Geiselnehmer Bassam al-Sheikh Hussein in der Bank
AP/Hussein Malla
Symbolfigur in Krise

Libanon feiert gewaltsame Geldbehebung

Die Bevölkerung des Libanon hat inmitten der schwersten Wirtschaftskrise des Landes einen ungewöhnlichen Helden gefunden. Um Zugang zu seinen eingefrorenen Ersparnissen zu erhalten, nahm ein Mann in einer Bank im Zentrum von Beirut Geiseln und drohte, sich mit Benzin zu übergießen. Viele Menschen im Libanon sahen in dem Mann mit seiner Verzweiflungstat eine Identifikationsfigur – und sprachen ihm offen ihre Unterstützung aus.

Mit einem Gewehr bewaffnet betrat Bassam al-Scheich Hussein am Donnerstagmittag die Filiale der Federal Bank im Zentrum der libanesischen Hauptstadt. Er gab drei Warnschüsse ab, nahm mehrere Menschen als Geiseln und drohte, sich selbst mit Benzin zu übergießen und anzuzünden, falls ihm die Bank nicht einen Teil seiner Ersparnisse auszahlen würde.

Er brauche das Geld, um Krankenhausrechnungen für seinen Vater zu bezahlen, sagte Hussein laut einem Kunden, der aus der Bank fliehen konnte. Auch der Bruder des Geiselnehmers nannte das als Grund für die Tat. Mehrere Stunden liefen Verhandlungen mit der Polizei, ehe der Mann am Abend schließlich die Geiselnahme beendete und sich der Polizei stellte. Laut der libanesischen Nachrichtenagentur NNA hatte die Bank Hussein zuvor zugesichert, ihm 30.000 Dollar auszuzahlen.

Geiselnehmer Bassam al-Sheikh Hussein in der Bank
AP/Hussein Malla
Nach acht Stunden beendete Hussein die Geiselnahme

Banken verweigern Zugriff auf Ersparnisse

Die Summe ist nur ein Teil des Geldes, das Hussein auf der Bank liegen hatte. Rund 200.000 Dollar sollen seine Ersparnisse ausmachen. Doch wie bei fast allen Menschen im Libanon sind die Gelder seit über zwei Jahren gesperrt. Die Banken in dem Mittelmeer-Land erlauben den Menschen seither nur kleine Behebungen, die kaum oder gar nicht ausreichen, um die grundlegenden Lebensbedürfnisse zu stillen. Rund 80 Prozent der Bevölkerung gelten inzwischen als verarmt.

Hinter den Zwangsmaßnahmen der Banken steht die schwerste Wirtschaftskrise in der Geschichte des Libanon, die das Land bereits seit fast drei Jahren im Griff hat. In dieser Zeit hat die nationale Währung mehr als 90 Prozent ihres Werts verloren. Früher war das libanesische Pfund an den Dollar gekoppelt. Deshalb haben viele Menschen Konten in der US-Währung.

Mit Andauern der Krise begannen dem Land die Devisenvorräte auszugehen – was wiederum die harten Behebungssperren der Banken zur Folge hatte. Die meisten Waren und Dienstleistungen werden aber – wegen der hohen Inflation der Inlandswährung – nur noch gegen Dollar gehandelt. Das verschärft die Situation zusätzlich.

Sympathie in Bevölkerung

Die Nachricht von der Geiselnahme erreichte am Donnerstag schnell alle Teile des Landes. Das Bild eines Widerständigen, der mit gezogener Waffe gegen eine Bank antritt, traf bei vielen einen Nerv. Auf Videoaufnahmen ist zu sehen, wie sich Menschen spontan nahe der Bank versammelten. Sie bekundeten ihre Solidarität mit dem Geiselnehmer. Laut der Tageszeitung „L’Orient Le Jour“ rief auch eine Organisation, die sich für die Rechte von Bankkunden einsetzt, zu Protesten auf.

Beirut: Bankräuber presst Geld frei

Inmitten der schweren Wirtschaftskrise hat ein Mann in der libanesischen Hauptstadt Beirut über Stunden mehrere Geiseln festgehalten. Bassam al-Scheich Hussein wollte von der Bank eingefrorene Ersparnisse freipressen, um die Krankenhausrechnung seines Vaters bezahlen zu können. Nach stundenlangen Verhandlungen sicherte die Bank Hussein einen Teilbetrag zu und die Geiseln kamen frei. Hussein wurde anschließend in Gewahrsam genommen. Das Land leidet seit fast drei Jahren unter der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Große Teile der Bevölkerung sind in Armut abgerutscht.

„Unser korruptes System hat den armen Mann dazu gebracht, so etwas zu tun“, sagte eine Frau. Auch viele Mitglieder der Polizei, die den Ort der Geiselnahme großräumig absperrte, hätten Verständnis für die Tat Husseins, sagte ein Mann dem britischen „Guardian“. „Verzweifelte Menschen tun verzweifelte Dinge. Wir sind alle wie er, auch die Soldaten und Polizisten haben ihn gemocht“, so der Passant.

Von Geldsendungen aus dem Ausland abhängig

Tatsächlich leidet die Polizei wie der gesamte öffentliche Dienst ebenfalls unter weitreichenden Lohnkürzungen. Ihre Gehälter wurden in den vergangenen zweieinhalb Jahren auf einen Bruchteil zusammengekürzt. Laut dem „Guardian“-Bericht verdienen viele von ihnen nur noch umgerechnet 70 Dollar pro Monat, womit sich eigentlich kein Lebensunterhalt mehr bestreiten lässt. Viele Menschen im Libanon kommen nur noch über die Runden, weil sie Verwandte im Ausland haben, die regelmäßig Geld überweisen.

Die Geiselnahme war bereits die zweite Tat dieser Art in diesem Jahr. Im Jänner hatte ein Mann Bankkunden mit Benzin übergossen und Zugriff auf seine Ersparnisse gefordert. Auch er konnte tatsächlich die geforderte Summe abheben. Angesichts der dramatischen Lage in dem Land, mag es fast verwundern, dass es nicht öfters zu solchen Verzweiflungstaten kommt.

Explosionskatastrophe als Mahnmal der Krise

Dass sich die Lage in dem Land bessert, glauben derzeit nur die wenigsten. Erst vor wenigen Tagen jährte sich die Explosionskatastrophe im Beiruter Hafen zum zweiten Mal. Bei der Explosion von Hunderten Tonnen fahrlässig im Hafen gelagerten Ammoniumnitrats waren am 4. August 2020 ganze Stadtteile Beiruts dem Erdboden gleichgemacht worden.

214 Menschen starben, 6.500 weitere wurden verletzt und rund 300.000 wurden obdachlos. Die Explosion wurde zum Symbol der Krise im Land und verschlimmerte sie zugleich weiter. Genau am zweiten Jahrestag der verheerenden Explosion stürzten im Hafen der Hauptstadt nach einem Brand weitere Silos ein. Angehörige der Opfer werfen den Behörden vor, ihre mögliche Mitverantwortung an der Katastrophe seit Jahren systematisch zu verschleiern.

Generell liegt das Vertrauen in die Politik des Landes am Boden. Die politische Elite sieht sich mit Vorwürfen der Korruption und Untätigkeit konfrontiert. Viele Menschen im Libanon machen die Führung des Landes für die dramatische wirtschaftliche Lage verantwortlich – die sie seit Monaten in allen Lebensbereichen zu spüren bekommen. So müssen die meisten Haushalte mit nur wenigen Stunden Strom am Tag auskommen. Auch die Wasserversorgung bricht regelmäßig zusammen. Mögliche internationale Unterstützer wie der Internationale Währungsfonds (IWF) verlangen Reformen, bevor sie dem Land helfen. Diese ist die Regierung jedoch bisher schuldig geblieben.