Kein Agent, keine Literaturszenetreffs und auch kein Twitter oder Facebook. Während seine Kolleginnen und Kollegen diverse Plattformen als Promotionsmöglichkeit nutzen, hält sich der 1977 in Wien geborene Bayer da grundsätzlich raus. Der Autor von einem Dutzend Romanen, Erzählungen, Theaterstücken und Gedichtbänden gilt im Betrieb als Unangepasster, bisweilen als auch Unbequemer. „Ich habe immer irgendwie aufbegehrt (…) gegen alles, was sich angeboten hat“, so Bayer schmunzelnd im „Archive des Schreibens“-Gespräch.
Die Verweigerung eines Allzu-involviert-Seins hat für ihn guten Grund: „Ich glaube nach wie vor, dass ein Autor sich zwischen Mitte und Rand des Geschehens hin und her bewegen muss, damit er sieht, was die anderen nicht sehen“, betont Bayer. Darum geht auch in seinen Texten: Seine Bücher zielen mitten ins Heute, versuchen die Wunden und Betriebsblindheiten auszustellen, etwa auch die Zerstörung der Natur, die Ausbeutung der Schwächsten und die Übermacht des Digitalen zu thematisieren.

Eskalation mit Marianne
Aus der Perspektive der Distanz führt Bayer in Welten, denen meist nicht zu trauen ist – genauso wenig wie den Menschen, die sie bevölkern, oder der eigenen Wahrnehmung. Zuletzt führte er das in seinen mit dem Buchpreis prämierten „Geschichten mit Marianne“ vor: Die 20 miteinander verbundenen Storys handeln von einem Ich-Erzähler und seiner Freundin Marianne, einer reichen und – wie sich Szene für Szene herausstellt – gefährlichen Femme fatale. Beginnend bei den alltäglichsten Situationen läuft alles komplett aus dem Ruder und schlägt ins Surreale, Unheimliche oder gar ins Horrorszenario um.
Sendungshinweis
„Archive des Schreibens“ über Xaver Bayer ist in „kulturMontag“ ab 22.30 Uhr in ORF2 zu sehen. Am Donnerstag um 11.05 Uhr ist in den Ö1-„Radiogeschichten“ eine Lesung aus Bayers buchpreisprämierten „Geschichten mit Marianne“ zu hören.
Ein Perchtenlauf wird zur Gewaltorgie. Beim mehrgängigen Abendessen beobachtet das Paar aus dem Fenster des Luxusapartments, wie Terroristen auf Zivilisten zu schießen beginnen. Und Mariannes spontane Tests, „wie belastbar“ ihr Partner bei SM-Spielen ist, führen zur Eskalation.
Prinzip Kippbild
Ein einzelner Moment, Gegenstand oder Gedanke könnte ein Möglichkeitsraum für echte Veränderung sein – diese „Was wäre, wenn“-Grundidee verfolgte Bayer zuvor schon in „Geheimnisvolles Knistern aus dem Zauberreich“ 2014. Ebenfalls nach dem Prinzip Kippbild driften hier Alltagssituationen in Richtung Unwahrscheinlichem und Fantastischem ab: Mitten im Sommer beginnt es plötzlich zu schneien, der Wartesaal der Gebietskrankenkasse verwandelt sich auf einmal in einen Cocktailempfang, die fremde Frau auf der Straße mutiert zum unerwarteten Feind.

Debütiert hat Bayer 2001 mit dem popliterarisch angehauchten „Heute könnte ein glücklicher Tag sein“ rund um einen gelangweilten Anfang-20-jährigen in Wien. Die ersten Buchversuche sieht Bayer selbst mittlerweile kritisch, als zu gefällig an. Was sich in dem handlungsarmen Buch jedenfalls schon abzeichnet, ist eine genaue Beobachtungsgabe und ein typischer Bayer-Protagonist, ein junger Mann aus dem Mittelstand, der an seiner Verweigerungshaltung und den Gefühlen der Nichtzugehörigkeit laboriert und dessen Ähnlichkeiten mit dem Autor wohl kaum zufällig sind.
Kurze Form
Mit Humor kann man trotzdem rechnen, vor allem in Bayers jüngsten Büchern: Auch wenn das Szenario hoch erschreckend ist, setzt er mit seinem trockenen und lakonischen Erzählton auch auf Witz: „Meine Geschichten werden umso humorvoller, desto niedergeschlagener ich beim Schreiben bin, und umgekehrt“. Heute hat Bayer der Form des Romans abgeschworen. Erzählungen, wie er sagt, passen besser in eine von kurzen Aufmerksamkeitsspannen geprägte Zeit. Und sie haben den Vorteil, dass man so schneller auf Zeitphänomene reagieren könne.

Bevorzugter Schreibort ist für Bayer nicht sein Zuhause oder ein Bürozimmer, sondern das Wirtshaus und das Cafe. Dort nimmt er Zettel und Stift zur Hand: Das Handschriftliche helfe ihm, Verinnerlichtes zu Papier zu bringen, die Übertragung in den Computer ist ein wichtiger nächster Arbeitsschritt. Wohin es inhaltlich geht? Für Bayer vorab nie festgelegt, das entscheide sich erst beim Schreiben.
Das Projekt „Archive des Schreibens“
„Archive des Schreibens“ ist ein Kooperationsprojekt zwischen dem ORF und dem Gastlandprojekt Österreich bei der Leipziger Buchmesse 2023. TV, Online und Radio präsentieren gemeinsam die neue Generation des Schreibens in Österreich. Die Autorinnen und Autoren sprechen dabei über sich selbst, ohne dass jemand ihre Arbeit von außen kommentiert. Bis zum Österreich-Schwerpunkt bei der Leipziger Buchmesse 2023 sollen zahlreiche Porträts des neuen Schreibens entstehen und darüber hinaus weiter produziert werden.