Votna See in Norwegen
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Wassermangel in Norwegen

Nächstes Problem für Europas Stromnetz

Norwegen ist nicht nur Europas Nummer eins bei der Produktion von Strom aus Wasserkraft, das Land hat sich in den vergangenen Jahren auch zu einem der wichtigsten Stromexporteure des Kontinents entwickelt. Doch die Dürre hat auch vor dem skandinavischen Land nicht haltgemacht. Die Stromproduktion ist eingebrochen, die Preise explodieren. Nun will die Regierung Exportbeschränkungen – diese würden zum nächsten Problem für Europas gebeuteltes Stromnetz werden.

Wie viele andere Länder kämpft Norwegen seit Monaten mit schwerer Trockenheit. Nach einem niederschlagsarmen Winter und Frühling sind die Wasservorräte in den am schlimmsten getroffenen Regionen um rund die Hälfte geschrumpft. Betroffen ist vor allem der Süden des Landes. Dort sind die Wasserreservoirs für die Energieerzeugung derzeit nur zu 45 Prozent gefüllt, durchschnittlich wären in der Saison etwa 75 Prozent.

So wurde in Südnorwegen heuer auch um 18 Prozent weniger Strom aus Wasserkraft produziert. Im Südwesten – dem wichtigsten Gebiet für die Energieerzeugung – sank die Stromproduktion gar auf einen historischen Tiefststand. Dort befinden sich allerdings auch die Exportverbindungen zum europäischen Festland – und die Ausfuhren liefen im Verlauf des Sommers trotz Dürre auf Hochtouren. Die Bevölkerung ächzt unter explodierenden Strompreisen, der Druck auf die Politik wächst.

Bodentrockenheitsindex (Abweichungen) der Europäischen Dürrebeobachtungsstelle für Ende Juli 2022

Nun hat die Mitte-Links-Regierung des Landes entschieden, dass die Versorgung Norwegens gegenüber dem Stromexport priorisiert werden soll. „Die Regierung wird sicherstellen, dass wir Vorkehrungen treffen, die der Befüllung unserer Wasserkraftreservoirs und der Versorgungssicherheit mit Strom Vorrang einräumen und die Exporte begrenzen, wenn der Wasserstand in den Reservoirs auf sehr niedrige Niveaus sinkt“, so Öl- und Energieminister Terje Aasland am Montag in einer Erklärung im Parlament.

Insgesamt macht Wasserkraft 95 Prozent der norwegischen Stromerzeugung aus, der Rest entfällt auf Wärme und Windkraft.

„Die Regierung hält die Lage für ernst“, so Aasland. Es sei zwar unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen, dass Norwegen im Frühjahr Strom rationieren muss. Und ein Ende der Probleme sei nicht in Sicht: Die Klimakrise bedeute, dass „wir uns auf extremere Schwankungen beim Niederschlag einstellen müssen, die wiederum Folgen für unser wetterabhängiges Energiesystem haben werden“.

Wasserkraftwerk in Gudbrandsdal
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Im Vorjahr hatte Norwegen noch Höchstwerte bei Produktion und Export verzeichnet

Der Umbau der europäischen Energieversorgung weg von russischem Gas werde auch für Norwegen langfristige Folgen haben und das gesamte europäische Stromnetz unsicherer machen, so der Minister. Entsprechend wolle man jetzt Vorkehrungen treffen – und zu diesen gehört ein Kontrollmechanismus, der die Möglichkeiten des Exports bei geringerer Speicherfüllung einschränken soll. Dieser soll in den nächsten Wochen ausgearbeitet werden. Ein ähnlicher Vorschlag war erst im Frühjahr im Parlament abgelehnt worden.

Rekord bei – nun umstrittenen – Exporten

Norwegens Probleme mit seiner Stromproduktion sind für ganz Europa eine Hiobsbotschaft, denn in den vergangenen Jahren hat sich das Land zu einem der wichtigsten Stromexporteure aufgeschwungen. Ein Fünftel der Produktion geht ins Ausland, wo die günstige erneuerbare Energie gern gesehen ist. Bereits 2020 exportierte Norwegen dank überdurchschnittlicher Regenmengen große Mengen Strom zu einem günstigen Preis, im Vorjahr wurde dann die höchste norwegische Stromausfuhr aller Zeiten verzeichnet.

Die größten Abnehmer sind dabei Dänemark, Schweden, Deutschland und Großbritannien. Die letzten beiden Staaten werden per Seekabel beliefert, die erst kürzlich in Betrieb genommen wurden. 2022 stiegen die Exporte in diese Länder dadurch stark an – auch aufgrund des Ukraine-Krieges. Vor allem Südnorwegen habe sich so dem europäischen Strommarkt, aber auch dessen Preisen angenähert, so der öffentlich-rechtliche Rundfunk NRK.

Teil des europäischen Strommarktes

Dadurch sind die Ausfuhren angesichts der Lage im Inland und der steigenden Strompreise für Haushalte umstritten. Dabei wurden auch Stimmen laut, die ein Aus für die Stromexporte forderten. Doch praktisch ist das keine Option. Norwegen ist zwar kein EU-Mitgliedsland, aber ein Mitglied des Europäischen Strommarktes und zudem an bilaterale Verträge und Regularien gebunden.

„Wir sind darauf angewiesen, dass unsere Verbindungen nach Schweden, Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Finnland und in die Niederlande gut funktionieren“, so Aasland. Ein Ausstieg aus dem europäischen Strommarkt sei ein „gefährlicher Gedanke“, sagt auch Premierminister Jonas Gahr Störe. Die jüngste Entscheidung für einen Exportstopp in Notlagen könnte in der Gesamtgemengelage eines krisenhaften Energiewinters die Probleme einzelner Staaten trotzdem vertiefen – und die Solidarität der Staaten auf die Probe stellen, so Bloomberg.