FPÖ-Chef Herbert Kickl
APA/Roland Schlager
Experten

FPÖ-Spitze mit „typischem Reflex“

Das Innenleben der FPÖ ist zuletzt nicht aus den Schlagzeilen gekommen: Wegen eines Anzeigenentwurfs gegen die Wiener Freiheitlichen ist von einem „Machtkampf“ die Rede. Die Parteispitze sieht sich wegen des Hofburg-Wahlkampfs als Opfer einer „konstruierten Kampagne“ von außen. Fachleute orten darin einen „typischen Reflex“.

Ausgangspunkt der Berichte, wonach es bei den Freiheitlichen rumort, ist ein Zufallsfund auf dem Handy des früheren Abgeordneten und FPÖ-Mitarbeiters Hans-Jörg Jenewein. Ermittler fanden einen Entwurf einer Anzeige gegen Funktionäre der FPÖ Wien. Laut Medienberichten ging es in der Anzeige um den Missbrauch von Fördermitteln. Jenewein soll diese verfasst haben. Die Anzeige wurde im Oktober 2021 anonym von einem „getäuschten und enttäuschten Wähler“ eingebracht.

Öffentlich wurde diese Gemengelage vergangene Woche – inklusive Verdacht, FPÖ-Parteichef Herbert Kickl habe von der Anzeige gewusst. Die Spitze dementierte: Man habe von dieser erst vor wenigen Tagen bei einer Routineabfrage erfahren.

Suche nach „externen Feinden“

Die Ereignisse bestimmten am Dienstag auch eine Pressekonferenz des FPÖ-Kandidaten für die Hofburg-Wahl, Walter Rosenkranz. Von Medien darauf angesprochen, sagte er, dass er sich aus der Causa raushalten möchte. Auf den Wahlkampf werde sie keine Auswirkungen haben und Kickl sitze „fest im Sattel“. Schärfer in seiner Wortwahl war FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz. Dieser ortete „konstruierte Kampagnen“, weil „das System“ im Wahlkampf „langsam nervös“ werde. Zerwürfnisse gebe es „nur in den Medien“.

Für den Politologen Peter Filzmaier ist die Strategie der Freiheitlichen klar: „Mit den Medien hat die FPÖ nun einen externen Feind gefunden, um die Partei nach innen zu einen“, sagt er im ORF.at-Gespräch. Das sei ein „typischer Reflex“, der aber kein Alleinstellungsmerkmal der FPÖ sei. Zuletzt bezeichnete etwa die ÖVP Ablösegerüchte rund um Parteichef und Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) als „Sommerlochdebatte“. „Ob diese Strategie klappt, ist eine andere Frage“, so Filzmaier. Die FPÖ werde nun versuchen, den internen Konflikt mindestens bis zum Ende des Wahlkampfs „unter der Decke zu halten“.

Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle meint hingegen, dass diese Strategie auch länger andauern könnte. Denn nicht nur die Bundespräsidentschaftswahl steht an, sondern Landtagswahlen in Tirol, Salzburg, Niederösterreich und Kärnten. Freilich liegen die letzteren drei zeitlich erst im nächsten Frühjahr. Dennoch werden sich ebendiese Landesparteien davor hüten, während des Wahlkampfs interne Grabenkämpfe auszufechten, sagt die Politexpertin zu ORF.at.

„Kickl in der Partei groß geworden“

Beide vertreten die Meinung, dass es kurzfristig zu keinen gröberen Folgen in der Partei kommen wird. Erstens werde die FPÖ kein zusätzliches Öl ins Feuer gießen und zweitens gebe es auch keinen potenziellen Nachfolger für Kickl. Der immer wieder ins Feld geführte FPÖ-Oberösterreich-Chef Manfred Haimbuchner sei zwar nicht der „größte Fan“ des Parteichefs und eine mögliche Alternative an der Parteispitze, so Stainer-Hämmerle, allerdings fühle sich dieser als Landeshauptmann-Stellvertreter in Oberösterreich sichtlich wohl.

Die Politikwissenschaftlerin erinnert auch an Kickls einstige Rolle bei den Freiheitlichen: Der heutige FPÖ-Chef sei nämlich nicht nur in der Partei groß geworden, er habe die Partei auch groß gemacht. Mit seiner Arbeit in der zweiten Reihe, zuerst unter Jörg Haider, dann unter Heinz-Christian Strache, sei er innerhalb der Basis respektiert worden. „Kickl hat sich nie in der ersten Reihe gesehen, hat diesen Schritt gewagt und steht mit seinem doch radikalen Kurs im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit und der Partei.“

Kickl selbst äußerte sich am Montag zu den jüngsten Vorfällen. In einem Video kritisierte er die Berichterstattung über den Suizidversuch Jeneweins, der am Wochenende bekanntwurde – Jenewein ist nach „Standard“-Informationen auf dem Weg der Besserung. Am Dienstag stellte er in den Raum, dass die Landespolizeidirektion Niederösterreich, das ÖVP-geführte Innenministerium sowie das Umfeld von Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) eine Rolle bei der Weitergabe von Informationen gespielt haben könnten.

Hilfe im Krisenfall

Berichte über (mögliche) Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Die Psychiatrische Soforthilfe bietet unter 01/313 30 rund um die Uhr Rat und Unterstützung im Krisenfall.

Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen. Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsene bietet auch Rat auf Draht unter der Nummer 147.

Präsidiumssitzung, damit „alle am selben Stand sind“

Medienberichten zufolge hatten mehrere FPÖ-Landesorganisationen von Kickl Aufklärung verlangt. FPÖ-Generalsekretär Schnedlitz sagte, dass es einen Termin für die Präsidiumssitzung, bei der es vorwiegend um den nahenden Bundesparteitag gehen werde, noch nicht gebe. Klar sei aber auch, dass dort die jüngsten Vorfälle besprochen werden – damit „wir alle am selben Stand sind“. Nach Rücksprache mit der FPÖ Wien habe man jedenfalls „vollstes Vertrauen“, dass sich alle Vorwürfe als haltlos erweisen werden, so Schnedlitz.

In einer Aussendung der Wiener Freiheitlichen nach einem Präsidium Dienstagvormittag hieß es, es seien dort „die aktuellen Anwürfe gegen Vertreter der Wiener FPÖ“ thematisiert worden. „Diese wurden besprochen, intern eingehend juristisch geprüft und stellen sich als völlig haltlos und längst widerlegt dar.“ Man sei auch zur Überzeugung gelangt, „dass eine Verbindung zwischen der Erstellung der Anzeige“ und Kickl ausgeschlossen werden kann.

Nachvollziehbar sei, so Filzmaier, dass die FPÖ die anonyme Anzeige kaum thematisieren wird. Allein dieser Umstand schaffe ein „Klima des Misstrauens“ in der Partei, sagt der Politologe. Laut Expertin Stainer-Hämmerle sei es dabei unerheblich, ob Kickl davon gewusst hat oder nicht. „Für die Position des Parteichefs kann es nie von Vorteil sein, wenn sich innerhalb der eigenen Partei Personen anzeigen.“

FPÖ, dann ÖVP und wieder retour

Die Debatte trifft die FPÖ freilich zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Selbst hatte man sich von der gesamten „Ibiza-Affäre“, wegen der man sich nicht nur aus der Regierung verabschiedete, sondern auch die Parteispitze neu besetzen musste, befreit. Im „Ibiza“-U-Ausschuss war sogar die ÖVP in den Fokus geraten, weswegen im seit dem Frühjahr laufenden ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss Vorwürfe gegen ÖVP-Regierungsmitglieder untersucht werden.

Derzeit liegt die FPÖ in Umfragen sogar hinter der SPÖ auf Platz zwei in den Umfragen – und wegen des Antritts von Walter Rosenkranz bei der Hofburg-Wahl bestimmen die Freiheitlichen für Wochen auch die Innenpolitik mit. Sowohl die ÖVP als auch die SPÖ verzichteten wegen der Wiederkandidatur von Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf eigene Bewerber bzw. Bewerberinnen.

„Die FPÖ hat einen Vorteil, den sie mit Rosenkranz wohl auch gut hätten nutzen können“, sagt Stainer-Hämmerle. Während die anderen Parteien nämlich zuschauen würden, könnten die Freiheitlichen für ihre eigene Basis „Akzente“ setzen. Die Politikwissenschaftlerin spricht nun aber von einem „Naturgesetz“, das die FPÖ oft einhole: Wenn es für die Freiheitlichen gut läuft, würde die Partei „ohne großen Druck von außen, aber mit einer inneren Dynamik ihre Serie unterbrechen“.