Logos verschiedener Streamingdienstanbieter auf einem Smartphone
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Netflix unter Druck

Streamingwettstreit mit vielen Verlierern

Netflix entwickelte sich vom DVD-Verleih im Netz zum Maß aller Dinge im Streaminggeschäft. An seinem 25. Geburtstag am 29. August steht der On-Demand-Pionier aber unter Druck wie selten zuvor: Im ersten Halbjahr verlor er mehr als eine Million Abos und zittert aktuell um seinen Marktführeranspruch. Wie umkämpft der Streamingmarkt aktuell ist, merken aber auch andere Mitstreiter – und nicht zuletzt die Abonnenten.

Auch wenn es heute so aussieht, als bräuchte man einen Leitfaden, um sich inmitten der zahlreichen Streamingdienste noch zurechtzufinden, wurde die Idee ursprünglich geboren, um das Erlebnis des Zuschauers zu verbessern, erinnert die Unterhaltungswebsite Screenrant. In der Ära der Blockbuster-Filmverleihe und des Kabelfernsehens ist Netflix 1997 auf der Bildfläche erschienen und hat Mitte der 2000er Jahre als Pionier der On-Demand-Videos erstmals Fernsehsendungen und Filme auf Abruf und nach Bedarf angeboten.

Mit Serien wie „House of Cards“ prägte das kalifornische Unternehmen den Begriff „Binge Watching“ und behauptete sich über Jahre hinweg als unangefochtener Platzhirsch inmitten des Streamingneulands. Doch nachdem der Beginn der Pandemie noch einen Abonnentenansturm gebracht hatte, sorgte Netflix im ersten Halbjahr 2022 erstmals mit groben Verlusten für negative Schlagzeilen.

Netflix Briefe mit DVD’s in einem Postkasten
Reuters/Mike Blake
Da VHS-Kassetten zu teuer und empfindlich waren, entschieden sich die Netflix-Gründer Ende der 1990er für den Verleih von DVDs

Vor allem in den etablierten englischsprachigen Märkten Nordamerika und Kanada klinkten sich mit 1,3 Millionen zuletzt viele Nutzerinnen und Nutzer aus. Und nach Jahren als Börsenliebling hat Netflix mittlerweile auch an der Wall Street einen schweren Stand: Die Aktie fiel in diesem Jahr um knapp 60 Prozent – deutlich stärker als der Gesamtmarkt.

Konkurrenz macht Netflix zu schaffen

Grund für die Verluste ist vor allem der immer stärker umkämpfte und zunehmend übersättigte Streamingmarkt. Netflix fällt es zunehmend schwerer, das hohe Tempo bei der Vorstellung neuer Serien und Spielfilme aufrechtzuerhalten. Die Wettbewerber buhlen auch um frische Inhalte, was die Preise für Drehbücher und Produktionen in die Höhe treibt. Und anstatt Eigenproduktionen an Netflix zu lizenzieren, sind Unternehmen dazu übergegangen, sie auf ihren eigenen Streamingdiensten anzubieten.

So landete etwa Apple TV+ mit Eigenproduktionen wie „Ted Lasso“ Überraschungshits. Und der vor weniger als drei Jahren gestartete Rivale Disney+ gewann binnen drei Monaten – nicht zuletzt dank der „Star Wars“-Serie „Obi-Wan Kenobi“ – rund 14,4 Millionen Abos dazu und liegt nun schon bei gut 152 Millionen Nutzerkonten. Zählt man Disneys weitere Streamingdienste Hulu und den Sportdienst ESPN+ dazu, hat der Hollywood-Riese entgegen der Erwartungen von Analysten bereits fast mit Netflix gleichgezogen.

Damit stellt Disney die größte Konkurrenz inmitten der „Streaming Wars“ dar – obwohl die Zahlen nur bedingt vergleichbar sind, da Disney+ viele Nutzer mit Kombideals und Rabatten angelockt hat. Das meiste Geld für das Entertainment-Imperium kommt auch weiterhin durch das klassische Geschäft mit der TV-Kabelsparte sowie Filmstudios, Themenparks, Ferienanlagen und Kreuzfahrtschiffen. Gleichzeitig stieg der Verlust mit dem Streaminggeschäft auf gut eine Milliarde Dollar an, was der Konzern mit hohen Produktionskosten erklärte.

Netflix Briefe mit DVD’s in einem Postkasten
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2012 verkaufte „Star Wars“-Schöpfer George Lucas die Rechte für das Filmfranchise an die Walt Disney Company

Auch andere Streaminganbieter in Bredouille

Ob der Micky-Maus-Konzern sein starkes Wachstum beibehalten kann, muss sich erst zeigen. Aber auch die US-amerikanische Plattform HBO Max, die aktuell etwa mit dem „Game Of Thrones“-Spin-off „House of the Dragon“ aufwartet, strauchelt laut Screenrant. Die jüngsten Maßnahmen nach der Fusion mit Discovery+ von Warner Bros. Discovery, wie etwa die Streichung des bereits abgedrehten „Batgirl“-Films, würden gar auf ein mögliches Ende des Streamingdienstes hindeuten.

Auch andere Beobachter stuften es als höchst ungewöhnlich ein, dass ein Filmprojekt so kurz vor der Fertigstellung einfach fallen gelassen wird. „Variety“ berichtete unter Berufung auf Insider, „Batgirl“ sei womöglich nicht groß und schillernd genug für einen Kinostart gewesen – zugleich aber zu groß, um allein für eine Streamingplattform wirtschaftlichen Sinn zu ergeben.

CEO David Zaslav strich weitere Großprojekte für HBO Max mit dem Argument, er versuche nicht, den „Ausgabenkrieg“ beim Streaming zu gewinnen. Und auch Amazon, dessen Bewegtbildservice Teil des Prime-Abos ist, kämpft mit einer Identitätskrise, da die Qualität der Originalsendungen stark schwankt – und der Anbieter bei seinen Streamingabos im Gegensatz zu seiner Konkurrenz auch auf kostenpflichtige Inhalte setzt. Zuletzt verkündeten Amazon und auch Disney eine Erhöhung der Abopreise.

Zwischen Innovation und Notlösung

Während Inkonsistenz und mangelnde Fokussierung laut Screenrant das Problem der Dienste sind, setzen einige nun auf neue Finanzierungsmodelle. So möchte Netflix 2023 eine günstigere Version mit Werbeclips anbieten – eine Maßnahme, die Netflix-Chef Reed Hastings zuvor abgelehnt hatte. In den USA, England und seit Kurzem auch in Deutschland setzt Amazon bereits auf die Streamingversion Freewive ohne zusätzliche Kosten, aber mit Werbeunterbrechungen.

„Das Abowachstum dürfte von der günstigeren Version mit Werbung zunächst profitieren“, heißt es in einer Studie von Barclays. Jedoch bestehe das Risiko, dass viele Altkunden zum billigeren neuen Angebot wechseln. Indem Netflix – wie etwa kürzlich bei „Stranger Things“ und „Ozark“ – nicht mehr alle Folgen auf einmal, sondern häppchenweise veröffentlichte, möchte der Streamingdienst dem entgegenwirken.

Und da Netflix davon ausgeht, dass über die zuletzt knapp 221 Millionen regulären Abonnenten hinaus noch mehr als 100 Millionen Haushalte den Streamingdienst unbefugt mitnutzen, soll ab kommendem Jahr strikter gegen Passwort-Sharing vorgegangen werden. Warner Bros. wagte vergangenes Jahr eine gänzlich neue Maßnahme und veröffentlichte den Film „Wonder Woman 1984“ zur gleichen Zeit, als er in den von der Pandemie gebeutelten Kinos startete.

Gal Gadot als Wonder Woman
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„Wonder Woman 1984“ gehört zu den ersten Filmen, die zeitgleich mit dem Kinostart gestreamt wurden

Veränderung auf Kosten der Nutzer

„Als die ‚Streaming Wars‘ Ende 2019, Anfang 2020 offiziell begannen, umrissen die großen Dienste ihre Fünfjahresziele“, sagte Matthew Ball, CEO von Epyllion und ehemaliger Geschäftsführer von Amazon Studios, gegenüber CNN Business. „Wir sind jetzt auf halbem Weg, und daher müssen sich die Führungskräfte fragen, ob ihre Ziele erreichbar oder sogar wünschenswert sind, und das führt zu vielen Strategieänderungen – und das sollte es auch.“

Und die Veränderung würde auf Kosten der Konsumentinnen und Konsumenten gehen, so der Tenor in US-amerikanischen Medien. Denn mittlerweile müsse ein Kunde unter Umständen für mehrere Streamingdienste bezahlen, um die gleiche Menge an Inhalten zu sehen, die früher alle auf Netflix zu finden waren. Und da alle Dienste nach wie vor mit einem umfangreichen Angebot punkten wollten, müsse auch auf minderwertigere Inhalte zurückgegriffen werden.

Michael Nathanson, Medienanalyst bei MoffettNathanson, geht gegenüber CNN Business davon aus, dass die nächste Phase der Streamingrevolution vor allem von Konsolidierung und Bündelung geprägt sein wird. Es sei kein Zufall, dass Disney zwar die Preise für viele seiner Angebote erhöht, aber das Paket, das aus Disney+, Hulu und ESPN+ besteht, nicht angetastet hat. War die erste Phase der Streamingrevolution noch durch die „Streaming Wars“ geprägt, so könnte die nächste Phase als „Rumble of the Bundles“ bezeichnet werden.