AKW Golfech in Frankreich
AP/Bob Edme
AKW in Frankreich

Weiterer Dämpfer für Europas Strommarkt

Bei der Sorge um Energieknappheit in Europa dreht sich die Debatte vor allem um das spärlicher Richtung Europa fließende russische Gas. Doch Energieexpertinnen und -experten warnen vor einer drastischen Energiekrise in Frankreich mit möglichen Auswirkungen auf Europa. Traditionellerweise galt das Land als Stromexporteur für seine Nachbarländer wie Italien und Deutschland, inzwischen ist das Land vermehrt auch auf Stromimporte angewiesen.

Grund dafür ist die starke Abhängigkeit Frankreichs von Atomkraft – rund zwei Drittel des französischen Stroms stammen aus AKWs. Deren Produktionskapazitäten sind aber seit einiger Zeit stark eingeschränkt. Rund die Hälfte von 56 AKWs sind derzeit verfügbar. Ursache sind geplante und notwendig gewordene Instandhaltungsarbeiten sowie Überprüfungen von Rissen in den Rohren des Notkühlsystems. Das sind Mängel, die vor allem bei der neueren Generation von AKWs aufgetreten sind.

Laut dem Energieversorger EDF ist unklar, wie lange das Reparaturprogramm andauert, denn auch hier mangelt es an Fachkräften. Manche AKWs müssen für mehrere Monate vom Netz genommen werden. Zuletzt beeinträchtigten aber auch die heuer in Frankreich besonders früh eingesetzten Hitzewellen die Stromproduktion. Nach wie vor kämpft Frankreich mit extremer Trockenheit. Die Regierung erwartet, dass diese noch zwei Wochen anhalten und sich sogar verschlimmern könnte.

„Sorgenkind der europäischen Stromversorgung“

Normalerweise exportiert Frankreich um diese Jahreszeit Atomstrom. In diesem Jahr muss EDF aber in Spanien, der Schweiz, Großbritannien und Deutschland einkaufen. Diese Situation könnte sich im Winter noch mehr verschärfen. Geheizt wird in Frankreich vor allem mit Strom.

„Das Sorgenkind der europäischen Stromversorgung ist eindeutig Frankreich“, sagte Bruno Burger, Energieexperte vom Frauenhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE), kürzlich in einem Interview mit der „Zeit“. Denn die Engpässe in Frankreich würden auch auf den EU-Strommärkten zu einer Verknappung und damit zu höheren Preisen führen.

Wärmeres Kühlwasser darf in Flüsse geleitet werden

Aufgrund der hohen Temperaturen mussten einige Kraftwerke zuletzt die Stromerzeugung reduzieren oder ganz unterbrechen. Aufgrund drohender Energieknappheit wurde am Samstag ein Erlass veröffentlicht, wonach fünf französische AKWs bis Mitte September wärmeres Kühlwasser als üblich in die Flüsse zurückleiten. Die Maßnahme soll von einem „verschärften Umweltmonitoring“ begleitet werden.

AKW Blayais in Frankreich
APA/AFP/Georges Gobet
Fünf AKWs wurde am Samstag erlaubt, wärmeres Kühlwasser als üblich in die Flüsse zu leiten

Die Kraftwerke pumpen Wasser zur Kühlung und stoßen dieses später wieder aus. Je nach Werk darf dieses zurückgeführte Wasser eine bestimmte Temperatur normalerweise nicht übersteigen, um Flora und Fauna des Flusses nicht zu gefährden. Erste Ausnahmeregelungen gab es bereits Mitte Juli für drei AKWs für drei Wochen. Am Samstag wurde diese Ausnahme nun ausgeweitet.

Energieversorger wird verstaatlicht

Der Energieversorger EDF ist angezählt. Zusätzliche Kosten entstehen noch dadurch, dass Frankreich Stromrechnungen für Verbraucherinnen und Verbraucher deckelt. Der Ausblick für die Stromproduktion für 2023 wurde von 340 bis 370 Terrawattstunden (TWh) auf 300 bis 330 TWh reduziert. Auch für das heurige Jahr wurde die Prognose mehrfach nach unten korrigiert. Die französische Regierung will nun den verschuldeten Energieversorger zur Gänze verstaatlichen und lässt sich das knapp zehn Mrd. Euro kosten.

„Die Verstaatlichung ist letztlich der einzige Weg, um das Unternehmen zu retten und die Energieversorgung zu sichern“, sagte Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Deka. „Das ist ein bitterer, aber notwendiger Schritt.“ Andere Beobachterinnen und Beobachter sehen in der Entscheidung zur Verstaatlichung auch ein Eingeständnis, dass die Knappheit zu einer existenziellen Krise für Unternehmen und das Land werden könnte.