Sonnenstürme

Grazer Station für das Weltraumwetter

Sonnenstürme können elektrisch aufgeladene Partikel mit einer Geschwindigkeit von 3.000 Kilometern pro Sekunde gegen das Erdmagnetfeld schleudern. Die freigesetzte Energie reicht aus, um das globale Navigationssystem zu beschädigen und der Erde den Strom abzudrehen. Um das zu verhindern, werden derzeit neue Weltraumwetter-Beobachtungsposten eingerichtet. Einer davon nahm nun in Graz seine Arbeit auf: das Zentrum für außerirdische Wetterprognosen Helio4Cast.

Das achtköpfige Grazer Team von Helio4Cast, einer Einrichtung der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), entwirft Modelle, mit denen die Weltraumwettervorhersagen verbessert werden sollen. Dabei kann man heute noch nicht einmal genau sagen, wie ein extremer Sonnensturm eigentlich entsteht. Aber die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler setzen alles daran, genau das herauszufinden. Ist ihre Arbeit erfolgreich, stehen ihnen genügend Daten zur Verfügung, dann können Schäden in Billionenhöhe verhindert werden.

Auf einen gewaltigen Sonnensturm, wie er um 660 vor Christus die Erde traf, ist die Welt heute nur schlecht vorbereitet, warnte der schwedische Geologe Raimund Muscheler bereits 2019. Er entnahm in Grönland Proben von uralten Eisbrocken und Baumstämmen und entdeckte darin enorme Mengen an radioaktiven Carbon-14-Isotopen.

Sonnenstürme in unterschiedlichen Farbspektren gefiltert
Courtesy of NASA/SDO and the AIA science teams
Noch weiß man nicht exakt, wie Sonnenstürme entstehen

Seine Schlussfolgerung lautet: 660 vor Christus muss ein gewaltiger Sonnensturm das Erdmagnetfeld getroffen und in Folge einen geomagnetischen Sturm ausgelöst haben. Dasselbe passierte bereits 775 vor Christus. Diese und andere Jahreszahlen brachten manche Forschungsteams zur Annahme, Sonnenstürme treffen nur alle 100 Jahre die Erde. Bei dem Sturm von 775 vor Christus spricht man sogar von einem Jahrtausendereignis.

Schutzschild der Erde

Eigentlich fungiert das Erdmagnetfeld als eine Art Schutzschild vor den Strahlen des Sonnensystems. Aber wenn ein extremer Sonnensturm aus der richtigen Richtung und mit dem richtigen Winkel auf das Erdmagnetfeld stößt, kann das energiegeladene Teilchengemisch auf der Erde einen geomagnetischen Sturm auslösen.

Sonnenstürme in unterschiedlichen Farbspektren gefiltert
Courtesy of NASA/SDO and the AIA science teams
Ein Schutzschild umgibt die Erde – aber er schützt nicht immer

Damit gelangt Gleichstrom in die Stromnetzwerke und Pipelines. Diese zusätzliche, induzierte Energie kann dazu führen, dass Transformatoren brennen und Pipelines bersten. Die Folge sind Stromausfälle wie im Jahr 1989. Damals musste eine Chipfabrik in den USA ihren Betrieb einstellen – die Gefahr, dass die Produktion fehlerhaft sein würde, war zu groß. In Kalifornien gingen Garagentore wie von Geisterhand auf und zu. Am schlimmsten traf es Kanada. In Quebec waren sechs Millionen Menschen für neun Stunden ohne Strom.

Zwar war der wesentliche Schaden innerhalb recht kurzer Zeit behoben, aber die Botschaft ist eindeutig: Je vernetzter die Welt ist, je weniger sie ihre technische Infrastruktur wartet und sich vor geomagnetischen Stürmen schützt, umso schwieriger wird der Wiederaufbau. Ein extremer Sonnensturm, so die düstere Prognose, würde heute die Infrastruktur weitaus länger lahmlegen als vor rund 30 Jahren. Der finanzielle Schaden würde in die Billionen gehen und die Zivilisation darauf nicht vorbereitet sein.

Keine Verbindung mehr

Betroffen sind nicht nur die Energie- und Kommunikationsnetzwerke auf der Erde, sondern auch jene in der niedrigen Erdumlaufbahn. Die Abhängigkeit von der Satellitenkommunikation betrifft nicht nur das Militär sowie Pläne der Luft- und Raumfahrt, sondern auch das Mobilfunknetz, Navigationssysteme und das Internet. Letzteres, so die indische Computerwissenschaftlerin Sangeetha Abdu Jyothi, war seit den 1970er Jahren noch nie einem wirklichen Stresstest ausgesetzt.

Welche Teile dieses menschlich geschaffenen „Ökosystems“ mit Datenfarmen, Glasfasernetzen, Satelliten und Antennenmasten dann noch funktionieren werden, weiß man derzeit nicht. Man geht jedoch davon aus, dass die Datengrundversorgung mit kurzen Textnachrichten funktionieren kann, auf Videos hingegen wird die Welt wohl verzichten müssen.

Die Sonne explodiert ständig

Sonnenstürme sind das Produkt magnetischer Explosionen in der Sonnenkorona, der äußersten Atmosphärenregion der Sonne, die sich weit in den Weltraum ausstreckt. Zum Erstaunen der Weltraumforschung ist die Temperatur dort höher als in der Nähe der Sonnenoberfläche. Der heißeste Teil der Sonne ist der Kern. An der Oberfläche, der Photosphäre, misst man 5.500 Grad Celsius. In der Korona steigt die Temperatur auf zwei Millionen Grad Celsius. Das ist nur eines von vielen Mysterien, die die Sonne umgeben.

Ein weiteres sind die Sonneneruptionen, die „solar flares“. Das dabei ausgeworfene, energetisch geladene Teilchengemisch bewegt sich bei einem normalen Sonnenwind mit einer Geschwindigkeit von rund 400 Kilometern pro Sekunde vorwärts. Bei einem extremen Sonnensturm wurden hingegen schon Spitzen von 3.000 Kilometern pro Sekunde gemessen.

„Sonnensturm auf dem Weg zur Erde“

Warnungen hören sich so an wie jene der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) vom 24. Jänner 2012: „Eine große Sonneneruption hat gestern einen koronalen Massenauswurf ausgelöst, der sich mit 1.400 Kilometern pro Sekunde bewegt und heute die Erde erreichen wird. Sie wird wahrscheinlich einen kleineren geomagnetischen Sturm verursachen, der keine ernsthaften Auswirkungen auf die Infrastruktur am Boden, wie zum Beispiel Telefonnetzwerke, haben wird, aber er könnte in hohen Breiten Polarlichter auslösen.“

Derzeit wird Sonnenzyklus 25 gezählt. Die letzten Sonnenzyklen waren relativ ruhig, wenn auch nicht harmlos, sagt Christian Möstl, Gründer und Leiter des österreichischen Wetterprognosezentrums Helio4Cast: „Der letzte Sonnenzyklus war tatsächlich ein ziemlich schwacher. Da haben wir Glück gehabt. Über den Zyklus, der jetzt gerade losgegangen ist und 2022 gerade ansteigt, gibt es noch immer eine Diskussion, wohin die Reise geht.“

Sonnenstürme in unterschiedlichen Farbspektren gefiltert
Courtesy of NASA/SDO and the AIA science teams
Ständige Explosionen kennzeichnen die Sonne – aber vieles bleibt unerklärlich

Sonnenstürme entdecken

1750, so Möstl, habe es keine Satelliten gegeben. Die Forscher hätten in die Sonne geschaut und die dunklen Sonnenflecken gezählt. Dabei hätten sie entdeckt, dass diese dunklen Stellen auf der Sonnenscheibe in Zyklen von rund elf Jahren zu- und wieder abnehmen: „Das Maximum tritt dabei zur Halbzeit auf, was für den gegenwärtigen Sonnenzyklus bedeutet: In drei Jahren ist es wieder so weit. 2025 – so die Annahmen der Weltraumforschung heute – wird weitaus stürmischer sein als die letzten paar Jahrzehnte. Das derzeit weltweit verstärkte Bemühen, das Sonnenwetter besser zu verstehen und vorherzusagen, ist daher durchaus aktuell.“

Sonnenstürme in unterschiedlichen Farbspektren gefiltert
Courtesy of NASA/SDO and the AIA science teams
Bei einem Sonnensturm könnten Schäden in Billionenhöhe entstehen

Je mehr Sonnenflecken es gibt und je höher die Aktivität der Sonne ist, desto eher kann es auch zu extremen Sonnenstürmen im Weltraum kommen. Nicht alle davon breiten sich in Richtung Erde aus, und nicht alle Explosionen auf der Sonnenoberfläche entwickeln eine Gefahr verheißende Stärke. Ganz im Gegenteil. Zum großen Teil führen diese energiegeladenen Ereignisse auf der Sonne nicht zur Bedrohung, sondern zu wunderschönen Polarlichtern.

Auch diese Information wird von Weltraumwetter-Prognosestationen erhoben und veröffentlicht. Das ist der angenehme Teil der Arbeit eines Weltraummeteorologen. Der andere lautet im Ernstfall den weltweiten Krisenstab zu informieren.

Internationale Weltraummessstationen

Wenn ein extremer Sonnensturm auf die erste Messstation der Erde trifft, am Lagrange-Punkt 1, dann bleibt der Erde nicht viel Zeit, um zu reagieren. Der Messpunkt befindet sich 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Trotzdem braucht der energiegeladene Partikelsturm gerade einmal zehn Minuten, bis er auf die Erdatmosphäre schlägt – nicht viel Zeit, um einen Krisenstab einzuberufen.

Die Lagrange-Punkte (L-Punkte), benannt nach dem italienischen Mathematiker und Astronomen Guiseppe Luigi Lagrange, markieren Positionen im Weltraum, an denen die Gravitation von Erde und Sonne in gleichem Maße wirkt. Fünf dieser Punkte gibt es, und sie sind für die Weltraummeteorologen interessant, weil dort Satelliten länger stabil positioniert werden können, die somit konsistente Beobachtungsergebnisse liefern.

Wo die Welten im Gleichgewicht sind

L1 ist derzeit von den USA besetzt und wird 2023 einen weiteren Beobachtungssatelliten aus Indien bekommen. „Mission Aditya“ ist ein indisch-europäisches Kooperationsprojekt. Die ESA selbst plant, im Jahr 2028/2029 einen weiteren permanenten Wetteraußenposten im Weltraum zu positionieren, auf dem Punkt L5.

Im Gegensatz zu L1 liegt er nicht „stromaufwärts“ von der Erde, sondern 60 Grad hinter der Erde. Er erlaubt einen gänzlich anderen Blick auf die Aktivitäten der Sonnenkorona. Damit erhofft man sich einen „besseren Blick“ auf die koronalen Massenausbrüche, die das Erdmagnetfeld am ehesten bedrohen. Für die Weltraumwetter-Prognosezentren wie Helio4Cast bedeutet das eine spannende Zeit für die Modellierung, denn Echtzeitdaten aus der Nähe der Sonne sind rar.

„Solar Orbiter“ – die eierlegende Wollmilchsau unter den Messsonden

Fünf Satelliten stehen den Forscherinnen und Forschern derzeit zur Verfügung. Sie hören auf so klingende Namen wie „Bepi Colombo“, „Parker Solar Probe“ und „Solar Orbiter“. Die ersten beiden sind berühmte Namen von Wissenschaftlern der Weltraumforschung. „Solar Orbiter“ klingt hingegen wenig aufregend, aber der Schein trügt. 2020 sandte die ESA den Satelliten in den Weltraum, ausgestattet mit allem, was die Weltraumforschung heute zu bieten hat. Die Investitionen haben sich ausgezahlt, denn im März 2022 schickte „Solar Orbiter“ erstmals Echtzeitdaten aus einem Sonnensturm zur Erde.

Dazu Möstl: „Das war eine extrem lässige Geschichte, weil eigentlich kommen die Daten immer ein wenig zu spät. Dieses Prinzip, dass man überhaupt eine Sonnensonde länger in der Nähe von der Sonne hat, die uns von den Sonnenstürmen Daten funkt, das wäre soundso die perfekte Lösung – die von Europa mit der Mission Vigil am Punkt L5 umgesetzt wird.“

Die Warnungen sind angekommen

Regierungen weltweit zeigen derzeit Interesse daran, in ein Früherkennungssystem von Sonnenstürmen zu investieren. Mittlerweile werden die Warnungen der Wissenschaft verstanden. Sie weist seit Jahrzehnten darauf hin, wie verletzlich die technische Infrastruktur auf der Erde und im Weltraum ist, die in den letzten 160 Jahren aufgebaut wurde.

Carrington Event, Aufzeichnungen des Magnetometers 28. August 1859
British Geological Survey
Aufzeichnungen eines Sonnensturms aus dem Jahr 1859

1859 traf ein Sonnensturm auf die Erde. In London fing die Nadel eines Magnetometers, das an einem Seidenfaden von der Decke hing, wie wild zu tanzen an. In Kanada konnten Telegramme plötzlich nicht mehr über die Leitungen versendet werden. In Boston klemmte ein Beamter der Telegraphenverwaltung kurzerhand die Batterien seines Systems ab.

Er erkannte, dass die Energie, die durch den geomagnetischen Sturm in die Leitungen induziert wurde, für den Versand von Nachrichten vollkommen ausreichte. Er schickte folgende Nachricht als Morse-Code an seinen Kollegen in Portland: „Wir arbeiten hier jetzt ausschließlich mit dem Strom der Aurora borealis. Wie kommt mein Schreiben an?“ Die Antwort aus Portland: „Viel besser als sonst mit Batterien.“