Soldat vor dem AKW Saporischschja
AP
Saporischschja

AKW laut IAEA vorläufig keine Bedrohung

Das unter anhaltendem Beschuss stehende ukrainische AKW Saporischschja ist nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) momentan kein Sicherheitsrisiko. Gleichzeitig hieß es, dass sich die Lage jederzeit ändern könne. Nur kurz zuvor wurde das AKW neuerlich beschossen – Moskau und Kiew schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Die Stimmen nach einer entmilitarisierten Zone mehren sich.

„IAEA-Experten haben vorläufig festgestellt, dass keine unmittelbare Bedrohung der Sicherheit infolge des Beschusses oder anderer militärischer Aktionen besteht. Das kann sich jedoch jederzeit ändern“, sagte IAEA-Chef Rafael Grossi am Donnerstag bei einer Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrates in New York.

Grossi forderte Moskau und Kiew vor dem Sicherheitsrat auf, einen Besuch internationaler Experten schnell zu ermöglichen. „Ich persönlich bin bereit, eine solche Mission zu leiten.“ Ohne physische Präsenz von Vertretern der IAEA könnten wichtige Fakten nicht zusammengetragen werden.

Unklarheit über Entsendung von Fachleuten

Unklarheit gab es weiter darüber, ob eine Gruppe von UNO-Experten zu dem AKW entsendet werden kann. „Wir sprechen von einem Kernkraftwerk mitten auf einem Schlachtfeld“, sagte UNO-Sprecher Stephane Dujarric am Donnerstag. Das bringe enorme Sicherheitsbedenken für die Angestellten der Vereinten Nationen mit sich.

Ukrainisches Atomkraftwerk von Saporischschja
APA/AFP/Ed Jones
Die Sorge um das größte AKW Europas ist weiter groß

Nach Angaben des Betreibers Energoatom ist die Situation im Kraftwerk aber „unter Kontrolle“. Die Radioaktivität sei nicht höher als sonst. Das AKW war schon am Wochenende mit Raketen beschossen und beschädigt worden. Nun wurde erneut Beschuss gemeldet.

Auch die USA fordern eine internationale Expertenmission. „Dieser Besuch kann nicht länger warten“, sagte die amerikanische Unterstaatssekretärin für Rüstungskontrolle, Bonnie Jenkins, im UNO-Sicherheitsrat. Zudem seien den USA Vorwürfe der Misshandlung des ukrainischen Personals durch russische Soldaten bekannt. „Ukrainische Mitarbeiter müssen ihre wichtigen Aufgaben frei von dem Druck der russischen Streitkräfte erfüllen können“, so Jenkins.

Guterres rief zu Einstellung der Kampfhandlungen auf

Die USA wollen außerdem eine entmilitarisierte Zone um das Kraftwerk. „Kämpfe in der Nähe eines Kernkraftwerks sind gefährlich und unverantwortlich“, sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums am Donnerstag. „Wir fordern Russland weiterhin auf, alle Militäreinsätze in oder in der Nähe ukrainischer Kernkraftwerke einzustellen und die volle Kontrolle an die Ukraine zurückzugeben. Und wir unterstützen die ukrainischen Forderungen nach einer entmilitarisierten Zone um das Kernkraftwerk herum.“

Zuvor kam es auch zu einem Appell von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres: Er rief dazu auf, „umgehend“ sämtliche militärische Aktivität rund um das Kraftwerk einzustellen und „nicht darauf zu zielen“. Wie die Ukraine und die USA sprach auch er sich für eine entmilitarisierte Zone aus. Sollten die „zutiefst beunruhigenden Vorfälle“ rund um das Atomkraftwerk andauern, könnten sie „ein Desaster auslösen“, so Guterres.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Untertags wurde das Kraftwerk erneut beschossen, wobei sich Russland und die Ukraine gegenseitig die Verantwortung für den Angriff zuschoben. Das ukrainische Energieunternehmen Energoatom erklärte, es habe fünf russische Angriffe nahe eines Lagers mit radioaktiven Substanzen gegeben. Ein Vertreter der prorussischen Behörden in der Region, Wladimir Rogow, schrieb im Onlinedienst Telegram, ukrainische Truppen hätten die Atomanlage erneut beschossen.

Heikle Kämpfe rund um Kernkraftwerk

Russland und die Ukraine bezichtigen einander gegenseitig, bei Kampfhandlungen wenig Rücksicht auf das größte Kernkraftwerk Europas in Saporischschja zu nehmen.

Später schrieb Energoatom, dass bei dem Beschuss Sensoren beschädigt wurden. Das berichtete die französische Nachrichtenagentur AFP und berief sich auf eine Telegram-Mitteilung. Die Angaben lassen sich nicht überprüfen. „Die Situation spitzt sich zu, radioaktive Substanzen befinden sich in der Nähe und mehrere Strahlungssensoren wurden beschädigt“, hieß es weiter.

Größtes AKW in Europa

Das Atomkraftwerk in Saporischschja ist das größte in Europa. Russische Truppen brachten es im März kurz nach Beginn ihres Angriffskrieges gegen die Ukraine unter ihre Kontrolle. Nach den Angriffen vom Wochenende musste ein Reaktor heruntergefahren werden.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte am Donnerstag, Russland könne in Saporischschja „die größte atomare Katastrophe in der Geschichte“ verursachen. Russland sei ein „terroristischer Staat“, der das Atomkraftwerk im Ukraine-Krieg als „Geisel“ nehme und zur „Erpressung“ nutze. Russland wiederum wirft der ukrainischen Armee vor, mit Angriffen die Sicherheit des Kraftwerks zu gefährden.

Ein Unfall im größten Kernkraftwerk Europas wäre wie ein Atomschlag, nur ohne den Einsatz von Atomwaffen, sagte Selenskyj in Kiew. Die ganze Welt solle sich dafür einsetzen, dass russische Truppen Saporischschja verlassen. „Das ist ein globales Interesse, nicht nur ein ukrainisches Bedürfnis.“ Erst wenn die Ukraine das AKW wieder kontrolliere, sei die atomare Sicherheit für ganz Europa gegeben.

Schwere Schäden auf russischer Krim-Basis

Weiterhin Fragen warf am Donnerstag eine Reihe von Explosionen auf, die am Dienstag einen russischen Luftwaffenstützpunkt auf der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim erschüttert und schwere Schäden hinterlassen hat. Satellitenbilder legen nahe, dass es sich um einen gezielten ukrainischen Angriff gehandelt haben dürfte. Es gibt mehrere Theorien dazu – aber nur wenige Informationen.

Explosionen auf der Krim
Reuters
Die Explosionen auf der Krim sorgen weiter für Fragen

In internationalen Einschätzungen hieß es am Donnerstag, die Bilder von Planet Labs, einem US-Unternehmen, das Erdbeobachtungssatelliten betreibt, lieferten einen ersten wirklichen Eindruck von den Schäden auf dem Stützpunkt Saky im Westen der Krim – bzw. einen ersten Beleg für einen möglichen ukrainischen Angriff.

Bilder zeigen großflächige Brände

Satellitenbilder zeigen, dass es offensichtlich großflächige Brände gab. Die wichtigsten Pisten des Militärstützpunktes schienen intakt zu sein, allerdings sind deutlich mehrere ausgebrannte Kampfjets zu sehen. Sichtbare Krater deuten zudem auf einen Beschuss, welcher Art auch immer, hin.

In „inoffiziellen“ Berichten, hieß es am Donnerstag in Agenturberichten, sei davon die Rede, dass nicht näher benannte „Partisanen“ eine Rolle bei den Explosionen gespielt hätten. Russland spricht von einer Explosion in einem Munitionslager wegen nicht beachteter Brandschutzvorschriften.