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ORF.at/Christian Öser
„Nicht oberste Priorität“

Klimaschutzgesetz in der Sackgasse

Mit Dienstag wird Österreich seit 600 Tagen kein Klimaschutzgesetz mehr haben. Dieses soll regeln, wie viel CO2 jährlich eingespart werden muss, und den betroffenen Sektoren wie Verkehr, Industrie und Landwirtschaft konkrete und verbindliche Ziele vorgeben. Allerdings lief das Gesetz 2020 aus – und seither gibt es keine große Bewegung bei der Schaffung eines Nachfolgegesetzes. Auch Monate nach dem Verhandlungsstart ist laut den Klimaschutzsprechern von ÖVP und Grünen keine Einigung in Sicht.

Derzeit gibt es in den Verhandlungen keine Bewegung – eine Übereinkunft sei unwahrscheinlich, bestätigten die Klimaschutzsprecher der Regierungsparteien am Montag im Ö1-Morgenjournal. Von der ÖVP komme sehr wenig, kritisierte der grüne Klimaschutzsprecher Lukas Hammer. Aktuelle Krisen würden als Rechtfertigung dafür hergenommen, das Klimaschutzgesetz vor sich herzuschieben. Dabei sehe man derzeit, „dass wir Klimaschutz endlich so ernst nehmen müssen, wie es die Wissenschaft sagt“, so Hammer.

Dass es keine Fortschritte gibt, bestätigte auch sein ÖVP-Gegenüber Johannes Schmuckenschlager: Das Klimaschutzgesetz sei „ein Grundgeräusch, aber nicht das Allerwesentlichste“ und auch „nicht die oberste Priorität“. Man wolle die Rahmenbedingungen mit anderen Gesetzen schaffen, etwa dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz über den Ausbau von Energie aus erneuerbaren Quellen und einer rascheren Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP).

ÖVP gegen Verbindlichkeit und Sanktionen

Beim eigentlichen Klimaschutzgesetz spieße es sich vor allem an der Verbindlichkeit. Die Grünen wollen die Klimaschutzziele in der Verfassung verankern und Strafzahlungen – auch für Bund und Länder – beschließen. Der ÖVP geht das zu weit, sie will ein Klimaschutzgesetz mit wirtschaftsfreundlichen Maßnahmen. „Dass wir auf der Seite der Wirtschaft stehen, das war immer so und wird immer so bleiben. Das sehe ich auch nicht als einen Fehler“, so Schmuckenschlager. Eher müsse man sich fragen: „Wie können wir auch mit der Wirtschaft diese Energiewende zusammenbringen? Weil sonst ist es nicht machbar.“

Für die Grünen ist diese Haltung ein rotes Tuch: Dass ein Klimaschutzgesetz ohne Sanktionen und Verbindlichkeit zahnlos bleibe, habe sich schon beim alten Klimaschutzgesetz gezeigt. „Ein Klimaschutzgesetz, das nicht verbindlich ist und keine Konsequenzen hat und nur für den Bund gilt, ist wirkungslos, weil es einfach ignoriert wird. Da habe ich lieber kein Klimaschutzgesetz“, so Hammer. Er glaube ohnehin nicht mehr daran, dass das ideale Gesetz beschlossen werde. Laut Schmuckenschlager wird ein Gesetz kommen – „nur wann, kann ich auch nicht sagen“.

Viele Beteuerungen, kaum Bewegung

In den vergangenen Monaten hatte es aus dem Umweltministerium von Leonore Gewessler (Grüne) wiederholt Beteuerungen gegeben, dass „mit Hochdruck“ an dem Klimaschutzgesetz gearbeitet werde, die Gespräche seien „weit fortgeschritten“, der Entwurf werde „zeitnah in Begutachtung gehen“. Zuletzt gestand aber auch Grünen-Chef Werner Kogler im ORF-„Sommergespräch“ ein, dass es „Widerstand“ gegen das im Regierungsprogramm festgelegte Vorhaben gebe.

Bremser gibt es viele, darunter die Industriellenvereinigung (IV), die Wirtschafts- und auch die Arbeiterkammer. Die Verhandlungen dürften angesichts der Energiekrise und der Teuerungen nicht einfacher geworden sein.

Letzter Entwurf aus April 2021

Zuletzt war im Frühjahr des vergangenen Jahres ein Entwurf für das neue Gesetz durchgesickert, mit dem Österreich seine EU-Klimaziele endlich erreichen sollte. Festlegen wollte man darin, die Republik bis 2040 klimaneutral zu gestalten, mit Emissionshöchstwerten für jedes Jahr.

Bis 2030 sollte der Nettoausstoß halbiert werden, zehn Jahre später wollte man bei netto null ankommen. Es geht um Sektoren wie Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude, Abfall, aber auch Teile der Energieerzeugung, die nicht unter das EU-Emissionshandelssystem fallen. Zudem standen „Klimachecks“ für neue Gesetze, die Einrichtung eines Klimakabinetts und eines wissenschaftlichen Beirats in dem Entwurf. Weiters wurde die Verankerung der Ziele in Verfassungsrang angedacht.

Der Entwurf hätte beim Verfehlen der Klimaziele vor allem auch eine automatische Erhöhung der Steuern auf Benzin, Erdgas und Diesel vorgesehen. Unmittelbare und heftige Kritik daran kam aus der Opposition, der Arbeiter- und Wirtschaftskammer und von Autofahrerclubs. Eine geplante Verankerung in der Verfassung wurde von der Wirtschaftskammer vehement abgelehnt, da diese den politischen Spielraum verengen würde. Auch die IV nannte das „eine rote Linie“.

Emissionen gehen nach oben

Vermelden musste die Regierung zuletzt jedenfalls, dass die Treibhausgasemissionen in Österreich nach einer „Pandemiepause“ wieder nach oben gehen. Laut vorläufigen Berechnungen des Umweltbundesamtes gab es hierzulande 2021 einen Anstieg der Emissionen um rund 4,8 Prozent.

Nach den vorläufigen Zahlen wurden im Vorjahr 77,1 Millionen Tonnen Treibhausgase emittiert. Seit 2015 gibt es – mit Ausnahme von 2020 – einen kontinuierlichen Anstieg der Emissionen. Diesen führt die Regierung vor allem auf die gute Konjunktur, aber auch die fehlende Umsetzung neuer, wirksamer Klimaschutzmaßnahmen zurück.

Opposition mit Kritik

SPÖ-Umwelt- und -Klimasprecherin Julia Herr reagierte mit scharfer Kritik auf die Untätigkeit der Regierung. „Die österreichische Bundesregierung tut so, als ob es keine Klimakrise gäbe, während das halbe Land im Hochwasser versinkt. Leidtragende unter dieser vollkommenen Selbstaufgabe der Bundesregierung ist dabei die Bevölkerung, die mit Hitze, Dürre, Starkwetterereignissen und horrenden Kosten alleingelassen wird.“

Auch NEOS zeigte sich empört. „Dass ÖVP und Grüne es seit 600 Tagen nicht zustande gebracht haben, sich auf ein Klimaschutzgesetz zu einigen, ist schlicht inakzeptabel. Landauf, landab führen uns Extremwetterereignisse derzeit fast täglich vor Augen, wie wichtig es ist, dass wir beim Klimaschutz endlich Meter machen – und zwar ordentlich. Die Klimakrise ist jetzt da, die Regierung muss jetzt aufwachen und endlich echte und nachhaltige Maßnahmen umsetzen“, verlangte NEOS-Klima- und -Umweltsprecher Michael Bernhard.

„Scheinklimapolitik“

Kritik kommt aber auch von Fachleuten. Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur in Wien, sprach im Ö1-Mittagsjournal am Montag von einer „Scheinklimapolitik“. „Das Klimaschutzgesetz ist ein ganz zentraler Bestandteil einer Klimapolitik, die ihre eigenen Ziele Ernst nimmt“, so Steurer. Wenn man sage, das Klimaschutzgesetz habe keine oberste Priorität, dann könnte man genauso gut sagen, dass Klimaschutz nicht die oberste Priorität habe.

„Jetzt könnte man sagen, angesichts der Gaskrise ist auch das nachvollziehbar. Wir haben ja tatsächlich andere Krisen, die sehr drängend sind, nur darüber sieht man, dass diese beiden Krisen zusammenhängen“, so Steurer. Es brauche verbindliche Ziele und Strafen beim Verfehlen dieser Vorgaben, denn ohne Konsequenzen gebe es einfach zu wenig Anreiz, das Notwendige zu tun, so Steurer. Die Regierung würde derzeit eine „Scheinklimapolitik“ betreiben. Andere Gesetze könnten das Klimaschutzgesetz auch nicht ersetzen.