Demonstranten in in Washington
AP/J. Scott Applewhite
Zwischenwahlen in USA

Abtreibungsrecht als Joker für Demokraten

Seit der Supreme Court das Recht auf Abtreibung im Juni gekippt hat, ist das Abtreibungsverbot zu einem der umkämpftesten gesellschaftspolitischen Themen in den USA avanciert. Während die Demokraten darauf setzen, die Wut der Bevölkerung in Stimmen für die Zwischenwahlen im November umwandeln zu können, ringen die Republikaner nach einem überraschenden Referendum in Kansas um eine gemeinsame Strategie in der Abtreibungsfrage.

Der Supreme Court hatte am 24. Juni das Grundsatzurteil „Roe v. Wade“ aus dem Jahr 1973 aufgehoben, das ein landesweites Grundrecht auf Abtreibungen verankert hatte. Die Entscheidung sorgte für ein politisches Erdbeben und gilt als historische Zäsur: Weil es kein Bundesgesetz zu Abtreibungen gibt, können Bundesstaaten seither Schwangerschaftsabbrüche weitgehend oder komplett verbieten.

In der Folge haben zahlreiche konservativ regierte Bundesstaaten damit begonnen, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen drastisch einzuschränken. Diverse restriktive Maßnahmen gelten etwa in Alabama, Georgia, Kentucky, Arizona und Florida. Indiana hat als erster US-Bundesstaat seit dem Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs eine umfassende Einschränkung des Zugangs zu Abtreibungen beschlossen.

Zugang zu Abtreibung in US-Bundesstaaten (Stand August 2022) und Ergebnisse der Präsidentschaftswahl 2020. Mehr Informationen per Klick, wechseln zwischen den beiden Karten über die Auswahl rechts oben möglich

Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, bezeichnete das Vorgehen in Indiana als „verheerenden Schritt“, der Folge der „extremen Entscheidung“ des Obersten Gerichtshofs sei. Das US-Justizministerium reichte bereits Klage gegen den Staat Idaho ein, der Abtreibungen sogar in medizinischen Notfällen verbieten will.

Referendum in Kansas mit überraschendem Ausgang

In dem US-Bundesstaat Kansas haben die Wählerinnen und Wähler bei einem Referendum hingegen mit 59 zu 41 Prozent eindeutig für eine Bewahrung des Rechts auf Abtreibungen gestimmt, was als überraschende Niederlage für die Konservativen gilt. Denn der Staat unterstützt traditionell die Republikaner – und das Referendum wird von beiden Lagern als „erster entscheidender Stimmungstest“ für die anstehenden Zwischenwahlen im November gesehen, in denen die Mehrheitsverhältnisse im US-Kongress neu definiert werden könnten, so CNBC.

Der Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, und andere führende Demokraten sagten, dass eine unerwartet starke Abstimmung zur Aufrechterhaltung des Rechts auf Abtreibung im „roten“ Kansas ihrer Partei vor den Zwischenwahlen im Herbst Auftrieb gegenüber den Republikanern gibt. „Letzte Nacht haben die Menschen in Kansas eine unmissverständliche Botschaft an die republikanischen MAGA-Extremisten (Make America Great Again, Anm.) gesendet: Lasst die Grundrechte der Frauen in Ruhe“, sagte Schumer.

Menschen in einer Schlange vor einem Wahllokal
AP/The Wichita Eagle/Travis Heying
Mit einer überwältigenden Mehrheit verlangten die Menschen in Kansas nach einer Beibehaltung des Rechts auf Abtreibung

„Als erster Staat, der nach dem Fall von ‚Roe v. Wade‘ über Abtreibungsrechte abstimmt, ist Kansas ein Modell für einen Weg zur Wiederherstellung reproduktiver Rechte im ganzen Land durch direkte Demokratie“, sagte Alexis McGill Johnson, Präsidentin des Planned Parenthood Action Fund, gegenüber CNN. „Wir wissen, dass Kansas nicht unser letzter Kampf und auch nicht unser letzter Sieg sein wird.“

Neuer Fokus für Wahlkampagnen der Demokraten

Das Ergebnis in Kansas ist zwar nur auf einen Bundesstaat beschränkt, die Folgen für die Herangehensweisen an den bundesweiten Wahlkampf sind jedoch weitreichend. So sehen sich die Demokraten einmal mehr darin bestärkt, ihre Wahlkampagnen weiterhin als notwendigen Beitrag eines „größeren Kampfes zur Wiederherstellung der Abtreibungsrechte und zur Verhinderung des Abbaus anderer Freiheiten“ zu inszenieren, wie die „Washington Post“ schrieb.

Das bestätigen auch die aktuellen Werbeausgaben. Seit der Oberste Gerichtshof das Urteil „Roe v. Wade“ gekippt hat, haben die Demokraten laut „New York Times“ („NYT“) mit 31,9 Millionen Dollar (31,6 Mio. Euro) im Vergleich zu 4,2 Millionen Dollar fast achtmal so viel für Anzeigen zum Thema Abtreibung ausgegeben wie die Republikaner – die Ausgaben für das Referendum in Kansas exklusive. Unter anderem in Alaska, Iowa und Virginia würden beinahe täglich neue Anzeigen der Demokraten zum Thema Abtreibung auftauchen – in der Hoffnung, neben der eigenen Parteibasis auch unabhängige Wähler und republikanische Frauen anzusprechen.

„Selten wurde den Demokraten ein Thema auf dem Silbertablett serviert, das so eindeutig ist“, sagte Anna Greenberg, eine Meinungsforscherin der Demokraten, gegenüber der „NYT“. „Es hat eine Wahl, bei der es hauptsächlich um Inflation und Einwanderung gehen sollte, auch zu einer Wahl zum Thema Abtreibung gemacht.“

Strategie der Republikaner uneinheitlich

Während die Demokraten geeint versuchen, Wählerinnen und Wähler mit der Sorge vor weiteren Beschneidungen der Freiheitsrechte für sich zu gewinnen, zeigen sich die Republikaner bei der Instrumentalisierung der Abtreibungsdebatte für den Wahlkampf gespalten. So sagte etwa Matt Gorman, ein republikanischer Stratege, der 2018 einer der Sprecher des National Republican Campaign Committee war, gegenüber CNN, die Demokraten müssten mit Forderungen nach keinen Einschränkungen bei den Abtreibungsverboten unter Druck gesetzt werden.

Andere Republikaner, die den Ausgang des Referendums in Kansas als Warnsignal deuten, versuchen jedoch, den Fokus der Kampagne etwa auf die steigende Inflation zu lenken. „Ich denke, unsere republikanischen Kandidaten werden sich weiterhin auf die Themen konzentrieren, die den Wählern am wichtigsten sind, und jede Umfrage zeigt, dass das die steigenden Kosten und die Wirtschaft sind“, zitiert CNN einen republikanischer Mitarbeiter, der an den Wahlen zum Repräsentantenhaus mitwirkt.

Demonstranten vor dem Nebraska State Capitol
AP/Lincoln Journal Star/Kenneth Ferriera
In Nebraska gehen Frauen für das Recht auf Abtreibung auf die Straße

Andere Republikaner nutzen die Abtreibungsdebatte hingegen, um populistische Versprechungen zu machen. So hat der republikanische Senatskandidat in Ohio, J. D. Vance, in einer Erklärung betont, die Entscheidung markiere eine „neue Phase“ in der Antiabtreibungsbewegung, in der die Erleichterung der finanziellen Belastung bei der Gründung einer Familie in den Vordergrund rückt. „Wir werden den Kampf fortsetzen, um sicherzustellen, dass jede junge Mutter die Mittel hat, die sie braucht, um neues Leben in die Welt zu bringen“, sagte Vance.

Vieles steht bei Zwischenwahlen auf dem Spiel

Tatsächlich zeigt eine neue landesweite Umfrage der Monmouth University, dass die Unterstützung für die Demokraten bei einer allgemeinen Wahl seit Juni, als der Oberste Gerichtshof „Roe v. Wade“ aufhob, deutlich zugenommen hat. Und auch Bidens umfassendes Sozial- und Klimagesetzespaket, rückläufige Benzinpreise und erste Anzeichen für ein Verlangsamen der Inflation stimmen die Demokraten zuversichtlicher, was ihre Aussichten bei den Zwischenwahlen und die Verteidigung knapper Mehrheitsverhältnisse angeht, so die „NYT“.

Die Mehrheiten der Demokraten im Kongress gelten laut „Politico“-Analysen jedoch als äußerst wackelig, und die Republikaner sind aufgrund der traditionellen Verluste der regierenden Partei bei den Zwischenwahlen gut aufgestellt, um im Herbst die Kontrolle über das Repräsentantenhaus und möglicherweise auch über den Senat zurückzuerobern – was einen Großteil von Bidens legislativer Agenda für die zweite Hälfte seiner vierjährigen Amtszeit vereiteln würde.