Zerstörung nach Angriff in Bachmut, Ukraine
Reuters/Ukrainischer Katastrophenschutz
Ukraine-Krieg

Verteidigungswall im Osten gerät ins Wanken

In der Ukraine gerät die Verteidigungslinie im Osten des Landes bei Bachmut unter Druck. Nach Angaben aus Kiew attackieren russische Truppen mit aller Härte den letzten von der Ukraine gehaltenen Ballungsraum im Donbas, laut den prorussischen Rebellen wird sogar schon in der Stadt gekämpft. Der britische Geheimdienst sieht den Krieg unterdessen vor einer neuen Phase.

„Der Feind führt einen Angriff auf Bachmut durch, die Kämpfe halten an“, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht am Samstag mit. Die Russen würden den Verkehrsknotenpunkt mit Artillerie und Panzern beschießen. Die prorussischen Rebellen hatten am Freitag vermeldet, es gebe bereits Gefechte innerhalb des Stadtgebietes. Unabhängig können die Angaben beider Seiten nicht überprüft werden.

Seit der Eroberung des Gebietes Luhansk konzentrieren sich die russischen Offensivbemühungen in der Ostukraine auf das benachbarte Gebiet Donezk. Schrittweise konnten die russischen Streitkräfte in den vergangenen Wochen die ukrainischen Verteidiger zurückdrängen. Sie kontrollieren inzwischen etwa 60 Prozent des Territoriums.

Zerstörung nach Angriff in Bachmut, Ukraine
Reuters/Ukrainischer Katastrophenschutz
Einsatzkräfte räumen in Bachmut Trümmer nach einem russischen Angriff weg

Russen wollen Verteidigungslinie durchbrechen

Das Hauptquartier der ukrainischen Truppen im Donbas befindet sich im Ballungsraum Slowjansk – Kramatorsk, wo vor dem Krieg gut eine halbe Million Menschen lebten. Von Osten her ist dieser Raum durch die Festungslinie Siwersk – Soledar – Bachmut gesichert. Diese gerät nun an mehreren Stellen ins Wanken. Russische Truppen stehen auch vor Siwersk und Soledar.

Auch direkt vor der ehemaligen Gebietshauptstadt Donezk, seit 2014 in der Hand prorussischer Separatisten, dauern die Gefechte an. Die moskautreuen Truppen versuchen hier, die ukrainischen Kräfte weiter abzudrängen. Im Raum der Kleinstadt Awdijiwka, nördlich von Donezk, habe es mehrere Angriffsversuche gegeben, diese seien abgewehrt worden, meldete der Generalstab. Das Gebiet wird großflächig mit Artillerie beschossen. Auch Samstagabend gab der Generalstab bekannt, dass russische Offensiven in Richtung der Städte Slowjansk, Bachmut und Awdijiwka zurückgeschlagen worden seien.

Straßensperre in Bachmut, Ukraine
APA/AFP/Bulent Kilic
Überall in der umkämpften östlichen Donbas-Region findet man Straßensperren

Russland meldet 600 getötete Ukrainer

Das russische Militär meldete am Samstag, mit Luft- und Artillerieschlägen fast 600 ukrainische Soldaten getötet zu haben. „Nahe der Ortschaft Bilohirka im Gebiet Cherson wurde durch Luftschläge und Artilleriefeuer der zeitweise Standort der 46. ukrainischen Luftsturmbrigade getroffen“, so der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Mehr als 400 „Nationalisten“ seien getötet worden.

Daneben seien durch Raketenangriffe an der Front in Cherson mehr als 70 weitere Soldaten getötet und 150 verletzt worden. Bei Raketenangriffen im Gebiet Dnipropetrowsk seien mehr als 80 „ausländische Söldner“ gestorben. Konaschenkow berichtete zudem über die Vernichtung mehrerer Artilleriesysteme der Ukraine. So sei eine Batterie von Olcha- und HIMARS-Raketenwerfern zerstört worden. HIMARS sind präzise US-Mehrfachraketenwerfer mit hoher Reichweite.

Großbritannien: Krieg vor neuer Phase

Der britische Militärgeheimdienst sieht den Krieg unmittelbar vor einer neuen Phase. Die meisten Kämpfe verlagerten sich demnach an eine fast 350 Kilometer lange Front, die sich im Südwesten parallel zum Dnjepr von der Gegend um Saporischschja bis nach Cherson erstreckt. Russische Streitkräfte versammelten sich den Erkenntnissen zufolge nahezu mit Sicherheit im Süden der Ukraine, teilte das Verteidigungsministerium in London am Samstag auf Twitter aus dem jüngsten Geheimdienstbericht mit.

Lange russische Konvois aus Militärlastwagen, Panzern und Artillerie zögen vom Donbas im Osten in Richtung Südwesten. Taktische Bataillone, die 800 bis 1.000 Soldaten umfassen, seien auf der Halbinsel Krim stationiert worden und würden sehr wahrscheinlich die Truppen in Cherson unterstützen.

Die ukrainischen Streitkräfte wiederum konzentrieren ihre Angriffe nach britischen Angaben auf Brücken, Munitionsdepots und Eisenbahnverbindungen im Süden. Darunter sei auch der strategisch wichtige Eisenbahnanschluss, der Cherson mit der Krim verbindet. Die ukrainischen Angriffe kämen in immer kürzeren Abständen.

Selenskyj fordert neue Sanktionen gegen Russland

Nach dem Beschuss des Atomkraftwerks Saporischschja forderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Sanktionen gegen Russlands Nuklearindustrie. „Wer nukleare Bedrohungen für andere Völker schafft, ist definitiv nicht in der Lage, Nukleartechnologie sicher einzusetzen“, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache in der Nacht auf Samstag. Konkret forderte er etwa Strafmaßnahmen gegen den russischen Staatskonzern Rosatom.

Kiew und Moskau hatten sich gegenseitig den Beschuss von Europas größtem Atomkraftwerk in der von Russland besetzten Stadt Enerhodar vorgeworfen. Die Ukraine warf Russlands Truppen vor, das AKW-Gelände selbst angegriffen zu haben. Selensykj sprach von einem „Akt des Terrorismus“. Das Verteidigungsministerium in Moskau hingegen machte ukrainische Soldaten für den Beschuss verantwortlich und teilte mit, ein Kraftwerksblock habe teilweise abgeschaltet werden müssen. Zudem sei in Enerhodar die Strom- und Wasserversorgung in einigen Bezirken ausgefallen.

Der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, zeigte sich alarmiert über den Beschuss des AKW und warnte vor der Gefahr einer Nuklearkatastrophe, die die öffentliche Gesundheit und die Umwelt in der Ukraine und darüber hinaus bedrohen könne: „Jegliche militärische Feuerkraft, die auf die Anlage gerichtet ist oder von ihr ausgeht, wäre ein Spiel mit dem Feuer, mit möglichen katastrophalen Folgen“, erklärte Grossi. Eine Gefährdung der Sicherheit von Saporischschja müsse „um jeden Preis“ vermieden werden.

Dank für bisherige Waffenlieferungen

In der Nacht auf Sonntag gab es von Selenskyj Lob für erfolgreiche Gegenangriffe des ukrainischen Militärs. Dabei hob er auch die Bedeutung von Waffenlieferungen hervor und dankte den westlichen Partnern. In der vergangenen Woche habe die ukrainische Armee „starke Ergebnisse“ bei der Zerstörung russischer Kriegslogistik erzielt.

Ukraine-Chefin von Amnesty zurückgetreten

Nach der Veröffentlichung eines kritischen Berichts über die ukrainische Armee ist die Leiterin des Ukraine-Büros der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zurückgetreten. Oksana Pokaltschuk gab ihren Rücktritt am späten Freitagabend in Onlinenetzwerken bekannt und beschuldigte Amnesty, russische Propaganda zu übernehmen. Selenskyj hatte der Organisation zuvor vorgeworfen, „Opfer und Angreifer gewissermaßen auf eine Stufe“ zu stellen.

In dem Bericht hatte Amnesty der ukrainischen Armee vorgeworfen, Zivilisten gefährdet zu haben, indem sie etwa Stützpunkte in Wohngebieten, Schulen und Krankenhäusern errichtet habe. „Wenn Sie nicht in einem Land leben, in das Besatzer einfallen, die es in Stücke reißen, verstehen Sie wahrscheinlich nicht, wie es ist, eine Armee von Verteidigern zu verurteilen“, erklärte Pokaltschuk.

Sie habe versucht, die Leitungsspitze von Amnesty zu warnen, dass der Bericht einseitig sei und die ukrainische Position nicht ausreichend berücksichtige, sei jedoch ignoriert worden. Amnesty gibt an, dass die Organisation am 29. Juli Beamte des ukrainischen Verteidigungsministeriums kontaktiert habe, diese aber nicht rechtzeitig vor der Veröffentlichung am 4. August auf die Bitte um eine Stellungnahme zu den Erkenntnissen des Berichts geantwortet hätten. Amnestys Generalsekretärin Agnes Callamard hatte am Freitag erklärt, die Organisation stehe „voll und ganz“ zu ihrem Bericht.

Papst möchte nach Kiew reisen

Laut Kiews Vatikan-Botschafter möchte Papst Franziskus die Ukraine noch vor seiner Reise nach Kasachstan im September besuchen. „Ich bin der Ukraine sehr nahe und möchte diese Nähe durch einen Besuch der Ukraine zum Ausdruck bringen“, zitierte der Diplomat Andrij Jurasch den Papst nach einem Treffen am Samstag.

In seiner Nachricht auf Twitter heißt es weiter, dass die Ukraine schon seit vielen Jahren und besonders seit Beginn des Krieges auf einen Besuch des Kirchenoberhauptes warte. „Ich werde glücklich sein, ihn zu begrüßen, vor seiner Reise nach Kasachstan“, schließt Jurasch. Der Botschafter traf laut Kathpress am Samstag zu einem Gespräch mit Papst Franziskus zusammen. Die Zusammenkunft bestätigte der Vatikan, Gesprächsinhalte nannte er jedoch nicht.