Protestierende laufen in Kabul nach Warnschüssen der Taliban weg
APA/AFP/Wakil Kohsar
Afghanistan

EU „besonders besorgt“ um Frauen

Nach der gewaltsamen Auflösung einer Demonstration von Frauen in Kabul für mehr Rechte in Afghanistan hat sich die EU „besonders besorgt“ über die Verschlechterung der Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen im Land gezeigt. Rund 40 Frauen hatten am Samstag in der afghanischen Hauptstadt „Brot, Arbeit und Freiheit“ skandiert.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte am Sonntag, jede humanitäre Hilfe für Afghanistan hänge davon ab, dass die Taliban die Grundsätze der Menschenrechte respektierten, „insbesondere die Rechte von Frauen und Mädchen, Kindern und Minderheiten“.

Kurz vor dem Jahrestag der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban hatten die Kämpfer mit Luftschüssen die Demonstrantinnen, die sich vor dem Bildungsministerium eingefunden hatten, vertrieben. Einige Frauen, die in nahe gelegene Geschäfte flüchteten, wurden von den Taliban gejagt und mit Gewehrkolben geschlagen. Journalisten, die über die erste Frauendemonstration seit Monaten berichten wollten, wurden nach Angaben eines AFP-Reporters geschlagen.

Die Demonstrantinnen forderten das Recht auf Arbeit und politische Teilhabe. Sie trugen ein Transparent mit der Aufschrift „Der 15. August ist ein schwarzer Tag“ – am Montag jährt sich die Machtübernahme durch die Taliban zum ersten Mal.

Hälfte der Bevölkerung von Hunger bedroht

Afghanistan müsse die vom Land unterzeichneten internationalen Verträge einhalten, „einschließlich der Wahrung und des Schutzes wirtschaftlicher, sozialer, kultureller, bürgerlicher und politischer Rechte“, bekräftigte Borrell. Ebenso müsse der Staat eine „vollständige, gleichberechtigte und sinnvolle Vertretung und Beteiligung aller Afghanen an der Führung des Landes ermöglichen“.

EU-Außenbeauftragte Josep Borrell
APA/AFP/François Walschaerts
EU-Außenbeauftragter Borrell zeigte sich am Sonntag um die Lage von Frauen und Mädchen in Afghanistan besorgt

Die Taliban hatten bei ihrer Machtübernahme eine gemäßigtere Form der islamistischen Herrschaft versprochen als jene, die sie zwischen 1996 und 2001 in Afghanistan praktiziert hatten. Dennoch wurden in den vergangenen zwölf Monaten unter anderem die Frauenrechte wieder massiv beschnitten. Auch die wirtschaftliche Not ist größer als zuvor. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist von Hunger bedroht.

Zehntausende Mädchen wurden von weiterführenden Schulen ausgeschlossen. Frauen dürfen auch nicht mehr in Regierungsämtern arbeiten. In den Parks der Hauptstadt wurden getrennte Besuchstage für Männer und Frauen eingeführt. Im Mai ordnete Taliban-Chef Hibatullah Achundzada zudem an, dass sich Frauen in der Öffentlichkeit vollständig verhüllen müssen.

Taliban rufen Feiertag aus

Während Frauen gegen die Taliban-Herrschaft demonstrieren, riefen die Islamisten für den Jahrestag ihrer Rückkehr an die Macht einen Feiertag aus. Der 15. August markiere den „ersten Jahrestag des Sieges des vom Islamischen Emirat Afghanistan angeführten afghanischen Dschihad über die amerikanische Besatzung und ihre Verbündeten“, schrieb das Ministerium für Arbeit und Soziales am Sonntag in einer Mitteilung zur Ankündigung des Feiertages.

Vertriebene afghanische Frauen in einer Hilfsstelle
Reuters/Ali Khara
Unter den Taliban wurden Frauenrechte massiv beschnitten

Die Taliban waren vergangenes Jahr auf wenig Gegenwehr der afghanischen Streitkräfte gestoßen, als sie das Land nach und nach unter ihre Kontrolle brachten und schließlich die Hauptstadt Kabul einnahmen. Die US- und NATO-Truppen zogen ab. Nach der Einnahme Kabuls durch die Taliban erfolgte ein internationaler militärischer Evakuierungseinsatz. Am Flughafen der Hauptstadt spielten sich dramatische Szenen ab, als viele Menschen das Land verlassen wollten.

Anfang August hatten die USA den al-Kaida-Chef Ayman al-Zawahiri mit einer von einer Drohne abgeschossenen Rakete in der afghanischen Hauptstadt Kabul getötet. „Das Islamische Emirat Afghanistan hat ein Expertenteam beauftragt, diese Angelegenheit zu untersuchen“, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Bilal Karimi der „Welt am Sonntag“. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werde man nach Abschluss der Ermittlungen bekanntgeben.