Ob Mutter, Vater, Teenager, ehemaliger Arbeiter oder Angestellter – so unterschiedlich die Leben der Geflüchteten auch sein mögen, sie alle teilen das gleiche Schicksal und erzählen die gleiche Geschichte: Vor genau fünf Jahren mussten sie von einem Tag auf den anderen fliehen und alles zurücklassen.
„Als das Morden begann, konnten wir nicht länger in Myanmar bleiben. Wir mussten uns selbst retten. Das Militär ermordete die Rohingya brutal und brannte ihre Häuser nieder“, sagt etwa Tayeba Begum. Viele Familienmitglieder, Nachbarn und Freundinnen wurden Opfer des blutigen Militärangriffs. Insgesamt starben rund 7.000 Rohingya.
„Als ich mit meinen Kindern floh, durchquerten wir bei strömendem Regen den Dschungel und schlammige Straßen, um nach Bangladesch zu gelangen“, erzählt Begum. Seit fünf Jahren lebt sie nun schon in einem der riesigen Flüchtlingslager in der Grenzregion Cox’s Bazar im Süden von Bangladesch.
Die Lebensbedingungen seien hart. Zwar hätten sie ein Dach über dem Kopf, doch es fehlt am Nötigsten. Essen, Trinken, Kleidung, aber auch Bildung und Arbeit sowie Gesundheitsversorgung sind Mangelware.
„Wie können wir zurückkehren, ohne Rechte?“
Doch eine Rückkehr in ihr Heimatland, dem mehrheitlich buddhistischen Myanmar, ist für Begum derzeit ausgeschlossen: „Wie können wir zurückkehren, wenn unsere Rechte nicht gewährleistet sind? Wo sollen wir wohnen, wenn unsere Häuser zerstört wurden? Wie können wir zurückkehren, wenn uns unsere Kinder weggenommen und ermordet werden könnten?“
Die in Myanmar im südwestlichen Bundesstaat Rakhine verbliebenen 600.000 Rohingya berichten von weit verbreiteter Unterdrückung und Diskriminierung.
Auch der 25-jährige Nabi Ullah meint: „Wir können nur zurückkehren, wenn die Regierung uns als Bürger anerkennt und uns unsere Häuser, Grundstücke und Dokumente zurückgibt. Wir wollen an den Ort gehen, an dem unsere Rechte gewährleistet sind.“
Militärjunta an der Macht
Ein Wunsch, der wohl noch länger nicht in Erfüllung gehen wird. Denn seit einem Putsch im vergangenen Jahr wird das Land von einer Militärjunta geführt – darunter auch jene Generäle, die 2017 die Offensive auf die Rohingya starteten.
Obwohl die Minderheit schon seit Generationen in dem asiatischen Land lebt, werden deren Angehörige als Eindringlinge angesehen. Auch das geht auf die Militärjunta Myanmars zurück, erließ diese doch 1983 ein Gesetz, wodurch die Rohingya ihre Staatsbürgerschaft verloren.
„Zunehmende Anti-Rohingya-Rhetorik“
War das Handeln der Regierung und der Bevölkerung Bangladeschs zu Beginn der Flüchtlingskrise noch von Hilfsbereitschaft geprägt, verschärft sich nach fünf Jahren nun auch der Umgang mit den Rohingya. „Es wurden Zäune errichtet, und wir können uns nicht mehr wie früher bewegen“, erzählt Hashimullah.
Auch die UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet zeigte sich kürzlich angesichts der „zunehmenden Anti-Rohingya-Rhetorik“ in Bangladesch besorgt. Die Gemeinschaft der staatenlosen muslimischen Minderheit müsse als Sündenbock herhalten.
Schlechte Sicherheitslage
Zudem fürchteten viele Geflüchtete um ihre Sicherheit wegen der Aktivitäten bewaffneter Gruppen und krimineller Banden, so Bachelet. Die Sicherheitslage in den Flüchtlingslagern ist schlecht. Immer wieder gibt es Morde und Entführungen.
Die NGO Crisis Group verweist auf die Tatsache, dass Bangladesch von Anfang an deutlich gemacht habe, Geflüchtete nicht für immer aufnehmen zu wollen. Die Regierung verlangte zudem internationale Unterstützung bei der Bewältigung der Krise – der Mangel an Fortschritten bei der Rückführung führe daher zu Frustration auf allen Seiten.
„Diese Entwicklung war vorhersehbar: Für ein Land, in dem Armut und Arbeitslosigkeit nach wie vor hoch sind, stellt die Aufnahme von über einer Million Geflüchteten eine enorme Herausforderung dar“, so die NGO, die mehr internationale Unterstützung fordert. Eine „einfache“ Lösung für den Konflikt sei jedenfalls so schnell nicht in Sicht.
Völkermordprozess am Internationalen Gerichtshof
Die Vereinten Nationen bezeichnen die Verfolgung der Rohingya in Myanmar als Völkermord. Den Vorwürfen geht derzeit auch der Internationale Gerichtshof (IGH) nach. Sowohl die Militärjunta als auch die damalige und nun inhaftierte Regierungschefin und Friedensnobelpreisträgerin, Aung San Suu Kyi, wiesen die Vorwürfe zurück. Bis eine vollständige Anhörung stattfindet und ein endgültiges Urteil ergeht, könnte es noch Jahre dauern.
Seitens der Militärjunta hieß es in einer Stellungnahme: „Myanmar hat sich nie an völkermordähnlichen Aktionen beteiligt“ und habe nicht die Absicht, eine Gruppe „wegen ihrer Nationalität, Rasse oder Religion ganz oder teilweise zu vernichten“.
Der 65-jährige Razi dürfte das, wie all die anderen tausenden Rohingya im Flüchtlingslager, wohl anders sehen. Er spricht von Verfolgung und meint: „Ich bin alt und werde bald sterben. Ich frage mich, ob ich mein Heimatland sehen werde, bevor ich sterbe. Mein Wunsch ist es, meinen letzten Atemzug in Myanmar zu tun. Aber ich bin nicht sicher, ob dieser Wunsch in Erfüllung gehen wird.“
Dieser Artikel entstand zum Teil in Kooperation mit Ärzte ohne Grenzen. Die Hilfsorganisation ist derzeit in rund 70 Ländern in Einsatz, unter anderem in Bangladesch und Myanmar.