Russische Ermittler am Tatort
APA/AFP/Investigative Committee of Russia
Besorgt um Sicherheit

Attentat schreckt Putins Verbündete auf

Das Attentat auf die russische Kriegsbefürworterin Darja Dugina hat laut der US-Zeitung „Washington Post“ offenbar gravierende Sicherheitsbedenken unter medialen Unterstützern des russischen Angriffskrieges von Präsident Wladimir Putin wie Nachrichtensprechern, Journalisten und Journalistinnen und anderen Kommentatoren hervorgerufen. Der Bedarf an persönlichen Leibwächtern und anderen Schutzmaßnahmen habe zugenommen.

Das tödliche Attentat auf die 29-jährige Verfechterin von Russlands Angriffskrieg habe ein starkes Gefühl der Unsicherheit und Verletzlichkeit unter Russlands bekanntesten und dezidiertesten öffentlichen Kriegsbefürwortern und Kriegstreibern hervorgerufen, so die Zeitung weiter. Sie hätten dadurch erkannt, dass sie potenzielle Ziele seien und dass die russische Regierung sie möglicherweise nicht schützen kann, heißt es in dem Artikel weiter.

Dugina starb in der Nacht auf Sonntag bei der Explosion ihres Autos in einer elitären Moskauer Vorstadtsiedlung. Während es einst Putins Feinde, Kritiker und Kritikerinnen waren, die befürchteten, erschossen oder vergiftet zu werden, seien es jetzt die prominentesten öffentlichen Verbündeten des russischen Führers, die unsicher seien und sich auf private Leibwächter und andere Schutzmaßnahmen gegen unsichtbare und unvorhersehbare Bedrohungen verlassen, so die Zeitung.

Darya Dugina
Reuters/Tsargrad.tv
Die russische Kriegsbefürworterin Darja Dugina wurde Opfer eines Anschlags

„Washington Post“: Putin unter Druck

„Inzwischen sollte jedem klar sein, dass es keine sicheren Orte gibt“, twitterte laut „Washington Post“ etwa der kremlfreundliche Kriegsreporter Juri Kotenok und fügte hinzu, dass die Russen den Krieg nicht länger ignorieren könnten. „Moskau ist jetzt eine Stadt an vorderster Front.“

Der Anschlag auf die Kriegspropagandistin Dugina könnte auch eine neue Eskalation in dem Krieg auslösen. Putin sei durch das Attentat unter Druck gekommen, auch durch Duginas trauernden Vater, den rechtsnationalistischen und imperialistischen Ideologen Alexander Dugin. Er gilt als einer der ideologischen Väter des Ukraine-Krieges.

Dugin bei Trauerfeier: „Die Front, sie ist hier“

Dugin rief die Russen auf, im Sinne seiner Ideologie zu kämpfen. „Unsere Herzen dürstet es nicht einfach nach Rache oder Vergeltung. Das wäre zu klein, nicht russisch“, ließ Dugin über seinen Vertrauten, den Oligarchen Konstantin Malofejew, auf Telegram ausrichten. „Wir brauchen nur unseren Sieg. Auf dessen Altar hat meine Tochter ihr mädchenhaftes Leben gelegt. Also siegt bitte!“

der russische Ideologe Alexander Dugin
APA/AFP/Moscow City News Agency
Alexander Dugin gilt als Chefideologe von Wladimir Putin

Hunderte Menschen nahmen am Dienstag in Moskau an einer Trauerfeier für Dugina teil. Auch ihr Vater Alexander Dugin und seine Frau nahmen an der Feier in einem Saal des Ostankino-Fernsehzentrums teil. „Sie starb für das Volk, für Russland, an der Front. Die Front, sie ist hier“, sagte Dugin zu Beginn der Zeremonie. „Sie ist für Russland gestorben“, sagte ihr Vater weiter. „In ihrer Kindheit waren fast die ersten Worte, die wir ihr beibrachten, natürlich ‚Russland‘, ‚unser Staat‘, ‚unser Volk‘, ‚unser Imperium‘.“

Lawrow: Keine Gnade

Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach am Dienstag in Moskau von einem „barbarischen Verbrechen“ gegen Dugina. „Es kann keine Gnade für die Organisatoren, Auftraggeber und Ausführenden geben“, so der Außenminister. Lawrow ging davon aus, dass in dem Fall „die Ermittlungen hoffentlich bald abgeschlossen werden“.

Neben dem Dugina-Mord sorgten laut „Washington Post“ auch die ukrainischen Angriffe auf die Krim und die zwar wenigen, jedoch mysteriösen und ungeklärten Feuer und Explosionen in Häusern und Lagerhallen für Unruhe in Moskau. Sie zeigten, dass der Krieg nicht wie vom Kreml gewünscht für den Durchschnittsrussen und die Durchschnittsrussin weit weg sei, schreibt die Zeitung weiter.

Das Dugina-Attentat zeige auch, dass der implizite Vertrag zwischen Putins langer Zeit im Amt und der russischen Bevölkerung unterlaufen werde. Putins Credo, dass nur er für Sicherheit, Frieden und wirtschaftlichen Wohlstand stehe, werde dadurch angekratzt. Neben dem Attentat gilt das insbesondere durch die westlichen Sanktionen schwächelnde Wirtschaft.

Putin verleiht Dugina postum Tapferkeitsorden

Russlands Inlandsgeheimdienst FSB veröffentlichte unterdessen ein Video, das die angebliche Mörderin von Dugina zeigen soll. Mehrere zusammengeschnittene Aufnahmen in dem rund zwei Minuten langen Clip sollen zeigen, wie die Ukrainerin in Russland ankommt, das Haus ihres mutmaßlichen Opfers betritt und nach der Tat das Land wieder verlässt.

der russische Präsident Wladimir Putin
APA/AFP/Pavel Byrkin
Der russische Präsident Wladimir Putin

Putin zeichnete Dugina nun postum mit dem Tapferkeitsorden aus. Gewürdigt wurde nach Angaben des Kreml ihre „Tapferkeit und Hingabe bei der Erfüllung ihrer professionellen Aufgabe“.

US-Regierung: Wissen nicht, wer dahintersteckt

Der FSB sagte, dass der Mordanschlag von ukrainischen Geheimdiensten geplant worden sei. Die Ukraine erklärte, nichts mit dem Attentat zu tun zu haben. Quellen im Moskauer Sicherheitsapparat sagten der Agentur TASS, dass der Anschlag wirklich der Tochter gegolten habe, nicht dem Vater.

Die US-Regierung hat eigenen Angaben zufolge jedoch keine genauen Informationen über die Hintergründe des Mordanschlags auf Dugina. „Wir wissen nicht wirklich, wer dahintersteckt und was das Motiv gewesen sein könnte“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Montag dem Nachrichtensender CNN.

Dem FSB zufolge handelt es sich bei der Täterin um eine 1979 geborene Frau aus der Ukraine, die bereits Ende Juli mit ihrer elf oder zwölf Jahre alten Tochter nach Russland eingereist und direkt nach der Tat nach Estland ausgereist sei. Russische Oppositionelle, aber auch westliche Medien bezweifelten die Darstellung des Geheimdienstes.

Operation unter „falscher Flagge“?

So zweifelt der britische „Guardian“ die Aufklärung an. Die Geschwindigkeit, mit der der russische Geheimdienst einen Video-„Beweis“ für die Urheberschaft des Attentats vorgelegt hat, sorgt im „Guardian“ für Verwunderung. Die Geschwindigkeit mache die Erklärung des Geheimdienstes verdächtig. So sei es dem FSB etwa nicht gelungen, zahlreiche hochrangige Morde, etwa auch an Putin-Kritikern und -Kritikerinnen, zufriedenstellend aufzuklären, doch hier sei man verdächtig schnell gewesen.

Auch gebe es noch andere rätselhafte Aspekte bei dem Attentat, die stutzig machten, etwa, warum die Frau nicht verhaftet wurde, so der „Guardian“ weiter. Vonseiten der Ukraine sei auch eine von Moskau organisierte Operation unter „falscher Flagge“ ins Spiel gebracht worden, um die Ukraine für das Attentat verantwortlich zu machen und verstärkte Gewalt im Ukraine-Krieg zu rechtfertigen, heißt es in der Zeitung weiter.

Estland sieht russische Informationsoperation

Auch Estlands Außenminister Urmas Reinsalu weist die Behauptung des FSB zurück, wonach die angebliche Mörderin in das baltische EU- und NATO-Land geflohen sei. Nach gegenwärtiger Einschätzung des Außenamts in Tallinn sei diese Behauptung eine Informationsoperation, sagte der Chefdiplomat des an Russland grenzenden Landes am Montagabend im estnischen Rundfunk.

„Wir betrachten das als eine Provokation der Russischen Föderation in einer sehr langen Reihe von Provokationen und wir haben im Moment nichts mehr dazu zu sagen“, sagte Reinsalu. Ein Sprecher der estnischen Generalstaatsanwaltschaft in Tallinn sagte der Agentur BNS zudem, dass die Behörde keine Anfrage von russischer Seite zu diesem Thema erhalten habe.

Ukraine sieht russische Propaganda

Kiew hatte eine Beteiligung am Tod von Dugina bereits am Wochenende zurückgewiesen. Am Montag bekräftigte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak: „Die russische Propaganda schafft eine fiktive Welt: Als Schuldige für das in die Luft gesprengte Auto der Propagandistin Dugina wurden eine Ukrainerin und ihr zwölfjähriges Kind ‚festgelegt‘.“ Das ukrainische Nationalgarderegiment Asow wies Behauptungen zurück, wonach die vom FSB präsentierte Tatverdächtige in irgendeiner Beziehung zu der Einheit stehe.