Tote Fische werden aus der Oder an der deutsch-polnischen Grenze geborgen
Reuters/Annegret Hilse
Fischsterben als Politikum

Polen wettert gegen Deutschland

Rund 200 Tonnen tote Fische sind bisher aus der Oder geborgen worden – die Ursache für das Fischsterben ist weiter unklar. Das deutsch-polnische Verhältnis stellte die Umweltkatastrophe zuletzt jedenfalls auf die Probe. Am Wochenende wurden erneut Verstimmungen deutlich: In Deutschland würden Falschmeldungen verbreitet, kritisierte die polnische Umweltministerin Anna Moskwa im Zusammenhang mit einem Untersuchungsergebnis aus Brandenburg.

Der Grund für die scharfen Töne aus Polen? Deutsche Behörden machten am Samstag publik, dass sie bei der Suche nach möglichen Ursachen auch auf überhöhte Pestizidwerte stießen. Bei Proben, die an der Messstelle Frankfurt (Oder) in der Zeit vom 7. bis 9. August entnommen wurden, seien hohe Konzentrationen eines Pestizids mit dem Wirkstoff 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure gefunden worden, teilte Brandenburgs Umweltministerium mit.

Es sei aber davon auszugehen, dass die nachgewiesene Dosis nicht unmittelbar tödlich für Fische gewesen sei. Der Wirkstoff wird etwa zur Bekämpfung von Unkraut eingesetzt. Der „Tagesspiegel“ hatte zuerst darüber berichtet.

Das Brandenburger Ministerium ging weiter davon aus, dass die Umweltkatastrophe mehrere Ursachen hat. Die überhöhte Konzentration des Pestizids über mehrere Tage habe sicherlich Auswirkungen auf Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen gehabt. Möglicherweise sei das Herbizid am Oberlauf der Oder in noch höheren Konzentrationen vorhanden und am Messpunkt Frankfurt (Oder) bereits stark verdünnt gewesen, hieß es.

Polnischer Kriminalermittler fotografiert tote Fische in der Oder bei Krajnik Dolny, Polen
APA/AFP/Marcin Bielecki
Rund 200 Tonnen tote Fische wurden bisher von Helferinnen und Helfern geborgen

„Ungerechtfertigter Angriff auf die Landwirtschaft“

Die polnische Regierung reagierte auf die Thesen entrüstet und sprach von Falschmeldungen aus Deutschland. „Achtung, eine weitere ‚Fake News‘ wird in Deutschland verbreitet!!! Pestizide und Herbizide. In Polen wurde der Stoff getestet und unterhalb der Bestimmungsgrenze nachgewiesen, d. h. ohne Auswirkungen auf Fische oder andere Tiere und ohne Verbindung zum Fischsterben“, schrieb Umweltministerin Moskwa am Samstagabend auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

Die Substanzen seien in Fischen nicht entdeckt worden, so Moskwa in einem weiteren Tweet: „Ein ungerechtfertigter Angriff auf die Landwirtschaft. Erst die Industrie, jetzt die Landwirtschaft? Was kommt als Nächstes?“ Polens nationalkonservative PiS-Regierung steht derzeit unter Druck, weil polnische Behörden nur zögerlich auf erste Hinweise zu dem Fischsterben reagiert hatten.

Deutschland kritisiert zögerliches Verhalten Polens

In Deutschland wurde bemängelt, dass polnische Behörden die international vereinbarten Informationsketten nicht eingehalten hätten. Vertreter der PiS reagierten darauf wiederholt mit antideutschen Tönen und mit Attacken gegen die polnische Opposition. Dieser unterstellen sie, das deutsche Narrativ über mögliche Ursachen der Umweltkatastrophe willig zu übernehmen.

Tatsache ist, dass in den letzten Wochen unzählige Tonnen toter Fische in Polen und Deutschland eingesammelt wurden: Die polnische Feuerwehr bezifferte die Menge am Samstag mit 158 Tonnen. Im deutschen Brandenburg waren es nach einer früheren Mitteilung des Umweltministeriums mindestens 36 Tonnen. In Polen wurden nach Angaben des Innenministeriums in Warschau zur Bergung der Kadaver mehr als 3.000 Feuerwehrleute, mehr als 2.000 Polizisten sowie 1.300 Soldaten eingesetzt.

Hoffnungsschimmer: Lebende Fische gesichtet

Etwas Hoffnung machte derweil eine Äußerung des Gebietschefs der Woiwodschaft Westpommern, Zbiegniew Bogucki. Demzufolge seien wieder lebende Fische zu sehen. „Dort, wo wir vor ein paar Tagen tonnenweise tote Fische geborgen haben, sind jetzt lebende Fische aufgetaucht“, schrieb Bogucki am Samstag auf Twitter.

Aufgrund von Sauerstoffmangel im Wasser seien aber viele Fische kurz vor dem Ersticken und würden nahe der Oberfläche schwimmen. Dazu postete der Politiker ein Video, in dem das zu sehen war. Er habe sich an die örtliche Feuerwehr gewandt, damit diese versuche, das Wasser mit Pumpen zu belüften, schrieb Bogucki in einem weiteren Tweet.

In der zu Westpommern gehörenden Hafenstadt Stettin installierte die Feuerwehr am Sonntag an drei an einem Arm der Oder gelegenen Stellen Pumpen, um das Wasser zu belüften. Der Sauerstoffgehalt der Oder falle weiterhin, begründete ein Sprecher der Woiwodschaft Westpommern die Maßnahme. In der weiter südlich gelegenen Woiwodschaft Lebus wurden am Sonntag nach Angaben der Feuerwehr keine verendeten Fische mehr gefunden.

Giftige Algenart als Faktor?

Das massenhafte Fischsterben im Grenzfluss Oder war auf deutscher Seite am 9. August bekanntgeworden. Die Suche nach der Ursache gestaltet sich schwierig. Wissenschaftlern zufolge könnte eine giftige Algenart ein Faktor für das Fischsterben sein. Darüber hinaus werden verschiedene andere Stoffe untersucht.

Mecklenburg-Vorpommern hatte am Freitag mitgeteilt, dass bei Untersuchungen von Proben im deutschen Teil des Stettiner Haffs, in das die Oder mündet, keine Auffälligkeiten festgestellt worden seien.

WWF: Rückschlag für Wiederansiedlung des Störs

Unterdessen erlitt durch die Ökokatastrophe in der Oder die Wiederansiedlung des Störs nach Angaben von Umweltschützern einen Rückschlag. Neben ungezählten anderen Fischen seien durch die Giftwelle in der Oder in einer Aufzuchtanlage des Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei auch 20.000 junge Störe verendet, wie der WWF am Sonntag in Berlin berichtete. Zudem gebe es Berichte über Totfunde von deutlich größeren Stören in dem Fluss.

„Die toten Jungstöre sind nur ein kleiner Teil des Umweltdramas“, sagte Finn Viehberg vom WWF Deutschland. Sie versinnbildlichten aber, „wie menschliche Achtlosigkeit zum Verlust von Natur und Artenvielfalt führt“.