Die Rechnungen sind kaum noch zu bezahlen, die Aufträge werden seltener. Die Pferde gehen durch, es gibt Stromausfälle, Stürme, letztens regnete es sogar Metallteile. Und dann entdeckt Pferdetrainer Otis Jr. (gespielt von Daniel Kaluuya aus „Get Out“), genannt O.J., auch noch ein UFO, das sich wendig zwischen den Wolken über dem Santa Clarita Valley bewegt. Nach all dem Horror auch noch Aliens? Nope, kommt nicht infrage. Hier wird nicht gestorben und niemand entführt, nicht, wenn O.J. es verhindern kann.
„Nope“ unter der bewährten Horrorregie von Peele ist das wüsteste Kinoereignis des diesjährigen Sommers: Auf einer Hollywood-Pferderanch im Hinterland Kaliforniens geschehen unheimliche Vorfälle, die sich nur durch außerirdische Intervention erklären lassen. Dabei sind O.J., seine Schwester Em (Keke Palmer) und ihr kürzlich verstorbener Vater Otis sehr irdische Handwerker hinter den Kulissen Hollywoods. Seit Generationen trainiert die Familie Tiere für Western und Actionfilme, ein Vorfahre hatte die Ranch Ende des 19. Jahrhunderts gegründet.

Doch das Geschäft läuft schlecht. Nur mehr wenige Filmproduktionen gehen das Risiko ein, mit echten Pferden zu arbeiten, die scheuen, treten und beißen können, Visual Effects und Greenscreens haben die trainierten Tiere abgelöst. Dass die Sorge nicht ganz unberechtigt ist, macht der Beginn des Films deutlich, ein Ausschnitt aus einer fiktiven Vorabendserie, in der ein Schimpanse inmitten seiner Fernsehfamilie plötzlich durchdreht. Es ist eine emblematische Szene für den ganzen Film, wie sehr, wird erst später klar.
Gesellschaftshorror
„Nope“ ist der dritte Spielfilm von Peele, der vor zehn Jahren als Hälfte des Komikerduos Key&Peele bekannt wurde. Mit Sketches, die in vielen Fällen die amerikanische Medienlandschaft, latenten und offenen Rassismus und zwischenmenschliche und gesellschaftliche Tabus thematisierten. Und mit beißendem Witz oft mit schlafwandlerischer Sicherheit nah an der Schmerzgrenze.
Mit seinem Kinodebüt „Get Out“ (2017) holte er diesen Humor auf die große Leinwand, in einer drastischen Horrorsatire um einen schwarzen Fotografen, der bei seinen weißen großbürgerlichen Schwiegereltern auf offene Arme trifft, was allerdings ganz und gar nicht freundlich gemeint ist. Der Film traf genau den Zeitgeist in den USA, wo nach der Wahl Trumps und der gewaltsamen Niederschlagung der „Black Lives Matter“-Bewegung der grassierende Rassismus immer weniger zu leugnen war.
Die Fantasie der Filmhandwerker
In Peeles Nachfolgefilm „Wir“ (2019) wird eine urlaubende Familie nachts von ihren verlotterten Doppelgängern angegriffen. Das Auftauchen dieser zweiten Familie im Film ist für Peele nicht nur Anlass zu klassischem Home-Invasion-Horror und David-Cronenberg-haften Spiegelmotiven inklusive pointiertem Musikeinsatz, sondern stellt erneut gesellschaftspolitisch grundsätzliche Fragen nach Privilegien und dem Recht auf den Kampf um ein besseres Leben.
Dagegen ist „Nope“ vergleichsweise unpolitisch, auch wenn die retrospektive Aneignung einer filmhistorischen Lücke, nämlich des Jockeys auf dem Rücken des berühmten galoppierenden Pferdes in Eadweard Muybridges Chronographie „Pferd in Bewegung“, ein emanzipatorischer Akt ist. Genau dieser Jockey nämlich soll der Vorfahre von Em und O.J. gewesen sein, der die Ranch gegründet hatte. Vor allem aber ist der Film eine Hommage an jene Filmhandwerkerinnen und -handwerker, die die Traumfabrik hinter den Kulissen 130 Jahre lang am Laufen hielten, und deren Arbeit heute immer mehr von Visual Effects Artists übernommen wird.
Über weite Strecken, das schildert „Nope“ ganz deutlich, besteht Filmemachen nämlich darin, Probleme zu lösen. Im vorliegenden Fall ist die Aufgabe, jenes unbekannte Flugobjekt zu filmen, das O.J. am Himmel entdeckt haben will. Die Bilder könnten den Schuldenberg beseitigen, der die Ranch existenziell bedroht und O.J. dazu zwingt, ein Pferd nach dem anderen an den benachbarten Freizeitpark von Ricky Park („Minari“-Star Stephen Yeun) zu verkaufen.
Das Auge sieht alles
Also machen sich Em, O.J. und der junge Videoüberwachungsspezialist Angel (Brandon Perea) daran, über den Dächern der Ranch Kameras auf den Himmel zu richten und holen schließlich zur Unterstützung den legendären Kameramann Antlers Holst (Michael Wincott), der für ein gutes Bild sein Leben zu riskieren bereit ist. Beim ersten Telefonat mit Em schaut sich Antler gerade Saul Bass’ Dokumentarfilm „The Searching Eye“ an – ein Schlüsselmoment im Film, ist das Auge doch jenes Sinnesorgan, um das sich der Film letztlich dreht: Als Kameraauge, als empfindliches Auge eines zu zähmenden Tieres und als das von Bildern verführte Auge der Zuschauerin.

Auch abseits davon schöpft Peele bei den filmhistorischen Bezügen aus dem Vollen. Wäre „Nope“ etwas schlanker erzählt, könnte es sich genauso um eine aufwendige Folge einer Mysteryserie wie „The Outer Limits“ und „The Twilight Zone“ handeln. Wer möchte, entdeckt Anspielungen an die frühe Filmografie von Stephen Spielberg, an aberwitzige Filme wie Ron Underwoods „Im Land der Raketenwürmer“ und die visuellen Filmwelten von Tarsem Singh („The Fall“).
Es sind aber weniger die Filmautoren als die mutigen und einfallsreichen Tiertrainer und Stuntleute, die Kameraleute und Technikerinnen, denen Peele mit den Figuren von O.J., Angel, Em und Antlers seine unverhohlene Bewunderung ausdrückt, eben all jene, die an Filmsets die Probleme lösen, die die Umsetzung eines fantasievollen Drehbuchs aufwirft.
Kinostart für „Nope“ von Jordan Peele
Mit seinem Film „Get Out“ ist dem US-Regisseur Jordan Peele 2017 ein Überraschungserfolg gelungen. Das Drehbuch für den Horrorfilm ist mit einem Oscar prämiert worden. Sein neuer Film „Nope“ ist genauso mysteriös, er kommt jetzt in die Kinos.
Die visuelle Umsetzung des außerirdischen Lebens im Film wurde gemeinsam mit John Dabiri entwickelt, einem Professor für Luftfahrt, der dafür Anleihen bei Tiefseewesen genommen hat. Was die metaphorische Deutung betrifft, liegt die ganz beim Publikum. Vielleicht geht es einfach nur um den Respekt vor dem Gegenüber, so fremd oder so nah es auch sein mag.