Brasilianischer Präsident Jair Bolsonaro winkt der Menge
AP/Silvia Izquierdo
Zweifel schüren an Wahlsystem

Bolsonaros Wahlkampf auf Trumps Spuren

Der ultrarechte brasilianische Präsident Jair Bolsonaro ist am Dienstag in den Wahlkampf gestartet. Sein Herausforderer, der linke Ex-Staatschef Luiz Inacio Lula da Silva, führt in den Umfragen deutlich. Doch Bolsonaro schürt nach US-Vorbild Zweifel am Wahlsystem, die Sorge, er könnte das Wahlergebnis nicht anerkennen, wächst – zumal in den sozialen Netzwerken „Fake News“ rund um die Wahl Hochkonjunktur haben.

Am Dienstag begann der Wahlkampf in Brasilien auch offiziell. Lula da Silva sagte seine geplante Auftaktveranstaltung in einer Fabrik allerdings ab, die Polizei hatte das aus Sicherheitsgründen nahegelegt. Die Arbeiterpartei beging nun ihren Wahlkampfstart in jenem VW-Werk außerhalb von Sao Paolo, in dem Lula einst Gewerkschafter war.

Bolsonaro hingegen begab sich am Dienstag ausgerechnet nach Juiz de Fora, wo er 2018 von einem geistig Verwirrten niedergestochen und fast getötet worden war. „Für Bolsonaro ist das sein Selbstbild als Rebell, Anti-System-Kandidat und der Angriff auf sein Leben steht im Mittelpunkt dieser Erzählung“, so der brasilianische Politikwissenschaftler Mauricio Santoro zur Nachrichtenagentur AP.

Wahlkampfauftakt in Brasilien

Etwa eineinhalb Monate vor der Präsidentschaftswahl in Brasilien hat der Wahlkampf der beiden Favoriten, Luiz Inacio Lula da Silva und Jair Bolsonaro, begonnen. Beide wählten für ihre Auftaktveranstaltungen höchst symbolische Orte. Der ultrarechte Amtsinhaber Bolsonaro trat in Juiz de Fora auf, wo er vor vier Jahren angegriffen und fast getötet worden war. Der in den Umfragen führende linke Ex-Präsident Lula begab sich zu dem Ort, wo einst seine politische Karriere als Gewerkschaftsführer begann – einem Volkswagen-Werk in Sao Bernardo do Campo.

„Für ihn und seine Anhänger war der Mann, der ihn erstochen hat, kein ‚einsamer Wolf‘, sondern Teil einer Verschwörung der politischen Elite gegen Bolsonaro.“ Und auch jetzt wird weiter das Bild eines Kampfes von Gut gegen Böse gezeichnet. Bolsonaro, der von vielen Anhängern der evangelikalen Freikirchen unterstützt wird, bedient sich dabei selbst biblischer Worte.

„Dummköpfe und Kommunisten“

Auf der anderen Seite der polarisierten Öffentlichkeit steht Lula, der von großen Teilen der Zivilgesellschaft unterstützt wird. Erst am Donnerstag gab es in den Universitäten des Landes Proteste gegen die unter Bolsonaro befürchtete Aushöhlung der Demokratie. Dabei wurde an der Uni von Sao Paolo ein Manifest verlesen – „für freie Wahlen, einen Wahlprozess ohne ‚Fake News‘ oder Einschüchterungen“, wie es der Unirektor Carlos Gilberto Carlotti Junior ausdrückte. Das Manifest war zuvor in Zeitungen erschienen und ins Netz gestellt worden, wo rund eine Million Menschen unterzeichneten. Darunter auch Prominente, Unternehmer, Rechnungshofmitglieder und Wahlherausforderer Lula.

Protest an der Uni Sao Paolo

Tausende Menschen haben in Brasilien an prodemokratischen Kundgebungen an der juristischen Fakultät der Universität Sao Paulo teilgenommen.

Ort und Zeit waren dabei mit Bedacht gewählt. Der Protest lehnte sich an einen sehr ähnlichen vor 45 Jahren an. Damals kamen die Menschen ebenfalls in der Uni von Sao Paolo zusammen, um mit dem öffentlich verlesenen „Brief an Brasilianer“ die Militärdiktatur (1964 bis 1985) anzuprangern – jene Diktatur, die Bolsonaro wiederholt glorifizierte. Das neue Manifest zog Bolsonaro ins Lächerliche. An dem „Briefchen“ seien nur „Dummköpfe und Kommunisten“ beteiligt.

Nach Trump’scher Blaupause

Die Angst von Bolsonaros Gegnern ist augenscheinlich: Sie befürchten, er könnte nach dem Vorbild von Ex-US-Präsident Donald Trump eine Wahlniederlage am 2. Oktober nicht akzeptieren und seine Anhänger ähnlich wie beim Sturm auf das Kapitol in Washington aufstacheln. Bolsonaro zweifelt seit Monaten die Verlässlichkeit des elektronischen Wahlsystems im Land an, ohne einen Beweis dafür zu liefern. Voriges Jahr drohte er bereits an, mögliche höchstgerichtliche Urteile nicht befolgen zu wollen, wenn nötig.

Brasiliens Ex-Präsident  Lula da Silva
Reuters/Suamy Beydoun
Luiz Inacio Lula da Silva führt in den Umfragen konstant

Im Juli lud Bolsonaro bereits ausländische Botschafter in seine Residenz, um die angebliche Unzuverlässigkeit des elektronischen Wahlsystems zu verdeutlichen. Seither betonen Führungspersonen aus Politik und Justiz – auch Verbündete Bolsonaros – ihr Vertrauen in das Wahlsystem, das es seit den 1990er Jahren gibt. Auch die nationale Wahlbehörde TSE wies die Vorwürfe zurück: Die elektronische Stimmabgabe werde wie vor jeder Wahl von der Bundespolizei getestet.

Vom heutigen Standpunkt aus dürfte Lula die Präsidentschaftswahl heuer gewinnen. Laut einer am Montag veröffentlichten neuen IPEC-Umfrage liegt er derzeit bei 44 Prozent, Bolsonaro bei 32. Bolsonaros Rhetorik komme bei seiner Basis gut an, so der Politikwissenschaftler Carlos Melo von der Insper-Universität Sao Paulo zum Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Insgesamt sorge sie aber für Befremden.

„Fake News“ im Wahlkampf

Wie weit Bolsonaro im Fall einer Wahlniederlage gehen könnte, bleibt abzuwarten. Im Netz ist die Spaltung schon rund zwei Monate vor der Wahl groß und „Fake News“ haben Hochkonjunktur, wie eine neue Analyse der Menschenrechtsorganisation Global Witness zeigt. Allein auf Facebook kursierten zahlreiche Fehlinformationen zur Wahl allgemein, zum Wahldatum und freilich auch zum elektronischen Wahlsystem. Facebook habe es verabsäumt, die wahlbezogenen „Fake News“ zu erkennen und gegenzusteuern, so der Bericht von Global Witness. Eine andere Untersuchung der Uni von Rio fand allein im Juli mehr als zwei Dutzend Anzeigen auf Facebook und Instagram.

Dabei würde der linke Herausforderer Lula auch ohne „Fake News“ genügend Angriffsfläche für das Bolsonaro-Lager liefern. Der ehemalige Präsident steht in den Augen seiner Anhängerschaft zwar für den Wirtschaftsaufschwung, von dem auch die Masse profitiert hat. Aber er steht auch für eine politische Periode der Korruption, er selbst wurde 2018 wegen Schmiergeldzahlungen und Geldwäsche zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt. Im vergangenen Jahr hob der Oberste Gerichtshof das Urteil auf.

Doch viele fürchten eine Rückkehr der grassierenden Freunderlwirtschaft, sollte Lula erneut Präsident werden. „Ich will nicht, dass Brasilien zu einem zweiten Venezuela wird“, zitiert die ARD einen Anhänger Bolsonaros. Die Aufhebung von Lulas Haftstrafe sei für ihn nur eine neue Bestätigung dafür, wie korrupt und parteiisch der Oberste Gerichtshof sei.

Nächster Höhepunkt am Nationalfeiertag

Der Wahlkampf ist noch jung, die Stimmung aber schon jetzt aufgeheizt. Beide Kandidaten tragen in der Öffentlichkeit schusssichere Westen. Ein nächster Höhepunkt dürfte der 7. September werden, der brasilianische Unabhängigkeitstag. Die Feierlichkeiten dafür eignete sich Bolsonaro bereits an, er rief seine Anhänger dazu auf, die Straßen an dem Tag zu fluten. Auch im vergangenen Jahr zelebrierte er am Nationalfeiertag die Einheit von Präsident und Land. Nur Gott könne ihn von der Macht entfernen, so Bolsonaro damals.