Brasilianer bei einer Wahlveranstaltung
AP/Marcelo Chello
Lula vs. Bolsonaro

Wahlkampf im Zeichen der Klimakrise

Bei der Präsidentschaftswahl in Brasilien geht es beim Duell zwischen dem rechtspopulistischen Amtsinhaber Jair Bolsonaro und dem linken Ex-Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva auch um Umweltfragen. Während Bolsonaro für die Abholzung des Regenwaldes in der Kritik steht, hat Lula den Kampf um Stimmen erstmals zu einem Kampf für das Klima erklärt. Das hätte auch für die Welt weitreichende Folgen.

Es dürfe kein Baum mehr abgeholzt werden, um Soja oder Mais anzupflanzen oder Vieh zu züchten, forderte Lula, der Brasilien von Anfang 2003 bis Ende 2010 regiert hatte. „Wenn die Welt bereit ist zu helfen, kann die Erhaltung eines Baumes im Amazonas-Gebiet mehr wert sein als jede (andere, Anm.) Investition.“

Zudem sollten die Umwelt- und Kontrollbehörden wieder gestärkt werden, so der Präsidentschaftskandidat der Arbeiterpartei (PT) im Gespräch mit internationalen Journalistinnen und Journalisten Ende August in Sao Paulo. Das Thema Umwelt und Schutz des Regenwaldes nahm auch große Teile der Redezeit Lulas in der ersten TV-Debatte der Präsidentschaftskandidaten ein. Außer Bolsonaro und Lula beteiligten sich noch vier weitere der insgesamt zwölf Präsidentschaftskandidaten an der dreistündigen Debatte.

Kandidatur nach Korruptionsvorwürfen

2018 war Lula wegen Korruption und Geldwäsche zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden, verbrachte 580 Tage im Gefängnis und konnte deshalb 2018 nicht an der Präsidentenwahl teilnehmen, die der rechtsextreme Bolsonaro gewann. Im vergangenen Jahr hob ein Richter am Obersten Gerichtshof das Urteil auf und Lula erhielt seine politischen Rechte zurück – und betrat bald darauf auch wieder erfolgreich die politische Bühne.

Sollte er die Wahl gewinnen, werde er der Korruption den Kampf ansagen, erklärte Lula kürzlich dem Sender TV Globo. Bolsonaro warf Lula bei der ersten TV-Debatte indes vor, dass dessen Regierung „die korrupteste in Brasiliens Geschichte“ war. Lula wies die Anschuldigung des Amtsinhabers zurück und hob hervor, dass während seiner Regierungszeit in den Jahren 2003 bis 2010 viele Sozialreformen angestoßen worden seien. Bolsonaro sei nun aber dabei, das Land zu „zerstören“, sagte Lula.

Lula will Ministerium für indigene Völker

Auf die Frage des „Guardian“, welche Schritte Lula als Präsident unternehmen würde, um die Zerstörung des Amazonas-Gebiets zu bekämpfen, versprach der Ex-Präsident, ein Ministerium für indigene Völker zu schaffen und die Umweltbehörde IBAMA wieder aufzubauen, die Bolsonaro nach Ansicht von Kritikern seit seinem Amtsantritt im Jahr 2019 absichtlich abgebaut hat.

Zudem forderte er nach den „barbarischen“ Morden an dem indigenen Experten Bruno Pereira und dem britischen Journalisten Dom Phillips ein hartes Durchgreifen gegen die illegalen Bergleute und Holzfäller, die das Amazonas-Gebiet verwüsten.

Brasilien mit Schlüsselrolle bei globalem Klimaschutz

Wer am 9. Oktober in Brasilien zum Präsidenten gewählt wird, dürfte somit nicht nur über die Zukunft des Landes, sondern auch über die Erreichung der globalen Klimaziele entscheiden. Brasilien gilt als sechstgrößter Treibhausgasemittent der Welt – und die immer rascher fortschreitende Zerstörung der Wälder unter Bolsonaro hat auch für den Rest der Welt schwerwiegende Folgen, speichert doch der Amazonas-Regenwald erhebliche Mengen des Treibhausgases CO2.

Abgeolzte Regenwaldflächen neben einem bestehenden Regenwald
Reuters/Paulo Whitaker
Die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes hat in den ersten sechs Monaten des Jahres einen neuen Rekordwert erreicht

Er gilt als eines der Kippelemente, die das Klima auf der Welt aus dem Gleichgewicht bringen können. Laut der Onlineplattform Global Forest Watch wurden zwischen 2001 und 2021 durch den Verlust des Baumbestandes in Brasilien insgesamt 34,5 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre emittiert. Allein in dieser Woche hat die Zahl der Waldbrände nach offiziellen Daten der Weltraumbehörde INPE mit 3.358 Bränden am Montag den höchsten Stand seit fast 15 Jahren erreicht.

Illegale Brände haben unter Bolsonaro zugenommen

Fachleuten zufolge werden die meisten Brände von Landwirten und Spekulanten illegal gelegt – ein Vorgehen, das unter Bolsonaro zugenommen hat. Er hatte mehrmals verkündet, das Amazonas-Gebiet stärker wirtschaftlich erschließen zu wollen, und öffnete immer wieder Schutzgebiete für Landwirtschaft und Bergbau, was ihm internationale Kritik einbrachte.

Da Bolsonaro zur Wiederwahl antritt, könnte sich die Zerstörung noch beschleunigen, sagte die Leiterin des Amazonas-Umweltforschungsinstituts IPAM, Ane Alencar. „Wir wissen aus früheren Jahren, dass es einen Zusammenhang zwischen Wahlen und Abholzung gibt.“ Beamte und Strafverfolgungsbehörden seien durch den Wahlkampf abgelenkt, warnte Alencar.

Abholzung hat bereits unter Lula begonnen

Brasiliens Aufstieg zum weltgrößten Fleischexporteur und die damit verbundene Abholzung begann jedoch bereits unter Lula, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, dass Fleisch kein Privileg für Reiche bleiben dürfe. Lulas Regierung ließ Millionen von der brasilianischen Entwicklungsbank in Fleisch verarbeitende Unternehmen fließen, die zu einem der Hauptverursacher der Abholzung im Amazonas-Gebiet avancierten, so die „New York Times“ („NYT“). Auch in Lulas Amtszeit hatte es zudem heftige Brände gegeben, weshalb 2008 etwa der Amazonien-Fonds gegründet wurde.

Zudem weigerte sich Lula, Gesetze zu unterstützen, die Brasilien zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen verpflichtet hätten. Mit 76 Jahren und mehr als fünf Jahrzehnten in der Politik passe sich Lula nun aber an und positioniere sich als Gegenpol zu Bolsonaro, der gegen Umweltschützer wettere, so die „Financial Times“ („FT“). „Er betrachtet das Thema mit einer modernen Denkweise“, sagte Izabella Teixeira, die einst Umweltministerin unter Lula war, gegenüber der „NYT“.

„Es ist eine Sache, die Vergangenheit zu korrigieren und Fehler ungeschehen zu machen. Es ist eine andere Sache, neue Wege zu bejahen.“ Er habe seinen Blickwinkel erweitert und wolle, dass auch Vegetarier, die „eine gesündere Landwirtschaft in unserem Land fördern“, einen guten Biosalat essen könnten, sagte Lula selbst auf Twitter.

Bolsonaro setzt auf Wirtschaftsaspekte

Bolsonaro wies Berichte zurück, wonach die Abholzung im Amazonas-Gebiet unter seiner Führung stark zugenommen habe. „Ich habe das Land in einer schlechten wirtschaftlichen Lage übernommen, die durch die Corona-Pandemie, den Krieg in der Ukraine und eine große Trockenheit noch verstärkt wurde“, sagte er in einem seiner seltenen Interviews dem Sender TV Globo. Die „große Impfung“ seien Wirtschaftsreformen gewesen.

In seiner Rede zum Auftakt des Wahlkampfes im Bundesstaat Minas Gerais ging er stark auf Themen wie das Christentum und Familienwerte ein und warnte, ein Wahlsieg Lulas wäre ein „Schritt zurück“, der das Land in den „Kommunismus“ und eine „Gender-Ideologie“ führen würde. In seinem Wiederwahlprogramm versprach er die Beibehaltung einer monatlichen Bargeldauszahlung von 600 Reais (117,4 Euro) und im Fall einer zweiten Amtszeit eine Vereinfachung des Steuersystems, eine Senkung der Steuern für Unternehmen und der Einfuhrzölle zur Förderung des Handels.

Drei Monate vor der Abstimmung wurde zudem die Obergrenze der Staatsausgaben aufgehoben, was es Bolsonaro ermöglichte, mehr für Sozialleistungen auszugeben. Eine Taktik, die stark an Lula erinnert und von Bolsonaros Wirtschaftsminister Paulo Guedes als „Kamikaze“-Vorhaben bezeichnet worden war. Möglich gemacht wird diese durch die Ausrufung eines Notstandes.

Umweltthema könnte Wahlausgang entscheiden

Die grundverschiedenen Themenschwerpunkte der beiden Kandidaten könnten ausschlaggebend für den Ausgang der Wahl sein, prognostizierte die „NYT“. Eine Umfrage vom September würde zeigen, dass Klimaschutz den Wählerinnen und Wählern ein großes Anliegen sei. So waren 80 Prozent der Befragten der Meinung, dass der Schutz des Amazonas-Regenwaldes eine Priorität für die Präsidentschaftskandidaten sein sollte. Eine Mehrheit sagte auch, dass ein konkreter Plan zum Schutz des Amazonas-Gebietes ihre Bereitschaft erhöhen würde, für einen Kandidaten zu stimmen.

Aber auch Hunger, Arbeitslosigkeit, Inflation und die CoV-Pandemie werden wichtige Themen im Wahlkampf sein. Laut einer Gallup-Umfrage haben 36 Prozent der Bevölkerung nicht genug Geld für Lebensmittel, weshalb Bolsonaro mit seiner Unterstützung für die Ärmsten im Vorfeld der Wahlen punkten könnte.

Bolsonaro und Lula auf Wahlplakaten
Reuters/Ueslei Marcelino
Der ehemalige Schuhputzer und Metallarbeiter Lula gilt unter der politischen Linken Brasiliens nach wie vor als Leitfigur

Bisher liegt Lula in allen wichtigen Meinungsumfragen vor Bolsonaro, auch wenn das Rennen immer knapper wird. Wenn Lula im Oktober erneut zum Präsident gewählt werden sollte, sei er jedenfalls mit völlig anderen Rahmenbedingungen konfrontiert, so die „FT“ – war seine erste Amtszeit doch mit einem rohstoffbedingten Aufschwung von Brasiliens Wirtschaft zusammengefallen.

Justiz leitet Ermittlungen gegen Bolsonaro ein

Bolsonaro hat unterdessen mit öffentlichen Zweifeln am Wahlsystem des südamerikanischen Landes aufhorchen lassen und nun auch die Justiz auf den Plan gerufen. Bei einer Voruntersuchung sollten zunächst Videos gesichtet und Beweise geprüft werden, kündigte Vizegeneralstaatsanwältin Lindora Araujo nach einem Bericht des Fernsehsenders TV Globo an.

Mitte Juli hatte er bei einem Treffen mit Botschaftern Zweifel an der Sicherheit der Wahlurnen und der korrekten Auszählung der Stimmen geäußert – Beweise legte er jedoch keine vor. Die Opposition stellte wegen der Äußerungen Strafantrag und warf Bolsonaro vor, den demokratischen Rechtsstaat abschaffen zu wollen und die Streitkräfte gegen die Verfassungsorgane aufzustacheln.