Tote Fische werden aus dem Fluss Oder geborgen
Reuters/Annegret Hilse
Massenhaftes Fischsterben

Giftige Algenart in der Oder gefunden

Das massenhafte Fischsterben in der Oder an der deutsch-polnischen Grenze könnte auf eine giftige Algenart zurückgehen – erste Hinweise darauf wurden nun in Wasserproben entdeckt. Die Ursache für die Algenblüte stehe noch nicht fest. Seit Tagen beunruhigt die Umweltkatastrophe die Menschen, die in Polen und Deutschland an dem Fluss leben.

„Das Institut für Binnenfischerei in Olsztyn hat nach weiteren Untersuchungen seltene Mikroorganismen, sogenannte Goldalgen, in Wasserproben aus der Oder gefunden“, sagte die polnische Umweltministerin Anna Moskwa am Donnerstag. Die Blüte dieser Algen könne das Auftreten von Toxinen verursachen, die Wasserorganismen wie Fische und Muscheln töten. Für Menschen seien sie nicht schädlich.

Auf deutscher Seite war kürzlich die giftige Algenart Prymnesium parvum in der Oder identifiziert worden. Prymnesium parvum wird gelegentlich auch Goldalge genannt, das ist aber kein biologischer Begriff. Mehrere Arten werden so bezeichnet, weil sie golden schimmern.

Wichtige Informationen fehlen

Weder vom Institut für Binnenfischerei in Olsztyn noch vom polnischen Umweltministerium war zunächst in Erfahrung zu bringen, wie der lateinische Name für die von Ministerin Moskwa genannte Goldalge lautet und ob es sich um die gleiche Algenart handelt, die in Deutschland entdeckt wurde. Moskwa sagte, zusätzliche Untersuchungen hätten bestätigt, dass in der Oder eine Goldalgenblüte aufgetreten sei. Die Ursache für die Algenblüte werde noch untersucht.

Tote Fische werden aus dem Fluss Oder geborgen
Reuters/Annegret Hilse
Tote Fische werden massenhaft aus der Oder geborgen

Ein deutscher Experte sah am Donnerstag die starke Vermehrung bestimmter Algen als entscheidenden Faktor. „Für mich stellt sich das relativ plausibel so dar, dass es zu dieser massiven Vermehrung von Algen gekommen ist – und im Zusammenhang ist die Abgabe von toxischen, von diesen Algen produzierten Substanzen gut dokumentiert“, sagte Jörg Oehlmann, Leiter der Abteilung Aquatische Ökotoxikologie an der Goethe-Universität Frankfurt.

„Von diesen Toxinen wissen wir auch, dass sie schon bei recht niedrigen Konzentrationen derartiges Fischsterben verursachen können.“ Ob das letztlich Blaualgen seien oder etwa die zuletzt in der Oder identifizierte giftige Algenart Prymnesium parvum, bleibe aber zu klären. Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei hatte mitgeteilt, diese Mikroalge sei in der Oder massenhaft nachgewiesen worden.

Hohe Temperaturen oder Substanzen

Das Phänomen des massenhaften Algenwachstums ist Oehlmann zufolge entweder auf die hohen Temperaturen und die starke Sonneneinstrahlung oder die menschengemachte Einführung bestimmter Substanzen zurückzuführen. „Wenn Phosphat eingeleitet wird, dann würde das sehr schön erklären, warum es dann plötzlich zu dieser massiven Vermehrung kommt“, führte Oehlmann mit Blick auf das nachgewiesene rapide Algenwachstum in kürzester Zeit aus.

Eindeutige Belege für eine singuläre Ursache hätten die Untersuchungen bisher nicht ergeben. Die Analyse der Stoffe in der Oder sei nun eine wahre Sisyphusarbeit, da etwa 350.000 Substanzen potenziell in einer Wasserprobe vorhanden sein könnten – und auch eine ausführliche Diagnostik nie alle abdecke. „Es kann Wochen dauern, bis man die dahintersteckende Substanz auch wirklich identifiziert hat und beim Namen nennen kann“, sagte Oehlmann.

Der Ökotoxikologe stellte auch klar, dass die toxischen, vermeintlich von den Algen ausgehenden Wirkungen in der Oder nicht nur Wirbeltiere wie Fische, sondern auch wirbellose Organismen beträfen. „Wir haben es sicherlich nicht nur mit einem Sterben der Fische, sondern auch von Tieren wie Schnecken, Muscheln oder Krebsen zu tun.“ Pflanzliche Organismen hingegen würden von diesen Algentoxinen eher nicht oder nur in deutlich geringerem Maße in Mitleidenschaft gezogen.

Vorsicht geboten

Für Menschen gelte weiterhin Vorsicht im Umfeld der betroffenen Gewässer – Oehlmann warnte wie viele weitere Experten strikt vorm Betreten. Eine akute Gefahr sieht er aber ganz konkret dann, wenn kontaminierte Lebensmittel verzehrt werden. „Aber auf die Idee, jetzt irgendwelche Organismen aus der Oder zu verzehren, dürfte hoffentlich gerade niemand kommen.“

Problematisch sei zudem, dass viele der toten Fische nicht aus dem Fluss geborgen werden könnten – denn die sich zersetzenden Kadaver führten zu einem erhöhten Ammoniakgehalt im Wasser, der wiederum giftig sei. „Meine Befürchtung ist einfach, dass die ökologischen Folgen dieses Fischsterbens in der Breite und auch in der Dauer der Zeit noch gar nicht richtig seriös abzuschätzen sind.“

EU drängt auf Ergebnisse

Die EU-Kommission drängte auf Ergebnisse. „Es ist höchst wichtig und dringend, die Ursache zu ermitteln und die geeigneten Maßnahmen flussabwärts zu ergreifen“, sagte ein Sprecher der Brüsseler Behörde. „Je eher wir die Ursache dieser ökologischen Katastrophe ermitteln können, desto eher können wir damit beginnen, die weiteren Folgen für die Natur, die Fischerei, die Landwirtschaft und die Freizeitgestaltung zu bewältigen und zu begrenzen.“

Auswirkungen auf Tourismus

Die Auswirkungen des Fischsterbens bekommen zunehmend Tourismusbetriebe in Mecklenburg-Vorpommern zu spüren. „Die Hochsaison ist abrupt abgebrochen“, sagte Elke Schmidt vom Campingpark Oderhaff bei Grambin. Auch in direkt vom Fischsterben betroffenen Regionen in Brandenburg gibt es nach Angaben des Tourismusverbandes Seenland Oder-Spree weniger Urlauberinnen und Urlauber.