„Sommergespräch“ mit Beate Meinl-Reisinger
ORF/Roman Zach-Kiesling
„Sommergespräche“

Meinl-Reisinger gegen Neuwahl

Zum Auftakt der diesjährigen „Sommergespräche“ im ORF hat sich NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger gegen eine Neuwahl ausgesprochen. In der momentan „schwierigen Phase“ wolle man die Lage nicht noch instabiler machen, so Meinl-Reisinger. Beim Thema Hass im Netz sprach sich die Parteichefin gegen ein neues Amt aus, beim Thema Teuerung pochte sie vor allem auf die Senkung der Lohnnebenkosten. Das neue Moderationsduo spannte den weiteren thematischen Bogen von der Neutralität bis zum Sinn des Lebens.

„Ein Sommer wie noch nie – wegen all der Krisen“: So beschrieb Moderator Tobias Pötzelsberger die Lage zu Beginn des ersten ORF-„Sommergesprächs“ 2022. Gemeinsam mit Julia Schmuck empfing er die NEOS-Chefin zum Auftakt im ORF-Zentrum – im Freien, wo anfangs noch kräftiger Wind ging.

Geprägt war das Gespräch damit von jenen großen Themen, die momentan die Schlagzeilen bestimmen – und nicht zuletzt auch davon, welche Rolle NEOS, in der Bundespolitik in der Opposition, hier einnimmt. Eine Neuwahl will Meinl-Reisinger eher nicht: „In einer Phase, die ohnehin schon schwierig“ sei, wolle man nicht auch noch „aktiv dazu beitragen“, die Lage noch instabiler zu machen, so die NEOS-Chefin. „Wir alle haben eine Verantwortung, gemeinsam aus der Krise herauszukommen“, so Meinl-Reisinger.

Vertrauensverlust in Politik und Institutionen

Meinl-Reisinger hält nichts von einer Neuwahl und will „gemeinsam aus der Krise“ herauskommen.

„Keine eigene Staatsanwaltschaft“

Groß diskutiert wurde zuletzt vor allem eine eigene Staatsanwaltschaft gegen Hass im Netz. Meinl-Reisinger sprach sich gegen den ihrer Aussage nach häufigen Zugang hierzulande aus, gleich ein eigenes Amt auf die Beine zu stellen. Stattdessen gehe es darum, die Expertise bei bestehenden Behörden zu entwickeln. Dazu brauche es „keine eigene Staatsanwaltschaft“, und „vielleicht gar kein neues Gesetz“.

Maßnahmen gegen Hass im Netz

Meinl-Reisinger spricht sich gegen eine neue Staatsanwaltschaft aus.

Viele Themen könne sie als Politikerin nicht bewerten, doch sie sehe die Tendenz, dass man, „egal bei welchem Thema“, in eine „komplette Polarisierung“ komme. Nicht alle Themen seien jedoch auf ein „Ja oder Nein“ reduzierbar, das werde aber von „Populisten befeuert“, denen sie „Verrat an der Gesellschaft“ vorwirft. Es gehe darum, dass Demokratien „wehrhaft“ sein müssten. Man dürfe „nicht tolerant gegenüber Intoleranz“ sein, so Meinl-Reisinger. Es brauche Sanktionen, bis hin zu Verurteilungen. Das seien „Stoppschilder“, die Demokratie müsse sich „mit ihren Mitteln wehren können“. Zu diskutieren sei etwa auch die Klarnamenpflicht, so die NEOS-Chefin.

Meinl-Reisinger fordert „Cash“ statt Gutscheine

Ein weiteres großes Thema am ersten Abend der heurigen „Sommergespräche“ war die Teuerung. Meinl-Reisinger wiederholte den NEOS-Ansatz, dass „die ärmeren Haushalte die Auswirkungen am meisten spüren und direkt unterstützt werden müssen“ – und „zwar nicht mit Gutscheinen, von oben herab“, sondern „mit Cash – deutlich mehr als bisher“.

Strategien gegen Teuerung und Inflation

Durch eine Senkung der Lohnnebenkosten sieht Meinl-Reisinger die Chance auf „mehr Netto vom Brutto“.

Sie wolle nicht, dass der „Staat der größte Profiteur der Inflation“ sei. Unter anderem sprach sie sich dafür aus, dass die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Sie forderte „mindestens fünf Prozentpunkte runter“. Die Entlastung der Arbeitgeber ermögliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Chance auf „mehr Netto vom Brutto“.

Abschaffung der kalten Progression als zentrales Thema

Die von NEOS geforderte Abschaffung der kalten Progression verteidigte die Parteichefin – es gehe hier nicht um eine Steuerentlastung, sondern darum, dass „der Finanzminister bei jedem Prozentpunkt Inflation eine Viertelmilliarde mehr“ bekomme. „Punkt ist, das ist Geld, das den Menschen zusteht“, so Meinl-Reisinger. Darüber hinaus wolle sie auch Maßnahmen, um alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Arbeitsmarktes zu stärken, etwa die flächendeckende Kinderbetreuung, „weil das Frauen zugutekommt“.

Gegen Kostendeckel, für „Freiheitsenergien“

Beim Thema Energie sprach sie sich einmal mehr gegen einen Kostendeckel aus und brachte dafür unter anderem die Entkoppelung des Strompreises vom Gaspreis ins Spiel. Durch den Krieg in der Ukraine sei „allen klar geworden“, dass man unabhängig von russischem Gas werden müsse. „Freiheitsenergien“ brauche man daher auch in Österreich. Es gebe einen „sehr großen Bedarf“, die Energiewende zu beschleunigen. So sieht sie etwa eine Widmungskompetenz auf Bundesebene für Windparks als mögliche beschleunigende Maßnahme, denn „wir alle“, egal in welchem Bundesland und in ganz Europa, säßen „im selben Boot“.

Umgang mit Übergewinnen der Energieversorger

Meinl-Reisinger will auch die Energiewende beschleunigen.

Teilnahme an „Battlegroups“ gefordert

Und auch die Neutralität war angesichts der Lage in der Ukraine Thema. Sie sprach sich einmal mehr dafür aus, dass sich Österreich etwa an EU-„Battlegroups“ beteilige. Schon jetzt sei man im Rahmen eines UNO-Mandats nicht nur „friedenssichernd, sondern auch friedensschaffend“ im Einsatz. Sie würde „alles dafür tun“, dass junge Österreicher nicht an der Front stünden, aber auch alles dafür, dass Europa sicher sei, so Meinl-Reisinger. Die Frage sei, welche Rolle Österreich hier spiele – „entweder man sitzt am Tisch oder man steht auf der Speisekarte“.

Sicherheitspolitik und Neutralitätsfrage

Die NEOS-Chefin fordert die Beteiligung an EU-„Battlegroups“.

Koalition mit ÖVP nicht ausgeschlossen

Ziele für die anstehenden Landtagswahlen gab die NEOS-Chefin keine vor, sie freue sich aber „auf ein gutes Ergebnis in Tirol“, danach sähen die Umfragen aus, so Meinl-Reisinger. Auf Bundesebene wollte sie unterdessen eine Koalition mit der ÖVP nicht ausschließen. Die „angenehmste Position“ sei, wenn man es „sich aussuchen kann“, so die NEOS-Chefin. Sie sagte lediglich, dass in jeder Demokratie „zu langes An-der-Macht-Sein zu Machtmissbrauch“ verleite.

Wäre ÖVP ein möglicher Koalitionspartner?

Eine Zusammenarbeit mit der ÖVP will Meinl-Reisinger nicht ausschließen.

Und auch, wenn angesichts der großen Krisen wenig Platz für persönliche Einblicke blieb – zum Abschied kam noch eine „große Lebensfrage“ – nämlich, worum es im Leben eigentlich geht. „Gesundheit, meine Familie, gute Freunde – mit gutem Essen – und Kultur: ein gutes Buch“, so die NEOS-Chefin. Kommende Woche – trotz Feiertags – wird sich Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler dieser Frage stellen müssen.

Filzmaier verweist auf schlechte Umfragewerte

In der anschließenden Analyse in der ZIB2 mit dem Politologen Peter Filzmaier und Veronika Dolna von der „Kleinen Zeitung“ wurde die Position zu einer Neuwahl von Dolna als „Alleinstellungsmerkmal“ bezeichnet, während der Rest der Opposition auf Wahlen poche und die Regierung momentan „historisch unpopulär“ sei. Sie hob hervor, dass NEOS hier auf „Staatsräson pocht“. Dass die Österreicherinnen und Österreicher keine Neuwahl wollen, zweifle sie jedoch an – aktuelle Umfragen sähen das differenzierter.

Analyse des NEOS-„Sommergesprächs“

Mit NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger starten die „Sommergespräche“, im ZIB2-Studio analysierten Peter Filzmaier und Veronika Dolna von der „Kleinen Zeitung“.

Filzmaier sieht die dramatisch zurückgegangenen Vertrauenswerte von Meinl-Reisinger als wichtiges Thema: Diese seien vor Ausbruch der Pandemie deutlich besser gewesen – nun sei die Entwicklung zwar ähnlich wie bei der Regierung, dass sie beim Duell „Not gegen Elend“ nicht „so schlecht“ liege, könne aber „nicht ihre Zielsetzung sein“. Er vermisste bei Meinl-Reisinger Selbstreflexion, dass NEOS trotz Skandalfreiheit dennoch nicht alles richtig gemacht habe.