Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und UNO-Generalsekretär Antonio Guterres
AP/Evgeniy Maloletka
Nach Dreiergipfel

Warnungen und Appelle zu besetztem AKW

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan und UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sind am Donnerstag zu einem Gipfeltreffen im westukrainischen Lwiw zusammengekommen. Im Mittelpunkt der Gespräche stand einmal mehr das von russischen Truppen besetzte AKW Saporischschja. Während Erdogan vor einem „weiteren Tschernobyl“ warnte und Guterres auf eine Entmilitarisierung pochte, beschuldigten Russland und die Ukraine einander, neue Anschläge zu planen.

Guterres und Erdogan warnten angesichts des Beschusses des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja vor einer nuklearen Katastrophe: „Wir sind besorgt. Wir wollen kein weiteres Tschernobyl“, sagte Erdogan. Er bezog sich damit auf das Reaktorunglück im Jahr 1986.

Guterres sagte in Lwiw, er sei „sehr besorgt“ wegen der Situation am größten AKW Europas. Er forderte, wie auch Selenskyj, erneut eine Entmilitarisierung des Kraftwerks. „Jede mögliche Beschädigung“ des AKW Saporischschja wäre „Selbstmord“, warnte Guterres. Die Anlage dürfe nicht im Rahmen militärischer Operationen genutzt werden, sagte er.

Ukraine: Dreiergipfel in Lwiw

In der westukrainischen Stadt Lwiw sind der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, sein türkischer Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan und UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zu einem Dreiergipfel zusammengetroffen. Im Mittelpunkt der Beratungen standen die Getreideexporte und die Situation um das Atomkraftwerk Saporischschja.

„Beabsichtigter Terror“

„Stattdessen ist dringend eine Einigung erforderlich, um Saporischschja als rein zivile Infrastruktur wiederherzustellen und die Sicherheit des Gebiets zu gewährleisten.“ Seitens Selenskyjs hieß es: „Dieser beabsichtigte Terror seitens des (russischen, Anm.) Aggressors kann global katastrophale Konsequenzen haben.“ Er sehe keine „objektiven Hindernisse“ für die Spezialisten der Internationalen Atomenergiebehörde, zum Kraftwerk zu gelangen, sagte Selenskyj am Abend.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und UNO-Generalsekretär Antonio Guterres
Reuters/Gleb Garanich
Erdogan, Selenskyj und Guterres zeigten sich angesichts des besetzten AKW besorgt

Die Reise werde „sehr schnell und insgesamt sicher auf legalem Weg durch das freie Territorium unseres Staates zur Station“ führen. „Und das ist der einzige Weg“, sagte Selenskyj. Wer wie Russland nukleare Erpressung organisiere, könne nicht Organisator der Reise sein. Russische Truppen müssten das größte AKW Europas sofort und bedingungslos räumen, forderte Selenskyj erneut. „Die Welt hat die Macht, das durchzusetzen.“ Sonst könne man alle internationalen Rechtsakte zur Atom- und Strahlensicherheit vergessen. „Russland zerstört diese internationale Ordnung.“

Gegenseitige Beschuldigungen

Der wiederholte Beschuss des AKW Saporischschja im Süden der Ukraine schürt seit Tagen die Furcht vor einem nuklearen Zwischenfall. Russische Einheiten eroberten das südukrainische Atomkraftwerk bereits Anfang März. Es ist das größte AKW in Europa. Kiew und Moskau werfen einander den Beschuss des Kraftwerksgeländes vor.

Am Donnerstag warnte der Militärgeheimdienst der Ukraine vor einem möglichen russischen Sabotageakt. Es sei zu befürchten, dass russische Kräfte nach ihrem Beschuss auf das AKW nun „den Einsatz erhöhen“ und einen Terroranschlag begehen wollten, hieß es in der Mitteilung. Details wurden nicht genannt; überprüfbar sind die ukrainischen Angaben nicht.

Der ukrainische Militärgeheimdienst erwiderte damit spiegelbildlich eine russische Warnung, wonach die ukrainische Seite für Freitag eine Provokation in dem AKW plane. Das russische Außenministerium warf Kiew vor, eine „Provokation“ vorzubereiten, um Moskau anschließend die „Schaffung einer menschengemachten Katastrophe“ vorwerfen zu können. Das Ministerium warnte gleichzeitig, dass bei einem AKW-Unfall auch große Teile Europas betroffen sein könnten. Russland teilte weiters mit, dass Back-up-Systeme des AKW beschädigt seien. Das AKW könnte abgeschaltet werden, sollte angeblicher ukrainischer Beschuss anhalten.

das Atomkraftwerk Saporischschja
APA/AFP/Ed Jones
Eine Eskalation im Fall des AKW könnte katastrophale Konsequenzen weit über die Grenzen der Ukraine hinaus haben

Russland lehnt Vorschläge zur Demilitarisierung ab

Russland lehnte die Vorschläge der Vereinten Nationen für eine Entmilitarisierung der Zone um das besetzte Atomkraftwerk bisher ab. Das sei inakzeptabel, weil dadurch die Anlage noch anfälliger werde für Angriffe, sagte ein Sprecher des russischen Außenministeriums am Donnerstag.

Russland erwarte vielmehr, dass schon in „unmittelbarer Kürze“ Expertinnen und Experten der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) das AKW besichtigen werden. Eine solche Mission ist seit Langem geplant. Moskau hat immer wieder erklärt, dass sich die IAEA davon überzeugen könne, dass Russland lediglich für die Sicherheit des größten Kernkraftwerks in Europa sorge.

AKW: UNO-Warnung vor nuklearer Katastrophe

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres hat angesichts des Beschusses des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja vor einer nuklearen Katastrophe gewarnt. Guterres zeigte sich nach einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und dessen ukrainischem Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj in Lwiw „sehr besorgt“ wegen der Situation am größten AKW Europas. Er forderte erneut eine Entmilitarisierung des Kraftwerks.

Erdogan glaubt an Kriegsende „am Verhandlungstisch“

Erdogan kündigte nach dem Gipfel zudem an, die Türkei werde ihre „Anstrengungen für eine Lösung“ des Konflikts fortsetzen. Die Türkei bleibe „an der Seite unserer ukrainischen Freunde“, betonte er. Der türkische Staatschef hat sich selbst im Ukraine-Konflikt eine Vermittlerrolle zugewiesen. So vermittelte seine Regierung zusammen mit der UNO im Juli die Vereinbarungen zur Wiederaufnahme des Getreideexports aus ukrainischen Häfen.

Analyse zum Dreiergipfel in Lwiw

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan setzt weiter auf eine diplomatische Lösung für den Krieg in der Ukraine. In der ZIB2 analysieren die ORF-Korrespondenten Christian Wehrschütz (Ukraine) und Paul Krisai (Russland).

Erdogan setzt weiter auf eine diplomatische Lösung für den Krieg in der Ukraine. „Ich glaube weiter daran, dass der Krieg irgendwann am Verhandlungstisch enden wird. Tatsächlich sehen auch Herr Selenskyj und Herr Guterres das so“, sagte Erdogan laut dem türkischen Präsidialpalast.

Das Treffen in Lwiw war für die Vereinten Nationen und die Türkei eine Möglichkeit, knapp ein halbes Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine den Einstieg in eine Verhandlungslösung mit der Ukraine auszuloten. UNO-Kreise halten Gespräche der Kriegsparteien über eine Waffenruhe nur dann für möglich, wenn Russland und die Ukraine keine Geländegewinne mehr erzielen können und vom Ziel eines Sieges Abstand nehmen. Die Ukraine will aber verlorene Gebiete zurückerobern, auch um Landsleute nicht in der Willkür der russischen Besatzer zu lassen.