Comics

Mit Mangas gegen Weltschmerz

Der Verkauf von Mangas geht weltweit durch die Decke – alleine in Deutschland ist er im vergangenen Jahr um bis zu 75 Prozent gestiegen. Das hat damit zu tun, dass Mangas Jugendlichen in sozialen Netzwerken als Spiegel ihrer Gefühlswelt dienen. So kann ohne Tabus über psychische Probleme reflektiert werden. Ähnlich verhält es sich mit der wachsenden Cosplay-Szene.

In den frühen 2000er Jahren erlebten Manga, Anime und Cosplay einen Boom, angekurbelt durch das Aufkommen des Internets – und auch heute zeigt der Trend deutlich nach oben. Auf der Videoplattform TikTok hat der Hashtag „#anime“ mehr als neun Milliarden Aufrufe, „Shelving“-Videos, in denen TikTok-Userinnen und -User Mangabände in Bücherregale schlichten, trenden auf der Plattform. Cosplay-Videos, in denen sich Fans als ihre Lieblingscharaktere aus Anime, Manga oder Computerspielen verkleiden – etwa aus beliebten Anime wie „Demon Slayer“ und „My Hero Academia“ – boomen.

Crunchyroll, der US-amerikanische, weltweit größte Streamingdienst für Anime, hat vergangenes Jahr die Marke von fünf Millionen Abonnentinnen und Abonnenten weltweit geknackt, und Streamingdienste wie Netflix und Hulu erweitern ihr Angebot um die japanischen Zeichentrickfilme laufend, auch mit Eigenproduktionen – so plant Netflix eine Realfilmadaption der Mangareihe „One Piece“, die mit etwa 490 Millionen verkauften Exemplaren die erfolgreichste Mangaserie Japans ist.

Fotostrecke mit 13 Bildern

Frau mit blauen Haaren hat einen Metall-Hai auf der Schulter
ORF.at/Zita Klimek
Cosplayerinnen und Cosplayer auf der AniNite-Convention im August, Österreichs größter und ältester Convention für japanische Popkultur. Im Bild ist der Charakter Jinx aus dem Computerspiel „League of Legends“ zu sehen.
Gruppe von fünf Burschen in schwarzen-roten Umhängen
ORF.at/Zita Klimek
Ninjakämpfer aus der japanischen Animeserie „Naruto Shippuden“
Mutter und Tochter als Manga-Figuren verkleidet sitzen neben einander
ORF.at/Zita Klimek
Charaktere aus dem chinesischen Fantasy-Action-Rollenspiel „Genshin Impact“
Verkleideter Mann mit Samurai-Schwert in der Hand
ORF.at/Zita Klimek
Charakter Rengoku Kyojuro aus der populären Mangaserie „Demon Slayer“
Mädchen in Blumen-Wiesen-Verkleidung
ORF.at/Zita Klimek
Te Fiti aus dem Disney-Film „Vaiana“
Junge als Manga-Figur verkleidet sitzt in einem Klappstuhl
ORF.at/Zita Klimek
Sora aus dem japanischen Manga „No Game on Life“
Drei Mädchen als Manga-Figuren verkleidet
ORF.at/Zita Klimek
K/DA, eine virtuelle K-Pop-Girlgroup, von Charakteren aus dem Computerspiel „League of Legends“
Vier Männer mit Masken, blauen Handschuhen und Waffen in der Hand
ORF.at/Zita Klimek
Hauptcharaktere aus dem Computerspiel „Pay Day 2“
Zwei Personen als Manga-Figuren verkleidet posieren in der Pyramide Vösendorf beim Aninite Event
ORF.at/Zita Klimek
Links: Gen aus dem Kultmanga „Barfuß durch Hiroshima“, rechts: Senku Ishigami aus dem Manga „Dr. Stone“
Drei Mädchen als Manga-Figuren verkleidet
ORF.at/Zita Klimek
Mitte: ein Charakter aus dem Videospiel „Genshin Impact“
Verkleidete Personen bei der Aninite in der Pyramide Vösendorf
ORF.at/Zita Klimek
Rußmännchen kommen in den Filmen „Chihiros Reise ins Zauberland“ und „Mein Nachbar Totoro“ vor
Frau mit blauer Perücke steht neben Mann mit Smiley-Kopf
ORF.at/Zita Klimek
Charakter aus dem Manga „Koro Sensei Quest“
Zwei Mädchen als Anime-Figuren
ORF.at/Zita Klimek
Die Charaktere Raiden Shogun und Yae Miko aus dem chinesischen Videospiel „Genshin Impact“

Hype auch in Österreich

Dass Mangas im Trend liegen, bestätigen auch aktuelle Zahlen aus den Verlagen: Laut dem deutschen Fachmagazin „buchreport“ legten die Mangaumsätze in Deutschland 2021 um rund 75 Prozent zu (im Vergleich legten westliche Comics im selben Jahr um 30 Prozent zu), wie der „Tagesspiegel“ berichtete. Und auch hierzulande, etwa in der Buchhandlung Morawa oder bei Thalia, bemerke man eigenen Angaben zufolge einen „Hype auf Manga“.

Liebe, Mobbing, Phobien

Die Bandbreite an Mangagenres ist enorm und deckt jede Altersgruppe und jedes literarische Genre ab. Am erfolgreichsten ist das Genre Shonen – es richtet sich an jugendliche, meist männliche Leser. Das Pendant für junge Leserinnen ist das Genre Shojo. Darüber hinaus gibt es noch Seinen-Mangas für ein älteres, männliches Publikum, Fantasy, Romance und Slice-of-Life-Mangas, die sich einem Ausschnitt aus dem Alltag widmen – etwa einer sich anbahnenden Beziehung oder Mobbing in der Schule.

Dass Figuren in Mangas und Anime zu starken Identifikationsfiguren für junge Menschen werden können, zeigt sich anhand der Mangaserie „Komi Can’t Communicate“: In dem RomCom-Manga wird die Geschichte der Schülerin Shoko Komi erzählt, die unter sozialer Phobie leidet, weshalb sie Angst hat, mit anderen zu sprechen. Der Manga, der tief in die Psychologie eintaucht, wird für seine Darstellung von Social Anxiety in den sozialen Netzwerken vielfach gelobt und verbreitet.

Auch Antihelden geben Hoffnung

Ein weiteres Beispiel ist die Figur Deku aus der Mangaserie „My Hero Academia“, die sich zu einem globalen Kultphänomen entwickelt hat. In dem Manga wird der Charakter von Mitschülern gemobbt. Trotz des Mobbings bleibt die Figur aber sie selbst und entwickelt sich in der Serie weiter. Alyssa vom Geschäft „Runch Comics“ in Wien erklärt: „Zuschauerinnen und Zuschauer, die sich mit ihm identifizieren können, bekommen das Gefühl, dass sie sich mit ihm weiterentwickeln können, das gibt Hoffnung.“

Häufig werde auch der gesellschaftliche Druck in Japan, wie etwa der Leistungsdruck in der Schule oder im Beruf, in Mangas thematisiert, sagt die Japanforscherin Christina Gmeinbauer von der Uni Wien zu ORF.at. Die Figuren führen oft Lebensstile, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen, und gehen etwa „baito“, also anstelle einer Vollzeitbeschäftigung unterschiedlichen Teilzeitbeschäftigungen nach. Ein Beispiel ist die Mangaserie „Maison Ikkoku“, in der ein Protagonist die Aufnahmeprüfung an der Universität im ersten Anlauf nicht schafft und sich über Jahre mit Nebenjobs über Wasser hält.

Mangas, die Frauen „befreien“

Das Genre Boys Love zeigt romantische Beziehungen zwischen jungen, meist sehr schön gezeichneten, androgynen Männern – und wird Medienberichten zufolge vor allem von Mädchen und Frauen gelesen. Ein Klassiker des Genres, dessen Geschichten häufig von Autorinnen geschrieben wird, ist die Mangareihe „Given“ von der japanischen Autorin Natsuki Kizu, in der es um vier männliche Bandmitglieder geht, die gemeinsam Musik machen und sich ineinander verlieben.

„Empowerment“ für Leserinnen

Um die Beliebtheit von Boys-Love-Mangas bei Leserinnen zu erklären, gibt es in der Forschung unterschiedliche Ansätze, sagt Gmeinbauer – oft werde darauf verwiesen, dass Leserinnen sich hier mit Liebesbeziehungen beschäftigen könnten, in denen gesellschaftliche Erwartungshaltungen, die an Frauen gestellt werden, in den Hintergrund rücken, so die Expertin.

Weil die Hauptfiguren männlich sind, sei das Lesen „stressfreier“ für die Leserinnen, weil sie sich nicht auf die Figuren projizieren würden, fügt Alyssa hinzu: „Frauen werden nicht übersexualisiert dargestellt, wodurch für die Leserinnen ein Safe Space geschaffen wird“, so Alyssa. Für Frauen könne es zudem aufregend sein, wenn traditionelle Geschlechterrollen auf den Kopf gestellt würden, schreibt die „New York Times“, etwa wenn ein Mann von einem Verehrer verführt werde und Frauen aus der Sicht des Verführers lesen.

Manga-Expertin Alyssa steht vor einem Regal voller Manga-Bücher
ORF.at/Zita Klimek
Alyssa vom Geschäft „Runch Comics“ in Wien

Mehr Blicke als Küsse

Es ist auch die Darstellung von Romantik und Intimität, die in Manga und Anime einzigartig ist, sagt Alyssa zu ORF.at. Es gibt romantische Anziehung, Zuneigung, es gibt Flirts – aber sie sind häufig der Handlung untergeordnet, die Gefühle stehen im Vordergrund. Ein Flirt kann so über mehrere Seiten gehen, ein Kuss zwischen den Hauptprotagonisten sei etwas, „auf das man in Mangas lange wartet“, sagt Alyssa und fügt hinzu: „Gestik, Mimik und Blicke haben eine größere Bedeutung und werden öfters dargestellt.“

Figuren als Vorbilder

Bei Shonen-Manga dominiert das Narrativ eines „jungen Protagonisten, der gemeinsam mit Freunden loszieht, um das Böse zu bekämpfen“, sagt Gmeinbauer. Sich einem Ziel zu verschreiben und alles dafür zu geben, dieses Ziel zu erreichen, sei ein starkes Motiv in dem Genre, sagt die Expertin und nennt dafür den japanischen Begriff „ganbaru“, der so viel bedeutet wie „sein Bestes zu geben“ und „nicht aufgeben“. Ein populäres Beispiel ist der Anime „Demon Slayer“, der in Japan alle Kinorekorde gebrochen hat. In der Geschichte geht es um den Jungen Tanjiro, dessen Familie von Dämonen ermordet wird und die seine Schwester in einen Geist verwandeln. Es sei eine Geschichte über „persönliches Wachstum, das Überwinden von Schwierigkeiten und Widerstandskraft“, zitiert die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“) in einem Artikel die Soziologin Yuka Ijima der Daito-Bunka-Universität.

Wie Cosplay Grenzen sprengt

Um das Hineinfühlen in eine Figur aus einem Anime oder Manga geht es auch beim Cosplay – einer gelebten Fanpraxis, die sich aus Japan nach Europa und in die USA verbreitet hat. Japan-Conventions, auf denen Cosplaywettbewerbe stattfinden und Ehrengäste aus der Szene auftreten, ziehen jährlich Tausende von Fans an, wie auf der YuniCon in Österreich vergangenes Jahr (mehr als 6.000 Besucherinnen und Besucher) oder Deutschlands größter Convention für Manga und Anime, die DoKomi in Düsseldorf – zu der in diesem Jahr mehr als 75.000 Besucherinnen und Besucher kamen.

Beim Cosplay, ein Sammelbegriff aus den englischen Worten „costume“ and „play“, kleiden sich Personen als Figuren aus Manga, Anime, Comics und Computerspielen. Über den Kick beim Cosplay hat ORF.at im Videobeitrag mit Cosplayerinnen aus der heimischen Szene auf der AniNite, Österreichs größten und ältesten Convention für japanische Popkultur, gesprochen. Grenzen gebe es beim Cosplay keine, man „könne sich trauen, der Charakter zu sein, der man sein will“, sagt etwa die Make-up-Artistin und Cosplayerin Julez „Kikiko Banjo“ im Gespräch mit ORF.at. Für die Cosplayerin, die vor allem männliche Charaktere aus Anime und Manga darstellt, ist Cosplay mehr als nur ein Hobby: „Menschen können hier eine Seite ausleben, für die sie sonst im Alltag zu schüchtern sind“, so Julez.

Szene in Wien

Cosplayerin Monika „MissesCharmy“ ist gelernte Schneiderin und hat ihr Hobby mittlerweile zum Beruf gemacht. In der Szene ist Monika keine Unbekannte und hat mehrfach Cosplay-Wettbewerbe gewonnen, darunter den International Cosplay Champions Cup (ICCC) 2021 in Österreich. Die Cosplay-Szene in Wien sei laut Monika vor allem vielseitig und jung, mit Menschen aus allen Gesellschaftsschichten: „Man kann Freundschaften schließen, mit Menschen, mit denen man im normalen Leben nichts zu tun hätte“, so Monika.

Das Thema Geschlechterrollen würde im Cosplay eine wichtige Rolle spielen, sagt Monika, Geschlechtergrenzen würden vor allem gesprengt werden, etwa beim Genderbend-Cosplay: „Wenn man über die Convention geht und sich die Menschen anschaut, ist es nicht wichtig, welches Geschlecht man darstellt, der Charakter ist wichtig“, so Monika.