Rauch steigt auf Nach Explosion auf der Krim
AP
Angriffe auf Halbinsel

Krim-Explosionen als lautes Signal an Moskau

Die Zwischenfälle auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim häufen sich: Am Dienstag ist im Norden der Krim ein Munitionslager detoniert. Fast gleichzeitig stand ein Umspannwerk in der Nähe in Flammen, das offenbar Strom für eine Eisenbahnlinie liefert. Kurz danach wurden Explosionen auf einem Luftwaffenstützpunkt nahe Simferopol gemeldet. Schon vergangene Woche wurde ein Militärstützpunkt in Saki schwer beschädigt. Für Russland sind die Explosionen mehr als ein lautes Warnsignal – auch weil unklar ist, wie sie zustande gekommen sind.

Nach Behördenangaben kam es in dem Dorf Majske zu der Explosion und zwar auf dem Gelände eines früheren Bauernhofes, der von den russischen Streitkräften als Munitionslager genutzt wird. Der Krim-Verwaltungschef Sergej Axjonow sagte im Gebiet Dschankoje, es gebe zwei Verletzte.

Zu den Gründen der Detonation müsse sich das russische Verteidigungsministerium äußern, sagte er. Und das räumte wenig später ein, dass es sich wohl um Sabotage handelt. Russische Medien sprachen von einem möglichen Drohnenangriff. Es sei eine Reihe von zivilen Objekten beschädigt worden, darunter Stromleitungen, ein Kraftwerk und Bahngleise sowie einige Wohngebäude, hieß es. In dem Gebiet wurde der Notstand ausgerufen.

Detonationen auch auf Militärbasis

Anderen Meldungen zufolge gab es einen Brand in einem Umspannwerk in Dschankoi – und dieses soll die Stromversorgung der wichtigsten Bahnlinie auf die Krim sicherstellen. Tatsächlich berichten die lokalen Behörden von Zugsausfällen in der Region.

Explosion auf der Krim
Reuters
Auf Videobildern waren Flammen auf dem Gelände eines Umspannwerks zu sehen

Nur wenige Stunden nach den Berichten über die Detonationen vermeldeten russische Medien auch Rauchwolken über einem Flugfeld nahe der Krim-Hauptstadt Simferopol. Auf der russischen Militärbasis nahe der Ortschaft Hwardijske im Zentrum der Halbinsel hätten sich Detonationen ereignet, berichtet die russische Zeitung „Kommersant“. Die Schäden dort waren noch nicht abzuschätzen.

Entspricht ukrainischem Angriffsmuster

Die Schauplätze der Explosionen legen nahe, dass es sich um gezielte Angriffe der Ukraine handelt: Auch auf anderen Kriegsschauplätzen griff das ukrainische Militär in den vergangenen Wochen Munitionsdepots im Hinterland und Eisenbahninfrastruktur an: Die Bahn ist für die russischen Nachschubrouten von essenzieller Bedeutung. Allerdings ist vollkommen unklar, wie die Ukraine diese Schläge bewerkstelligen konnte – inklusive des Angriffs auf den Militärstützpunkt bei Saki, bei dem laut Angaben aus Kiew etliche russische Kampfflugzeuge zerstört worden sein sollen.

Grafik zu Angriffen auf der Krim
Grafik: APA/ORF.at

Übersteigt Reichweite der ukrainischen Waffensysteme

Denn: Die Ukraine verfügt eigentlich über keine Waffensysteme mit einer Reichweite, die aus dem von ihr noch kontrollierten Gebiet die Krim treffen könnten. Die von den USA gelieferten Mehrfachraketenwerfer HIMARS haben zwar theoretisch eine solche Reichweite, allerdings wurden die entsprechenden Raketen der Ukraine nicht geliefert, wie die USA auch nach den Detonationen vor einigen Tagen erneut bekräftigten. Spekuliert wurde über Schiffsabwehrraketen, die der Ukraine zur Verfügung stehen und die theoretisch auch Ziele an Land treffen könnten. Doch das sahen die meisten Experten als unwahrscheinliche Option an. Ende Juli gab es in der Hafenstadt Sewastopol einen Drohnenangriff mit mehreren Verletzten.

Eliteeinheit auf Feindesgebiet?

Russland behauptete bisher, der Vorfall vergangene Woche sei auf einen „Unfall“ zurückzuführen. Angesichts der nahezu identischen Einschlagskrater und gleichzeitigen Explosionen wurde diesen Aussagen aber wenig Glauben geschenkt. Die Zeitungen „New York Times“ und „Washington Post“ zitierten nicht näher bezeichnete Insider mit der Aussage, ukrainische Streitkräfte seien für den Angriff auf der Krim verantwortlich. Am Dienstag berichtete die „New York Times“ ebenfalls unter Berufung auf anonyme Quellen aus Kiew, für die Explosion sei eine Elitegruppe der ukrainischen Armee verantwortlich, die geheim im feindlichen Gebiet agiere.

„Operation Entmilitarisierung“

Offiziell hat sich die Ukraine nicht dazu bekannt, die Militärschläge ausgeführt zu haben, aus Regierungskreisen werden diese aber recht süffisant kommentiert. Der Leiter des ukrainischen Präsidialamts, Andrij Jermak, bezeichnete die Explosion in Majske auf Telegram als eine „Operation ‚Entmilitarisierung‘“ und lobte sie als „Meisterleistung der ukrainischen Streitkräfte“. Diese würden ihre Arbeit fortsetzen, bis alle ukrainischen Gebiete „vollständig befreit“ seien.

„Das ist nur der Anfang“, schrieb der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak nach der Detonation vorige Woche auf Twitter. Zum neuen Zwischenfall schrieb er nun: „Der Morgen nahe Dschankoj begann mit Explosionen. Zur Erinnerung: Die Krim eines normalen Landes heißt Schwarzes Meer, Berge, Erholung und Tourismus; die von Russen besetzte Krim bedeutet Explosionen von Depots und ein hohes Todesrisiko für die Invasoren und Diebe. Die Entmilitarisierung ist im Gang.“ Die ukrainische Luftwaffe postete ein Video der Explosion, wohl ein weiterer Hinweis, dass man nicht ganz unbeteiligt war.

Sicherheit auf der Krim infrage gestellt

Egal ob es doch Langstreckenwaffen, Elitetruppen oder Saboteure waren: Die Explosionen lassen die Versprechungen Russlands, die Sicherheit auf der Krim zu garantieren, in einem fahlen Licht erscheinen. Präsident Wladimir Putin hatte immer wieder angekündigt, dass die Sicherheit der Krim noch weiter verstärkt werden solle. Insofern sind die Anschläge wohl auch ein ukrainischer Versuch, den russischen Gegner auf symbolischer Ebene einzuschüchtern. „Wenn ich ein russischer Soldat oder ein ranghoher russischer Offizier auf der Krim wäre, würde ich mir jetzt große Sorgen machen", sagte der Sicherheitsexperte Andrew MacLeod vom King’s Colleg London der BBC.

Auch militärischer Wirkungstreffer

Doch es bleibt nicht nur eine Frage der Symbolik und der psychologischen Kriegsführung: Jedes getroffene Waffendepot schwächt die russischen Truppen. Sollte die Eisenbahnverbindung zwischen der Krim und dem Festland tatsächlich länger beschädigt sein, trifft das die Nachschubrouten schwer, vor allem in den umkämpften Gebieten im Süden. In der Region Cherson ging die Ukraine vor einiger Zeit zum Gegenangriff über, Russland war laut Beobachtern zu Truppenverschiebungen gezwungen.

Bei der Explosion in Saki verlor Russland offenbar nicht nur mindestens acht Kampfflugzeuge: Laut dem britischen Militärgeheimdienst wurden damit die Marineflieger der russischen Schwarzmeer-Flotte deutlich geschwächt. Das sei zwar nur ein kleiner Teil der Russland für die Invasion in die Ukraine zur Verfügung stehenden Luftstreitkräfte, aber der Flugplatz sei vor allem zur Unterstützung der Flotte genutzt worden.

Russischer Militärexperte zeichnet düsteres Bild

Britische und andere westliche Militäranalysten haben in den vergangenen Monaten immer wieder darauf hingewiesen, dass die russische Offensive nicht nach Wunsch verlaufe und die Ausrüstung der russischen Truppen veraltet sei. Dem wurde oft entgegengehalten, solche Einschätzungen wären zu einem Gutteil Wunschdenken.

Doch nachdem sich in den vergangenen Wochen schon etliche russische Militärblogger kritisch geäußert haben, erschien nun ein Interview des russischen Sicherheitsberaters und Militärexperten Ruslan Puchow mit dem Analyseunternehmen Prisp, in dem er ein eher düsteres Bild des Zustands der russischen Armee zeichnet.

Veraltete Technologie

Die teils noch auf Sowjet-Technologie basierende Ausrüstung der Streitkräfte sei jener der Ukrainer deutlich unterlegen. Kampfflugzeuge und -panzer seien veraltet, vor allem fehle es aber an Präzisionswaffensystemen, meint Puchow. Die militärische „Revolution“ mit dem Einsatz an Drohnen habe man verpasst. An der Front gebe es „eine unzureichende Anzahl von Soldaten“ Und: „Die Unterschätzung des Feindes hat uns in der Tat einen grausamen Streich gespielt“, so der Experte.

Noch würde die geringe Zahl an Waffen, die vom Westen an die Ukraine geliefert wird, das militärische Gleichgewicht ausbalancieren. Doch Puchow befürchtet: „Bis zum Ende des Sommers könnte sich die Situation an den Fronten dramatisch zuspitzen.“