Filmplakat und Titelbild zu „Der junge Häuptling Winnetou“
picturedesk.com/SZ-Photo/Alessandra Schellnegger
Winnetou-Kinderbuch

Wirbel um Rückzieher von Ravensburger

Ein Rückzieher des Ravensburger Verlages bei einem Winnetou-Kinderbuch hat für Diskussionen gesorgt. Wie ein Unternehmenssprecher am Montag bestätigte, wurde die Auslieferung des Buchs bereits gestoppt. Zuvor hatte das der Verlag in einem sozialen Netzwerk angekündigt und das mit „den vielen negativen Rückmeldungen“ zu dem Buch „Der junge Häuptling Winnetou“ begründet.

Mehrere Medien berichteten über die Entscheidung. Die Veröffentlichung des Kinderbuches zu dem gleichnamigen Kinofilm hatte im Internet erhebliche Kritik ausgelöst. Ein Sprecher von Ravensburger teilte am Montag auf Anfrage mit, man habe die Entscheidung, die Titel aus dem Programm zu nehmen, sorgfältig abgewogen.

„Wir vertreten in unserem Unternehmen und mit unseren Produkten seit langer Zeit Werte, an die wir glauben: unter anderem Gemeinsamkeit und Bildung, wozu auch Fairness und Offenheit gegenüber anderen Kulturen gehören, und dies wollen wir in unserem Programm ausgewogen darstellen.“

„Beschäftigen uns intensiv mit kultureller Aneignung“

Das Feedback habe gezeigt, dass „wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben“, erklärte der Verlag bereits vor einigen Tagen auf Instagram. „Das war nie unsere Absicht“, erklärte Ravensburger weiter und entschuldigte sich „ausdrücklich“. Zudem heißt es: „Unsere Redakteur*innen beschäftigen sich intensiv mit Themen wie Diversität oder kultureller Aneignung.“

Kulturelle Aneignung

Mit kultureller Aneignung ist gemeint, dass Menschen sich einer Kultur bedienen, die nicht ihre eigene ist, zum Beispiel durch Musik oder Bekleidung. Kritisiert wird vor allem, wenn Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft sich einzelner Elemente der Kultur einer Minderheit bemächtigen, sie kommerzialisieren und aus dem Zusammenhang reißen.

Dabei würden sie auch externe Fachberater zurate ziehen oder ‚Sensitivity Reader‘ einsetzen, „die unsere Titel kritisch auf den richtigen Umgang mit sensiblen Themen prüfen.“ Leider sei das bei den Winnetou-Titeln nicht gelungen, so Ravensburger, der von einem Fehler spricht, aus dem der Verlag lernen werde.

Kritik an rassistischen Stereotypen

Bei den gestoppten Artikeln handelt es sich den Angaben zufolge um Lizenztitel – ein Kinderbuch ab acht Jahren, ein Erstleserbuch, ein Puzzle sowie ein Stickerbuch. Ein Kritikpunkt von Internetnutzerinnen und -nutzern bezog sich den Berichten zufolge darauf, dass in dem Buch rassistische Stereotype wiedergegeben würden. Die Kritik hatte sich zunächst vor allem an der gleichnamigen Verfilmung entbrannt, weil der Film rassistische Vorurteile bediene und eine kolonialistische Erzählweise nutze. Der Film kam am 11. August in die Kinos.

Seitens Ravensburger heißt es: Bei den Titeln sei man nach Abwägung verschiedener Argumente zu der Überzeugung gelangt, dass angesichts der geschichtlichen Wirklichkeit, der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung, hier ein „romantisierendes Bild mit vielen Klischees“ gezeichnet werde. Vor diesem Hintergrund wolle man als Verlag keine verharmlosenden Klischees wiederholen und verbreiten.

Buch für Experten „unbedenklich“

Auch unter dem Hashtag #winnetou gaben Nutzerinnen und Nutzer Kommentare ab, wobei zahlreiche Teilnehmende Unverständnis über die Entscheidung des Verlags äußerten. Die „Bild“-Zeitung kommentierte den Schritt des Unternehmens mit: „Wir unterwerfen uns einer radikalen Minderheit.“

Der Karl-May-Experte Andreas Brenne hält das Winnetou-Buch für unbedenklich und kritisierte die Entscheidung des Verlags. „Ich halte es für nicht richtig, ein solches Buch nur aufgrund eines Shitstorms aus dem Verkehr zu ziehen“, sagte der Kunstpädagogikprofessor der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

Schon in einer Vorbemerkung werde klargestellt, dass das Buch als fiktive Geschichte und nicht als sachgerechte Darstellung des Lebens indigener Völker zu verstehen sei. Brenne warnte davor, den Vorwurf der falschen kulturellen Aneignung unreflektiert zu generalisieren. „Schon das Verkleiden als Indianer gilt dann als rassistischer Akt“, erklärte Brenne, der in der Karl-May-Gesellschaft an Programmfragen mitarbeitet.

Kinder mit Cowboy und Indianer Kostümen
Getty Images/Photodisc/Leander Baerenz
Cowboy und Indianer – harmlose Kostüme oder verharmlosende Kolonialfantasien? Die Meinungen gehen auseinander

Klischeehafte Folklore nicht mehr zeitgemäß?

Zuvor hatte auch die von den Bundesländern getragene Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW), die Filme auf ihre Qualität hin begutachtet, eine gespaltene Meinung zu dem Film „Der junge Häuptling Winnetou“ veröffentlicht. Einige Jurymitglieder halten es demnach heute für nicht mehr zulässig, einen Film „im Geist der mythisch aufgeladenen und sehr klischeehaft darstellenden Karl-May-‚Folklore‘ zu realisieren“.

Bei einer großen Mehrheit der Jury fand der Film den Angaben der FBW zufolge aber Zustimmung. Sie verwiesen darauf, dass Karl May seine Erzählungen aus seiner Fantasie geschrieben habe, auch die Verfilmungen in den 60er Jahren seien Märchen, welche die Welt der indigenen Völker „im absolut klischeehaften Bild darstellten“. Das in einen Kinderfilm von heute märchenhaft einzubringen, sei durchaus legitim, befanden die Jurymitglieder. Der Film erhielt letztlich das Prädikat besonders wertvoll.

Appell, Machtverhältnisse zu reflektieren

Die deutsche Ethnologin Susanne Schröter findet die Diskussion um kulturelle Aneignung, wie sie derzeit geführt wird, problematisch. „Die Skandalisierung der kulturellen Aneignungen weist eine Reihe von Absurditäten auf. Eine betrifft die Folgen, die sich ergeben, wenn man die geforderten Nutzungsbeschränkungen zu Ende denkt. Dann müssten bei jedem Gegenstand, jedem Stil, jeder Form kulturellen Ausdrucks die Urheber ausfindig gemacht und ihr Gebrauch auf diese Urheber beschränkt werden“, sagt die Professorin der Frankfurter Johann-Wolfgang-Goethe-Universität.

Kulturelle Aneignung ist für die Wissenschafterin grundsätzlich eher etwas Positives. „Menschen haben stets Dinge von anderen übernommen, wenn sie diese für sinnvoll erachtet haben. Um es auf den Punkt zu bringen, ist die gesamte Menschheitsgeschichte eine Geschichte kultureller Aneignungen, ohne die es keine Entwicklung gegeben hätte“, sagt Schröter. Für sie sei kulturelle Aneignung „wohl die wichtigste Kulturtechnik, die ein friedliches Zusammenwachsen möglich macht“.

In einem Kommentar des Onlinemagazins Republik ist indes zu lesen, man könne den Vorwurf der kulturellen Aneignung bei Karl May eben nicht als übertrieben zurückweisen, da es sich lediglich um Kindheits- und Märchen­fantasien handele. „Das ändert aber nichts daran, dass auch diese Fantasien in die jahrhundertealte Geschichte des Kolonialismus zurückverweisen.“ In der Debatte gehe es darum, immer die Machtverhältnisse zu mitzudenken und das „am besten im Dialog: in gemeinsamer Reflexion statt im Modus der Empörung“.