicht mehr länger als reines Dampfablassen am virtuellen Stammtisch bagatellisieren.“ Auch auf staatlicher Ebene entwickle sich dieses Bewusstsein erst.

Mückstein, der bereits bei seinem Rücktritt im März von täglichen Drohungen gegen sich und seine Familie berichtet hatte, schilderte massive Sicherheitsmaßnahmen in seiner Amtszeit: „Ich stand vier Monate lang unter Polizeischutz. Untertags durch zwei Polizisten, in der Nacht stand einer vor meiner Türe. Auch vor dem Haus meiner Töchter“, eine schusssichere Weste sei immer mitgeführt worden. „Letztlich kann man nicht einschätzen, wie groß diese Bedrohung wirklich ist, selbst wenn man – wie ich damals – auf die Experten des Staatsschutzes vertrauen konnte. Dieser Restunsicherheit, ob der eigenen Familie etwas passiert, das war für mich ein zu hoher Preis.“

Mittlerweile hätten die Drohungen nachgelassen, aber Zuschriften wie „Wir haben Sie nicht vergessen!“ würden nach wie vor ins Haus flattern. Dennoch – ab Herbst will er wieder als praktischer Arzt tätig sein. Auf die Frage, was bei Ermittlungen gegen mutmaßliche Bedrohende herausgekommen ist, meinte er: „Ich wurde vom Staatsschutz in rund zwölf Fällen gefragt, ob ich einer Strafverfolgung zustimme. Ich habe in der Regel zugestimmt.“ In zwei Fällen sei er über die Einstellung des Verfahrens informiert worden, „von den restlichen Fällen habe ich nichts mehr gehört“.